Elternforum Mehrsprachig aufwachsen

Zu spät?

Mehrsprachig aufwachsen
Zu spät?

Baghira222

Hallo, unsere beiden Kinder (1 und knapp 2,5) sollten eigentlich zweisprachig aufwachsen, das war der Plan. Wir leben in Deutschland, meine Muttersprache ist Deutsch, die Muttersprache meines Mannes ist Arabisch, mein Mann und ich unterhalten uns auf Deutsch. Ich betreue beide Kinder zu Hause, Deutsch ist also nicht das Problem und die Große spricht es bereits wirklich gut. Das Problem ist, dass mein Mann einfach zu nachlässig ist und nicht konsequent Arabisch mit den Kindern spricht, sondern die meiste Zeit Deutsch. Die Große protestiert mittlerweile auch schon, wenn er Arabisch mit ihr spricht, weil sie einfach nichts versteht. Sie spricht nur ein paar Wörter Arabisch. Ich finde es total schade und meinem Mann ist es eigentlich auch sehr wichtig, dass sie seine Muttersprache lernen, aber er ist da einfach zu nachlässig. Wie würdet ihr unsere Situation einschätzen? Kann man da noch was machen, wenn man jetzt wirklich dranbleibt oder ist es vor allem bei der Großen schon zu spät? Und habt ihr Ideen, wie man damit umgeht, wenn der Partner nicht dahinter ist? Es frustriert mich sehr, aber das ist sein Part und ich kann ja nichts machen außer es ihm immer wieder zu sagen. Sie können sich ja auch später mal nicht mit ihrer im Ausland lebenden Familie unterhalten, da sie alle nur Arabisch sprechen. Danke schon mal!


DK-Ursel

Antwort auf Beitrag von Baghira222

Hej und willkommen in der Gruppe! Zu spät ist es (so gut wie) nie, selbst wenn die Kinder nur etwas oder nur passiv verstehen, was gesagt wird, haben sie ja doch eine ganz andere Voraussetzung zum Erlernen bzw. Aktivieren der Sprache, wenn es dann drauf ankommt. Aber natürlich wird es (erstmal) schwerer, w je mehr Zeit man verstreichen läßt, und gerade die Zeit, in der die Kinder klein und noch viel zuhause sind, sind die prägendsten Jahre, in denen man noch am meisten Einfluß hat. Später sind sie weitaus mehr aus dem Haus oder haben ihre Kameraden mit, die die andere Sprache nicht sprechen, weswegen vieles eben in der Umgebungssprache vor sich geht. Habt Ihr Kontakt zu anderen aus dem Land deines Mannes? Habt Ihr Möglichkeiten, Bücher in der Muttersprache Deines Mannes zu bekommen? Dann hätte er z.B. feste Vorlesezeiten, das motiviert ja auch beide. Je nachdem könntet Ihr zumindest mit der Großen auch kleine arabische Kinderfilme anschauen - da läßt sich ja auch viel raten und am Bild sehen, was passiert - und man versteht dann irgendwann auch mehr als nur am Anfang. Wichtig ist natürlich ,daß er sich klarmacht, daß ER der einzige ist, der den Kindern diese Sprache gut vermitteln kann. Sowas kommt nämlich nicht, wie manche glauben, von alleine, sondern erfordert Einsatz. Er muß sprechen, er muß jede Möglichkeit nutzen, er muß bei der Stange bleiben - er ist der Verantwortliche. Vielleicht kannst Du versuchen, rudimentär seine Sprache mitzulernen? Das geht gut mit kleinen Kindern deren Wortschatz und Satzbau noch recht einfach ist. neben dem Effekt, daß Du etwas lernst und noch ein bißchen mehr Möglichkeit für die Sprache eingeräumt wird, ist es auch ein gutes Signal, wenn Mutter sich genauso bemüht, bemühen muß wie die Kinder, die jetzt eben wirklich erstmal dichtmachen, weil sie nichts verstehen. Es ist nicht zu spät, aber der Zug fährt langsam ab, wenn er nicht dran bleibt. Ich habe in anderen Foren durchaus auch Mütter erlebt, die erstmal nur die Umgebungssprache mit ihren Kindern sprachen und durch unsre Mutmachtpostings zu ihrer Muttersprache wechselten, meistens doch mit Erfolg. Nicht zuviel erwarten, einfach die andere Sprache mit dem Kind so viel und so oft wie möglich sprechen. Alles Gute und erzäöhl mal, wie es weitergeht bei Euch!


