Gibt es Umstände, unte denen man besser abstillt?

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Gibt es Umstände, unte denen man besser abstillt?

Liebe Biggi, Ich bin mittlerweile mit den Nerven am Ende und völlig unsicher, wie ich mit meinem Kind richtig umgehen soll. Ob die Frage hier her gehört, oder doch in eine andere Rubrik, kann ich nicht beurteilen, aber ich brauche wirklich guten Rat und irgendwo muss man schließlich anfangen. Zur Vorgeschichte: ich habe bereits eine "große" Tochter, die ich etwa 10 Monate voll gestillt habe und die sich mit anderthalb dann problemlos selbst abgestillt hat. Unsere Stillbeziehubg war alles andere als leicht; es gab immer wieder Stillstreiks, Entzündungen und sämtliche Probleme, die man sich denken kann. Ich bin beim Stillen geblieben. Nicht aus Dogmatismus, sondern einfach weil mein Kind keine Flasche je angenommen hat und ich ihr ihre Muttermilch weiterhin geben wollte. Vor 8 Wochen kam meine 2. Tochter. Das Stillen klappte auf Anhieb super. Nun habe ich aber völlige Zweifel an mir selbst, weil ich denke, dass ich meine Tochter fast ungewollt und aus reiner Dummheit abgestillt hätte. Aber der Reihe nach: Ich habe einen recht kräftigen Milchspendereflex, der es beiden Babys oft schwer gemacht hat, einfach auch mal entspannt an der Brust zu nuckeln. Die erste Tochter hat oft eruptiv erbrochen (bei guter Zunahme) und wollte dann gleich weiter nuckeln und wir haben uns endlos im Kreis gedreht: nuckeln, schlafen, erbrechen, unglücklich sein, nuckeln. Ich hatte oft Brustentzündungen und habe mich fast nur zu Hause versteckt. Das Kind hing so oft an meiner Brust, entspannt irgendwo hingehen war einfach nicht anzudenken. Die 2. sollte es besser haben und auch einfach friedlich non-nutritiv saugen können, ohne ständig wieder erbrechen zu müssen. In Absprache mit meiner Hebi habe ich also nach dem Stillen auch gern einen Nuckel gegeben, denn sie meinte, dass ein hungriges Kind sich auf jeden Fall meldet und ich müsse mir da keine Sorgen machen. Die Kleine bekam dann eine Erkältung und trank weniger. Oft nuckelte sie fröhlich vor sich her, wollte aber auch keine Brust. Sie ahnen schon, wo das hin führt: Nach der Erkältung war einfach nicht mehr genug Milch für die Maus da. Ich habe also erstmal den Schnuller verbannt und vermehrt gestillt: wir haben uns im Bett eingeigelt und so viel gestillt, wie irgend möglich. Das Kind wurde und wurde aber nicht satt, schlief nur nach langem Schreien oder völlig verkrampft an der Brust mit knurrendem Magen ein. Die Hebi versicherte mir per Ferndiagnose, das sei bestimmt nicht so, sondern nur in meinem Kopf. Ich solle einfach so weitermachen und mich dringend beruhigen. Als der dritte Abend immer noch ein wütendes, hungriges Kind hervor brachte, war für mich aber der Punkt erreicht: ich würde zufüttern, scheiß egal. Ein sattes Flaschenkind wäre besser, als ein verhungerndes Stillkind. Ich habe dann oft versucht, eine Flasche Pre oder gepumpte Milch zu geben. Das Kind konnte damit aber gar nix anfangen, kein ml ging in sie hinein. Sie musste weiter mit den spärlichen Stillmahlzeiten leben und ich habe nur gebetet, dass die Brust schnell hinterher kommt. Über eine Anleitung, wie man gescheit wechselstillt, hätte ich mich sehr gefreut. Ich musste aber einfach viel experimentieren und das Netz durchforsten, weil meine Sorge keiner so recht ernst genommen hat: Das Kind nahm nämlich weiter zu, aber nur einen Bruchteil seiner normalen Zunahme (es waren etwa 150g, teils hatte sie zuvor jedoch bis zu 600g zugenommen). Mit diesen Werten im Hinterkopf beschwor mich die Hebi --wieder nur per Ferndiagnose-- alles sei gut. Ich solle so weiter machen, es sei doch nur ein Schub. Mein Kind schlief dann ewig lange, wachte nur noch zum Essen auf, pennte direkt wieder ein. Die Windeln waren aber weiter nass und reichlich, ich solle mich nicht sorgen. Endlich hatte ich das Gefühl, dass wieder ausreichend Milch da ist und auch meine Hebi hatte wieder Zeit für einen Besuch. Ich war froh und stolz, dass es nun wieder bergauf ging, wenn auch noch nicht alles perfekt lief. Als sie aber dann die Kleine sah, war sie geschockt: sie sei viel zu gelb, ich müsse direkt zum Arzt. Das habe ich auch gemacht. Der befand Gott sei Dank, dass die Maus gesund sei. Das vermehrte Gelb-Sein komme durch Resorption von Bilirubin aus dem Darminhalt zustande. Es war wohl zu wenig ausgeschieden worden. Aber das wiederum heißt doch, dass sie zu wenig Nahrung zum Verstoffwechseln bekommen hat. Ich habe mich also nicht umsonst gesorgt: Es war zu wenig Milch da, während ich fröhlich daneben saß und es einfach nicht gerafft habe --bis es fast zu spät war. Nun sind wir wieder besser aufgestellt. Das Töchterchen schläft aber immer noch viel und duldet es fast gar nicht, wenn die Brust je von ihr weg ist. Ist nach dem Trauma auch verständlich, denke ich. Beim "Nuckeln" meckert sie jetzt oft wieder, weil sie dabei "druckbetankt" wird, aber das ist mir nach den letzten zwei Wochen auch sehr lieb... Ich frage mich nun Folgendes: Meine Kinder sind beide sehr groß und schwer. Ich hingegen bin sehr klein und sehr leicht. Da wundert es mich nicht, wenn die Maus fast den ganzen Tag an mir trinken muss um satt zu werden. Viel Zeit um den Körper zu trainieren oder um die Welt zu entdecken hat sie da nicht. Sie hängt mit ihren 8 Wochen fast immer auf mir, entweder um zu trinken oder um zu schlafen. Sonderlich aktiv ist sie nicht. Meistens wird sie in ihrer Wachzeit versorgt (trinken/ waschen/ anziehen/ wickeln), mit Glück wird 10 Minuten gespielt (Wohnungsbesichtigung, Bilder angucken, Spielsachen mit dem Blick verfolgen... viel geht ja noch nicht), dann wird wieder genuckelt und geschlafen. Die Große war auch lange gelb, lange sehr schläfrig, ist spät gekrabbelt und spät erst gelaufen. Bin ICH vielleicht ein Störfaktor, der ihre optimale Entwicklung behindert? Die Hebi sagte, es sei nicht normal, dass das Kind so viel schläft... Dann war ich auch noch Schuld, dass sie wieder gelber wurde, obwohl sie dafür doch schon zu alt war. Ich habe das Gefühl, ich mache alles (oder zumindest die wichtigsten Sachen) komplett falsch. Wäre das Abstillen vielleicht sinnvoller, damit nicht so viel Zeit an der Brust verbracht werden muss? Dann wäre definitiv die Nahrung niemals knapp. Aber abstillen, nachdem wir so für die Rückkehr der Milch gekämpft haben? Unter welchen Umständen ist es vielleicht sinnvoller, die Flasche zu geben, anstatt zu stillen? Verzweifelt und unsicher, ZweifelistderTeufel

