Thema:
Sprache = Spiegel der Kultur
Ich weiss jetzt nicht mehr wo und wie ich im Thread unten antworten soll, also versuch ich es jetzt mal so.
Nach ueber zwei Jahrzehnten hab ich naemlich ganz deutlich gemerkt, dass Kulturunterschiede dem Aussenstehenden oftmals winzig und unwichtig erscheinen, im taeglichen Leben aber ganz deutlich hervortreten. Und das spiegelt sich dann automatisch auch in der Sprache.
Wenn man denkt, die Kulturen seien doch sehr aehnlich, kann man sehr schnell ins Fettnaepfchen treten. Den Fehler hatte ich leider auch gemacht, als ich nach Kanada kam. Schliesslich gibt es hier ja eine SEHR grosse Gruppe deutscher Einwanderer, die seit Jahrzehnten das Land auch mitgepraegt haben. Kann also nicht sooo anders sein als ich Deutschland ... weit gefehlt.
Wenn in Deutschland offene und ehrliche Kommunikation als eine Tugend gesehen wird, so finden Kanadier diese Art als extrem unhoeflich und abstossend. Spricht man in D so wie in Kanada/USA, so wird man als oberflaechlich abgetan ....
Es gibt viele Vokabeln im Deutschen fuer die es im Englischen keine direkte Uebersetzung gibt. Und umgekehrt. Das hat seinen Grund!
In der englischen Sprache wird nicht gesiezt. Man spricht hier alle gleich mit Vornamen an. Das ist eine ganz andere Kultur als in Deutschland. Akademische Titel gehoeren in Deutschland zum Namen, hier nicht. Das sind sprachliche Zeichen fuer eine gewisse Formalitaet im Umgang miteinander. Das sind sehr wichtige kulturelle Unterschiede.
Das sind jetzt nur ein paar Beispiele, die mir auf die Schnelle einfallen. Es gibt viele viele mehr. Als Uebersetzerin hab ich immer dann die groessten Probleme, wenn ich auf Worte stosse, die unuebersetzbar sind, weil das Konzept im anderen Land einfach nicht exisitert.
"Vergangenheitsbewaeltigung" gibt es in keinem anderen Land, Bernhard Schlink hat in einem Buch ein ganzes Kapitel gebraucht, um dieses Wort ins englische zu "uebersetzen". Und ja, das hat unsere deutsche Kultur gepraegt.
Gruss
Beatrix
von
Beatrix in Canada
am 06.07.2013, 15:47
Beatrix,
die Frage in wie weit Sprache und Kultur sich gegenseitig beeinflussen ist eine der aeltesten Debatten in Linguistik und in cognitive science und es gibt dazu jede Menge Studien. Der wiki Artikel hier hat dazu viel Informationen und Links:https://en.wikipedia.org/wiki/Linguistic_relativity
von
Alba
am 06.07.2013, 16:59
... mit den quasi unübersetzbaren Wörtern - diese Erfahrung habe ich z.B. zwischen Tschechisch und Deutsch auch gemacht. Obwohl man ja hier oft von "EINEM Kulturkreis" spricht usw. - Nachbarländer, historische Aspekte... etc. Aber es gibt diese Unterschiede schon. Interessant, finde ich...
von
MM
am 07.07.2013, 00:06
Patronizing und condescending sind zwei Begriffe fuer die ich seit Jahren eine angemessene Uebersetzung ins Deutsche suche. Die deutschen Begriffe dafuer haben nicht den gleichen emotionalen Impakt den die englischen Begriffe zumindestens in GB und in NZ haben.
Eines der wichtigsten Argumenter aller die Minoritaetensprachen, von Gaelic ueber Welsh und Maori und was sonst auch immer, vor dem Aussterben bewahren wollen ist stets, dass der Tod einer Sprache auch den Tod einer Kultur bedeutet.
von
Alba
am 07.07.2013, 08:15
Echt? Ich finde persoenlich den Begriff "herablassend" sehr schoen, sowohl als Uebersetzung fuer patronizing, als auch fuer condescending, selbst wenn beide Worte noch leichte Nuancen haben.
Ansonsten finde ich auch, dass es vielleicht nicht einmal so sehr Vokabeln als vielmehr sprachliche Wendungen und Ausdruecke von Ideen gibt, die sich nicht gut von einer in eine andere Sprache uebersetzen lassen.
Gruss
FM
von
Foreignmother
am 08.07.2013, 09:45
Ich glaube es ist weniger die direkte Uebersetztung der Woerter als die Gewichtung. Meiner Erfahrung nach, in GB und NZ, nicht in den USA, ist es sehr viel schlimmer wenn man in einer Diskussion als patronizing/condescending bezeichnet wird als zB als aggressive. Irgendwie fehlt mir im Deutschen ein Wort das einen aehlichen oomph hat.
von
Alba
am 08.07.2013, 10:29
Interessant, ich haette jetzt gesagt, dass "herablassend" oder "arrogant" aehnlich vernichtende Urteile ueber den so Bezeichneten faellen wuerden. Aber eine schoene Diskussion in jedem Fall.
Alles Gute aus der sonnigen Westschweiz nach Schottland und herzlichen Glueckwunsch zum schottischen Wimbledon-Gewinn!
Gruss
FM
von
Foreignmother
am 08.07.2013, 12:01
Sonnig ist es heute in West-Schottland auch.
Beim match ball konnte man gestern aus einigen Haeusern um uns rum, einschliesslich unserem, den Jubel hoeren.
von
Alba
am 08.07.2013, 12:15
Oh ja! So gibt es in Italien kein eigenes Wort für Löten, es heisst dann einfach schweissen mit Zinn. Schweissen in D, in einer Industrienation par excellence, wird hingegen sehr differenziert behandelt.
Das ist nur EIN Beispiel, ich kenne sehr viele dieser Art.
LG
Mitglied inaktiv - 07.07.2013, 19:57
Das ist eine der Fehlvorstellungen: "you" ist das hoefliche "Euch", "Du" war das alte "thou", das inzwischen verlorengegagen ist.
Was die Englaender (und auch die Amerikaner) aber machen, ist, aehnlich wie die Franzosen "Sie" bzw. "Ihr/Euch" und Vornamen zu benutzen.
Gruss
FM
von
Foreignmother
am 08.07.2013, 09:42
Oh das ist ja mal interessant. Hab ich noch nie gehört.
von
Kuona
am 08.07.2013, 11:41
Im Kölschen gibts das übrigens auch: Die Anrede "ehr" ("Ihr") an eine Einzelperson hört man noch oft.
von
Pamo
am 08.07.2013, 12:23