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Neue Bezugsperson mit neuer Sprache miteinbeziehen

Thema: Neue Bezugsperson mit neuer Sprache miteinbeziehen

Hallo, hat hier jemand so eine ähnliche Situation gehabt, dass bei zweisprachigen Kindern noch eine Bezugsperson dazukommt, die eine dritte Sprache als Muttersprache hat und die ersten beiden schlecht spricht? Wie verkauft man das den Kindern? Das "Einfache" an der Sache ist, die neue Sprache ist ja "nur" polnisch, und das ist schon gut mit Russisch (und Ukrainisch) verwandt, so dass ich es wirklich gut verstehe, und der Mensch versteht auch recht gut Russisch, und etwas Deutsch auch. Ich lasse die drei viel miteinander reden, in welchen Sprachen sie auch immer wollen, und übersetze nur ab und zu, wenn ich sehe, dass sie wirklich nicht weiterkommen, es aber wichtig ist. Ansonsten habe ich ihnen ein paar ganz wenige Wörter auf polnisch vorgesagt, die mir wichtig erschienen. Ansonsten sprechen die Kinder Russisch, kriegen Polnisch zu hören, und scheinen damit zurecht zu kommen. Es finden aber keine längeren Gespräche statt, sondern eher so kurze Sätze wie "Heute bin ich im Park Roller gefahren und bin gestürzt!" Bei längeren Erzählungen habe ja auch ich Mühe, da wirklich alles zu verstehen. Wie würdet ihr das handhaben? Sollte ich versuchen, den Kindern etwas mehr Polnisch beizubringen, oder es einfach laufen lassen, solange es zu funktionieren scheint?

von Ivdazo am 07.09.2020, 20:48



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Wie alt sind denn die Kinder? Je jünger sie sind, umso weniger würde ich irgendwas gezielt "beibringen". Umgekehrt - je älter die Kinder sind, umso eher kann man (muss aber nicht) ein paar Wörter "einführen", etwa "falsche Freunde" erklären, über die man im Alltag stolpert (für Ru fällt mir jetzt nichts ein, aber Cz heisst z. B. jahoda 'Erdbeere', im Pl. jagoda 'Blaubeere'). Ansonsten würde ich das ganze eher dem Geschehen überlassen, es kommt aber auch viel darauf an, wie gut sich die Kinder mit der Person kennenlernen sollen, ob es wichtig ist, dass sie wirklich zur Vertrauensperson wird, oder ob es nur ein/e nette/r Bekannte/r bleiben kann. In "Krisensituationen", also wenn die Kommunikation stockt, vermittelst Du ja. Ich tendiere eher zu der Sichtweise: wenn sie von selber mehr Interesse entwickeln, gerne, wenn nicht, lass ich sie "in Ruhe". Die Kommunikation "jeder spricht seins und versteht das des andern" ist sicher gewöhnungsbedürftig und für manche auch seltsam, aber prinzipiell spricht bei solchen "genetisch verwandten" Sprachen für mich nichts dagegen, wenn es funktioniert. Überhaupt habe ich persönlich kein Problem, wenn mir mehrsprachige Kinder anderssprachig antworten, also sprechen, wie es ihnen am angenehmsten ist und die andere Sprache nur passiv "nutzen". Bin da nicht so "ehrgeizig" Aber schreib doch mal, wie sich das entwickelt, das ist spannend :-)

von Kacenka am 08.09.2020, 09:11



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Hej Ivdazo und Kacenka! Wie immer Kacenka: So ähnlich war auch mein erster Gedanke. Wie alt sind die Kinder und stört es sie,daß sie evtl. (zu) wenig verstehen? Und nein, ich würde so wenig wie möglich "Unterricht" aus einer Sprache machen, die sie mi Alltag - täglich - gerne verwenden sollen. Je mehr man da was verschult, umso größer kann sich auch eine Abneigung entwickeln... Letztendlich lernen kinder Sprache durch Nachahmung, und je kleiner sie sind, umso besser. Liest die Person ihnen vor? Spielen sie zusammen? Dann erwerben sie den Wortschatz, den sie brauchen. Übrigens habe ich Dänisch kaum anders gelernt: Zwar habe ich mir - als junge Erwachsene - ein paar der einfachen Grammatikstrukturen erarbeitet,autodidaktisch: und den Rest habe ich durch Hören und Sprechen gelernt. Ich bilde mir ein, das nicht allzu schlecht zu können , Kinder sind da noch schneller und wesentlich begabter als unsereiner. es ist doch eigentlich auch eine interessante Erfahrung für die kinder: Eine Sprache umgibt sie, die sie nicht gut beherrschen (und umgekehrt natürlich). UND: Ähnlichkeiten sind vorhanden, können helfen - aber eben auch zu Mißverständnissen führen. Dabei können sie doch viel über Kommunikation und Sprache(n) lernen, so ganz abstrakt und ohne daß man es verbalisiert. Aber auch bin gespannt, wie es weitergeht. Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 08.09.2020, 10:31