von ZweifelistderTeufel am 15.04.2021, 14:43



Antwort auf: Gibt es Umstände, unte denen man besser abstillt?

Liebe ZweifelistderTeufel, lass Dich erst einmal virtuell fest in den Arm nehmen, es tut mir so leid, dass Du solche Schuldgefühle hast. Die brauchst Du aber nicht haben, denn Dein Baby hat immer 150 Gramm zugenommen und das reicht wirklich. Dass es so gelb war, dafür kannst Du ganz sicher nichts und auch jetzt geht es Deinem Baby ja gut! Nein, ich würde nicht abstillen, denn Dein Baby muss noch keine große „Action“ haben, es erkundet seine Welt auf Deinem Arm und lernt, dass es bei Dir geborgen ist. Es wird von ganz alleine wacher werden und auch mobiler, im Moment hat es alles, was es braucht! Wenn Dich die Schuldgefühle allerdings so sehr plagen, wäre es vielleicht sinnvoll, wenn Du einmal mit einem Therapeuten sprechen würdest. Dieser kann Dir helfen, mit Dir selbst ins Reine zu kommen und vor allem zu erkennen, dass Du eine gute Mutter bist. Bei einem Münchener Psychologen und Arzt, S.K.D. Sulz fand ich in einem Buch einen sehr heilsamen Abschnitt: "Wir Eltern sollten den Mut haben, uns Versäumnisse einzugestehen. Ja, wir haben gravierende Entwicklungshemmungen unserer Kinder verursacht. Das ist nicht zu leugnen. Aber Verursachung ist nicht gleichbedeutend mit Schuld. Wir sind nicht schuld an den Grenzen unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Wir sind nicht schuld an einer eventuellen finanziellen Not, an eigener Arbeitslosigkeit, an der Not des Alleinerziehens nach einer Scheidung, an sonstigen gesellschaftlich oder politisch bedingten Stressoren, denen wir so ausgeliefert sind, dass zu wenig für unsere Kinder übrigbleibt. Wir sind zwar Mitverursacher, aber wir sind nicht schuld an Vergangenem. Und wir tragen Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft." (aus "Als Sisyphus seinen Stein losließ. Oder: Verlieben ist verrückt!", S.K.D. Sulz, CIP Medien 1999) Nur Mut, Babys sind Gott sei Dank mit einer gewissen Robustheit ausgestattet und verzeihen und vergessen schnell. Genieße die Zeit mit Deinem Baby jetzt umso mehr und mach Dir nicht das Leben unnötig schwer! Herzlichen Gruß Biggi