Baghira222

Antwort auf Beitrag von DK-Ursel

Hallo DK-Ursel, Ganz lieben Dank für deine hilfreiche Antwort! Kontakt zu Anderen aus seinem Land haben wir leider bislang nur ganz vereinzelt, ich hoffe dass sich da noch was ergibt. Regelmäßig sind nur die Video-Telefonate mit seiner Familie. Seine Eltern und die Geschwister sind am Telefon auch sehr, sehr bemüht, aber die Große blockt oft ab, ich vermute hauptsächlich weil sie nichts/wenig versteht. Die Vorlesezeit finde ich eine gute Idee, wir haben einige arabische Bücher und kommen auch leicht an Neue, und dann haben wir auch noch ein paar sehr tolle Wimmelbücher. Da dachte ich mir eigentlich immer dass die noch viel besser sind als Bücher in seiner Sprache, weil man da ja einfach drauf los erzählen und zeigen kann, was es alles so zu sehen gibt. Und eben ganz viele Alltagsszenen. Arabische Kinderfilme findet mein Mann auf jeden Fall super, wäre es da wichtig dass er da mit dabei ist und auch etwas dazu sagt? Ich werde auf jeden Fall versuchen mitzulernen, ich kann immerhin die Schrift schreiben und lesen, mit dem Sprechen und Verstehen hält es sich leider noch sehr in Grenzen. Da fällt mir noch etwas ein - im Arabischen gibt es ja die Hochsprache, und dann in jedem Land einen eigenen Dialekt. Mein Mann kann die Hochsprache, spricht aber mit den Kindern Dialekt (was denke ich auch Sinn macht, die Hochsprache ist zwar auch sehr wichtig, aber für den Kontakt mit der Familie ist der Dialekt wichtiger). Sollte man da bei Filmen darauf achten, dass sie dann auch im Dialekt sind? Ganz lieben Dank nochmal!


DK-Ursel

Antwort auf Beitrag von Baghira222

Hej nochmal! Schön, daß ich Dir ein paar Anregungen geben konnte. Es kann Deinen Mann ja eigentlich nur motivieren, jetzt wirklich loszulegen, denn er sieht ja, daß das Verständnis, sowohl das konkrete Verstehen als auch das Verständnis dafür, was diese noch fremde Sprache eigentlich soll, nachläßt. Das wird ja nicht besser, wenn er/Ihr nicht gegensteuert! Und wie bei allem gilt eben: je öfter, je mehr man es tut, umso besser wird es. Schön, daß Vorlesen eine gute Option ist. Vorlesen ist IMMER wichtig, es erweitert den Wortschatz und die Grammatikstukturen in jeder Sprache. Ich fand auch immer toll, daß dabei auch immer Stimmung herrscht, das kind verbindet also gerade in Eurem etwas schwierigerem Fall die gute Stimmung und das Gefühl, „Vater nimmt sich Zeit nur für mich“, mit der zunächst schwierigen Sprache. Das ist ja viel schöner und auch effektiver als Pflicht und Zwang. Dasselbe gilt für Filme, die man ja eh erst spät einsetzt, um Kinder nicht zu früh an den Bildschirm zu gewöhnen. Auch dt. Kinderfilme haben meine Kinder nie allein gesehen. Und die Filme UNTERSTÜTZEN nur, sie sind kein Ersatz für den Einsatz Deines Mannes! Wimmelbücher sind gut für Gespräche, ganz bestimmt, aber wechselt ab, wenn ihr könnt. Geschichten wirken wieder anders. Und selbst wenn das Kind konstant bei der Umgebungssprache bleibt und in ihr fragt/antwortet: immer schön selber Arabisch sprechen! Das Verständnis ist schon gaaanz viel, die passive Sprache läßt sich schnell ausbauen. Nicht aufgeben , nicht schimpfen, nicht zwingen! Ich denke , bei der Frage, ob Dialekt oder „Hochsprache“ sollte Dein mann nachfühlen: was kommt ihm besser , natürlicher über die Lippen, was rutscht ihm spontan raus, wobei fühlt er sich wohler? Denn neben dem Zeitfaktor ist auch wichtig , daß die Sprache kein künstliches Projekt ist, sondern sich in Euer Familienleben einfügt.. je selbstverständlicher es ist, daß Mutter so und Vater anders redet, umso selbstverständlicher können Kinder das akzeptieren. Und auch für Deinen Mann ist es ja leichter, das zu sprechen , was ihm am Herzen liegt 7nd sich nicht zu eine4 wesensfremden Sprache zwingen zu müssen. Diese 2. Muttersprache ist keine saure Pflicht, kein Zwang, kein lernprojekt oder Lernziel, sie ist eine 2. Muttersprache. Fertig. Und Deutsch lernen Eure Kinder auch nicht durch Zwang und Ermahnungen, sondern durch Hören und aktives Sprechen.! Viel Glück… es lohnt sich!