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Ich würde alles so laufen lassen, wie‘s funktioniert. Trotzdem noch eine anmerkung von mir: ‚Heute bin ich im park roller gefahren und gestürzt‘ ist sprachlich eine hochkomplexe angelegenheit. Nur schon das verb ‚fahren‘ - das ist ein kampf für jeden nichtmuttersprachler, der eine slawische sprache erlernen möchte. Wenn die kinder das auf russisch können, dann switchen sie zum polnischen ‚fahren‘ ohne probleme, verbreitern jedoch den pfad ihres slawischen sprachentrassees. Die polnische deklination ist zudem eine wahnsinnige herausforderung und wenn die kinder so nebenbei mitbekommen, was polnisch zu bieten hat, dann ist das eine tolle chance. Alles gute!

von kunstflair am 08.09.2020, 21:44



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Hallo, jetzt habe ich das ein paar Wochen beobachtet, wie die Kinder mit der neuen Sprache zurechtkommen. Mittlerweile sind die Kinder auch so weit, alleine (ohne mich) von dem Mann betreut zu werden, so dass ich auch wieder arbeiten kann stundenweise. Wir haben es meist einfach laufen lassen, nur einige wenige "falsche Freunde" immer wieder mal übersetzt, oder wenn die Kinder gar nicht verstanden, was gesagt wurde. Auch muss der Mann sich abgewöhnen, auf die Kinder "Rücksicht zu nehmen", d.h. russische Wörter zu verwenden statt polnische. Das macht er sehr gerne, vor allem jetzt bei den häufigen Wörtern, die im Polnischen ganz anders sind als im Russischen (T-Shirt, anziehen, Spielplatz). Mittlerweile kennen die Kinder ja auch die polnischen Wörter, ist ja nicht so wie anfangs, dass sie nicht verstanden, was er sagt. Der Kleine (fast 3 Jahre) kommt schon gut mit Polnisch zurecht, spricht schon mehrere Wörter. Die Große (5 Jahre) hat da kleinere Fortschritte, aber sie hat auch in den anderen beiden Sprachen (Russisch und Deutsch) ein langsameres Lerntempo als ihr Bruder. Sie kommt auch zurecht, aber mich (!) stört bei ihrem Polnisch am meisten, dass sie kaum jemals nachfragt, wenn sie etwas nicht verstanden hat. Gut finde ich dagegen, dass die Kinder im Moment fast nur slawische Sprachen hören, da sprechen sie auch Russisch viel besser, fällt vor allem bei der Großen auf, dass der Wortschatz am Wachsen ist, und auch die Grammatik bzw. Satzbau leichter fällt. Das war nämlich eine meiner Sorgen, dass Deutsch so stark ist in der Umgebung, dass die Kinder Russisch kaum können. Jetzt ist es ja zum Glück ausgeglichener, und hoffentlich bleibt es auch so, dass die Kinder dreisprachig aufwachsen können.

von Ivdazo am 22.09.2020, 12:10



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Hej Ivdazo! Das klingt doch richtig gut und vor allem auch sehr interessant. Danke für die Rückmeldung, ich lese so etwas sehr gerne!!! Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 22.09.2020, 14:06



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Klingt doch super! Das mit dem Nachfragen ist total interessant - meine beiden sind da auch total verschieden - der Grosse hat immer gefragt und macht es auch noch: wenn er etwas nicht versteht, und sogar, wenn er wörter in einer bestimmten Sprache nicht weiss und jemand in der Nähe hat, der ihm da weiterhelfen kann. Der Kleine viel weniger - warum auch immer - jedenfalls nicht, weil er sprachlich ein langsameres Tempo hat. Da muss man beim Vorlesen schon fast Hellsehen und die richtigen Wörter, die er evtl. noch nicht kennt, IHN fragen, um zu merken, dass er gar nicht alles versteht...aber inzwischen macht er es seinem Bruder auch manchmal nach, ist aber auch schon grösser... Euch weiter alles gute! K

von Kacenka am 22.09.2020, 19:04



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Jetzt wo Du das schreibst,Kacenka, erinnere ich mich auch: Die Große konnte kaum sprechen,da stand sie neben mir und wiederholte ein Wort mit fragendem Blick,der sagte: So richtig ausgeprochen? Und als ich nickte, rollte sie es sich noch ein paarmal auf der Zunge und ging glücklich oder wenigstens zufrieden von dannen. Die "Kleine" fragte auch höchstens jetzt hin und wieder ,sowohl auf Dänisch als auf Deutsch, wenn ihr etwas spanisch vorkommt - sie versucht lieber, alles allein rauszufinden. Obwohl beide gut Deutschsprechen und auch schreiben, hat die "Kleine" en paar Defizite und sie würde ich auch nicht unbedingt als den sprachlichen Typ bezeichnen... Ob das nicht oft so ist - die Erstgeborenen haben ja auch mehr Zeit mit ihren Eltern und sind daher egal ob mehr- oder einsprachig erstmal deutlich sprachlich im Vorteil... Es gibt ja auch so Rollenverteilungen in der Geschwisterfolge - sehr interessanter Lesestoff, übrigens - völlig unabhängig von Mehrsprachigkeit! Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 24.09.2020, 10:38