von Biggi Welter am 15.04.2021



Antwort auf: Gibt es Umstände, unte denen man besser abstillt?

Liebe Biggi, Es ist ja nun schon eine Weile her, aber ich möchte trotzdem ein kurzes Update geben, denn ohne Ihre lieben Worte wäre bestimmt einiges anders und womöglich schief gelaufen. Zunächst einmal: Ihr Beitrag hat mir sehr geholfen! Er hat bewirkt, dass ich eine andere Perspektive einnehmen konnte. Die Worte, dass Verschulden und Schuld unterschiedliche Dinge sind, begleiten mich auch jetzt noch und helfen mir immer wieder mal nach vornzu sehen. Ich glaube, zu Zeiten von Covid 19 und Mehrkindbetreuung zu Hause hat wahrscheinlich jeder Betreuende ab und an mit dem Thema "Momguilt" zu tun, da ist ein wenig Rüstzeug in dieser Art nie verkehrt ;P Ein weiterer Erfolg, für den ich Ihnen wahnsinnig dankbar bin: Trotz Kleinkindbetreuung in "Covid Einzelhaft", d.h. ohne Kindergartenbetreuung o.ä., wird die kleine Tochter trotzdem weiterhin erfolgreich gestillt und macht sich laut Kinderärztin prächtig. Ich habe sie seit dem letzten Beitrag sehr engmaschig untersuchen lassen. Sie haben es ja gesehen, ich habe mich recht allein mit meinen Sorgen und sehr verunsichert gefühlt; daher hat es mir einfach geholfen, vor Ort einen Ansprechpartner zu haben, der auch dezidiert Aussagen zum Gesundheitszustand der Kleinen treffen kann. Da es vielleicht jemanden mit ähnlichen Problemen gibt, hier nochmal, was mir nun gesagt wurde; Ja, der Ikterus resultierte daraus, dass Bilirubin über den Darm resorbiert wurde. Töchterchen hatte also zu wenig "verstoffwechselt" (so weit waren wir ja beim letzten Beitrag schon). Hingegen meiner Angst hatte das aber nichts mit mir oder mit meinem Verhalten und auch nur wenig mit der Erkältung zu tun. Es lag einfach an der Art der Entbindung und einer leichten Blutgruppenunverträglichkeit zwischen der Kleinen und mir. Sie hatte einfach ein wenig länger damit zu tun, das fetale Blut abzubauen und war deswegen kurzfristig etwas schlapper unterwegs. Dazu noch der Schnuppen und man ist eben etwas schläfrig und weinerlich, d.h. man verstoffwechselt dann auch weniger. Der Zustand war aber zu keiner Zeit besorgniserregend, sondern das alles ist ein normaler Prozess (unter den genannten Umständen). Da hat unsere Hebamme es wohl einfach etwas zu gut gemeint. Sie konnte ja auch nicht wissen, was für Gedanken ich mir machen würde und hatte so etwas in ihrer kurzen Laufbahn als Hebi anscheinend noch nicht beobachtet. Jedenfalls hat unsere Ärztin deutlich gespürt, wie getrieben und unwohl ich mich gefühlt habe und sich viel Zeit genommen, um mir ganz detailliert zu erklären, was die wahrscheinlichste Ursache für die gezeigte Symptomatik ist. Auch ihr bin ich unendlich dankbar, denn ohne Zuspruch und aufbauende Worte wären wir bestimmt nicht mehr am Stillen. Ihnen also nochmal ein ausdrückliches Dankeschön für Ihr Verständnis und die guten Tipps :) Das hat mich wieder aufgebaut und mir den Rücken gestärkt, als es richtig, richtig nötig war Liebe Grüße, ZweifelistderTeufel, die zumindest nicht mehr am VERzweifeln ist

von ZweifelistderTeufel am 11.05.2021, 13:52