grüne Sonne

Antwort auf Beitrag von Baghira222

Hallo Baghira, ich habe beruflich viel mit mehrsprachigen Familien zu tun, wobei es dort oft eher so ist, dass zu Hause nicht deutsch gesprochen wird und dann durch Krippe/Kindergarten/ Schule dazukommt. Deshalb erst mal zu dem Punkt "zu spät": Zu spät ist es sicher nicht, da viele Kinder ja auch erst später mit dann deutsch in Berührung kommen und die Sprache dann sehr schnell trotzdem dann fließend beherrschen. Natürlich ist es einfacher wenn die ganze Umgebung das spricht, aber trotzdem zu spät ist es nicht. Und ansosnten gebe ich DK-Ursel recht. Kinder können Sprachen besser erwarben als lernen, sie sollte also ganz natürlich da sein. Viellicht kann dein Mann ja auch mal zu dir einfach öfter "aus Spaß" ein paar Sachen auf Arabisch sagen und du versuchst es zu wiederholen. So dass du einen kleinen "Unterricht" bekommst, die Kinder aber einfach nur durch Zuhören die Sprache erweben. Und schließlich wenn die Kinder im Kindergartenalter sind werden ja auch Buchstaben interessant. Da wäre es natürlich auch toll z.B den Namen/Mama/Papa... auf arabisch aufzuschreiben. Und ein letzter Tipp (auch wenn sie noch ein bisschen älter sind) Ich kenne eine Familie, da fanden es Mama und Sohn total lustig Wörter auf ihrer "Geheimsprache" zu haben, die sie besser können als der Papa. Ganz viel Spaß beim lustigen Sprachenausprobieren :)


Baghira222

Antwort auf Beitrag von grüne Sonne

Hallo Grüne Sonne, Ganz lieben Dank dir auch für deine Tipps und Ermutigung! Ich versuche es jetzt einfach auch entspannter zu sehen und nicht zusätzlich noch Druck reinzubringen, da blockieren sowohl mein Mann als auch die Große und damit ist ja wirklich gar keinem geholfen. Ich hatte da glaube ich auch falsche Vorstellungen und dachte das bekommt man problemlos hin, dass die Kinder als Erwachsene beide Sprachen fließend sprechen und muss jetzt eben feststellen, dass das nicht so ist. Vielleicht ist es besser einfach bemüht zu sein und zu bleiben, ohne Druck, und das Resultat dann so anzunehmen wie es ist. Wir schaffen ihnen die Möglichkeit, die Sprache zu lernen so gut wir es hinbekommen und die Kinder ergreifen die Chance oder eben auch nicht und das ist dann so in Ordnung. Mir sind auch noch Kreativ Tonies eingefallen, da können wir ja auch arabische Lieder oder Geschichten aufspielen. Danke!