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eigentlich dachte ich eher, es ist so eine Typfrage, aber vielleicht hängt es ja auch mit der Geschwisterfolge und Rollenverteilung zusammen... wobei der Kleine bei uns insgesamt mit viel mehr Selbstsicherheit beseelt ist...aber vielleicht ist er auch der bessere Beobachter? Ich weiss nicht, sie sprechen beide ganz gut deutsch, trotz des wesentlich selteneren Kontakts mit dieser Drittsprache. Für den Wortschatz ist das Nachfragen aber definitiv von Vorteil, da merkt man den Unterschied dann schon - trotz allem. Nur bei uns war es halt so, dass der Kleine viel früher angefangen hat zu sprechen - warum auch immer. Der Grosse erst so richtig nach dem zweiten Geburtstag,d ann aber fast sofort mit zweiwort-verbindungen. Also er hat die Phase wo einzelnes benannt wird, praktisch nur für sich allein und stumm mitgemacht - wir haben ganz viel Bilderbücher geschaut und er hat Dinge, die man ihm genannt hat, gezeigt... Auch das hat sicher Wortschatzmässig viel gebracht, wärend der Kleine zwar auch gerne Bücher geschaut hat, aber da sassen wir längst nicht soo viel und so inRuhe wie mit dem Grossen - klar. Andererseits haben den Kleinen viele Dinge auch gar nicht soo wahnsinnig interessiert, die mit Wortschatz zusammenhängen - etwa Namen von Tieren und Pflanzen, das wollte der Grosse schon von klein auf alles wissen und auch in allen drei Sprachen. Dem Kleinen reichte der Begriff "Blume", "Baum", beim Rest hat er auf Durchzug geschaltet... dafür hat er von Klein auf viel mehr gemalt und ist da drin jetzt auch viel weiter als sein grosser Bruder in dem Alter... also ich weiss nicht, es kommt eins ins andere und entwickelt eben seine Dynamik

von Kacenka am 25.09.2020, 10:04



Antwort auf Beitrag von Kacenka

Hej! welcher Typ man ist, hängt ja auch mit der Geschwisterfolge zusammen, Kacenka. Die Erstgeborenen sind meistens recht ernsthafte, nachdenkliche, verantwortungsvolle und wißbegierige Typen - wenn diese Rolle also schon besetzt ist ist in der Familie, dann sucht sich Nr. 2 das, worin es glänzen kann... Natürlich unbewußt. Ich habe mal gelesen, daß bei Nr. 7 die Reihe von vorne anfängt (Vielleicht ist der verantwortungsvolle Bruder/Schwester dann schon so groß, daß man nicht mehr in Konkurrenz treten muß?) Unsere Jüngste ist nicht sehr selbstbewußt, hat sich viel zu viel mit der Großen verglichen - das hat natürlich auch andere Gründe als die normale Geschwisterkonkurrenz, sie hatte in ihrer Teeniezeit schwere Identitätsprobleme und daraus folgend oder parallel auch andere psychische Einbrüche, aber ês war deutlich,daß sie nicht dümmer, nur weniger sprachinteressiert war. Alle haben die Große in einem Beruf mit Sprache gesehen - an der Uni, in Lektoraten, Dolmetscher, Journalist etc. - nun studiert sie Jura (und somit ja auch eine ganz andere Sprache ) Die Jüngste war immer in Bewegung, motorisch früh sehr gut und ein echter kleiner Draufgänger - die lernt heute auch was Praktisches und war nie so "boglig", wie man hier zu Leuten sagt, die sich ihr Wissen gern anlesen und erstmal die Theorie begreifen wollen. Die Jüngste ist der Typ "learning by doing". Ihr Deutsch ist ein bißchen fehlerhafter als das der Großen, aber beide sprechen und schreiben es sehr gut - d.h. also auch,daß verschiedene Lerntypen durchaus ähnliche Ergebnisse erreichen können (wie ich ja auch bei meinen erwachsenen Schülern sehe und jeder Lehrer sicher von den Kindern her weiß). Daher muß man ja auch die Lehrmethoden oft anpassen in der Schule, wenn man Wissen vermittelt - bei Muttersprachen ist das ja ein bißchen anders, und doch holen sich die Kinder, was sie wie brauchen. die einen durch Nachfragen,die anderen durch ausprobieren (und wird man verstanden, reicht es eben erstmal, bis sich anderes einschleift). Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 25.09.2020, 10:45