manira

Antwort auf Beitrag von Baghira222

Hallöchen, war schon lange nicht mehr in diesem Forum...gerne möchte ich dir weiteren Input geben: Zu spät ist es nie, aber klar je früher desto besser. Ich habe leider meinen Mädels (nun 17 und 16) die Zweisprachigkeit nicht geben können aus mangelnder Konsequenz. Als ich damit anfangen wollte, fühlte sich "nicht mehr natürlich" an, mit den Kinder in meiner Muttersprache (Spanisch) zu sprechen. Zudem kam die Weigerung der Kinder dazu, sie waren bereits im Kindergarten und somit die Umgebungssprache einfach zu stark. "Legendär" war die Aussage meiner Großen, müsste so 4 J alt gewesen sein: "Wir sind in Deutschland und deswegen sprechen wir hier Deutsch! Wenn du Spanisch mit mir redest, werde ich nicht mehr antworten!!!" Zwang hätte es wahrscheinlich eher geschadet. Meine Kinder verstanden die Sprache, mehr oder weniger. Uns hat geholfen: - Kinderbücher auf Spanisch. Es gab sogar welche in einer zweisprachigen Version: links DE, rechts SP. Die DE Seite hat mein Mann vorgelesen und zwar nur er. Ich die spanische Seite. Fanden die Kinder spannend und sogar lustig. Ab und zu sogar: Kinder in der Mitte oder auf dem Schoß, Papa liest zuerst die DE Seite, ich dann im Anschluss die SP Seite, dann Seite blättern... Das hat bei uns viel positives bewirkt. - Wir haben irgendwann mal ein Spielchen angefangen:" Papa sagt Mamá dice". Ich sagte zB Mamá dice muñeca, und die Kinder durften Papa sagt Puppe ergänzen. Wir haben zuerst nur in dieser Richtung gespielt, weil es für die Kinder so einfacher war. Mein Mann wurde auch manchmal eingebunden, und durfte mitspielen, die Freude und Motivation wenn sie etwas schneller als der Papa wussten war groß. Irgendwann haben wir angefangen es umgekehrt zu spielen, anfangs war es schwieriger aber es wurde ihnen schnell bewusst wie viel sie schon aktiv am Wortschatz haben. - Letzendlich war die größte Motivation für beide, die Sprache nicht mehr "abzulehnen " der Wunsch, sich mit meiner Familie in Peru zu unterhalten. Wir waren alle 2 Jahre in Peru. Der muttersprachliche Niveau haben beide nicht erreicht. Die Große hatte Spanisch als spätbeginnende Fremdsprache 3 Jahre aif dem Gymnasium gehabt. Sie hat die Abi mündliche Prüfung in Spanisch mit 15  Punkten abgelegt. Sie kann inzwischen flüssig mit meiner Familie unterhalten, hat noch einen starken Akzent. Aber ich bin sehr dankbar, dass wir doch unseren Weg finden konnten. Die Kleine war etwas "schwieriger". Sie hat nun auch Spanisch als spätbeginnend gewählt. Es war ihre Entscheidung und ihr ausdrücklicher Wunsch. Wir waren im Mai in Peru, zum ersten Mal hat sie überall und mit jedem Spanisch gesprochen, es fiel ihr hier und dort schwer aber sie wollte beim Spanischen bleiben. Hier zurück in Deutschland möchte sie aber, dass ich Deutsch mit ihr spreche. Aber wir haben nun vereinbart, dass ich in der Sprache mit ihr sprechen werde, die sich in dem Moment natürlich anfühlt. Nach Peru hat sich auch bei mir was geändert, Spanisch mit den Kindern zu sprechen fühlt sich in vielen Situationen natürlicher an.    Rückwirkend betrachtet: die Kinder wünschen sich, ich hätte ihnen Spanisch als Muttersprache mitgeben sollen.  Sie sagen aber auch, für sie war es wichtig, dass der Papa auch Spanisch versteht, damit er sich nicht "ausgeschlossen" fühlt.  Ohne die starke familiäre Bindung zu meiner Familie und meiner Kultur hätten sie beide diesen starken Wunsch nicht gehabt, Spanisch doch noch aktiv zu lernen. Euch alles Gute!