Trotzphase: Mein Kind trotzt stark

Trotziges Kind

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Trotzkinder sind zu allem fähig: peinliche Schreianfälle im Supermarkt, Boxattacken gegen Papa, Sofakissenweitwurf auf den Esstisch, weil es heute nicht die geliebte Gelbwurst gibt.

Lesen Sie hier, wie man als Eltern damit umgehen sollte und was hinter der Trotzphase steckt.

Ein Wut-Zwerg in der Trotzphase

Weniger als 20 Meter liegen zwischen dem zweijährigen Simon und der Haustür. Aber der kleine Junge will jetzt nicht mehr. Statt die letzten Schritte zu gehen, lässt Simon sich dramatisch auf den Boden fallen, weint und schreit, schimpft und zetert. Und das nur, weil seine hochschwangere Mutter ihn nicht tragen will. Passanten schauen den kleinen Jungen teils belustigt, teils mitleidig an. Simons Mutter weiß, dass es keinen Grund gibt, warum er nicht mehr laufen könnte. Sie bleibt mit ein wenig Abstand zu ihm stehen, versucht auf ihn einzureden, ihm zu erklären, dass sein "Theater" viel mehr Kraft kostet als die letzten Meter noch zu laufen. Doch das bringt nicht. Simons Wutanfall dauert fünf Minuten. Dann steht der Wut-Zwerg plötzlich auf, rennt auf seine Mutter zu, umarmt sie und geht Hand in Hand mit ihr nach Hause. "Was war denn da los mit dir?", fragt Simons Mutter, als sie kurze Zeit später nebeneinander im Kinderzimmer sitzen. Simon schaut sie mit großen Augen an. Was meint sie denn? Für ihn ist das Ganze schon vergessen.

Trotz ist ein wichtiger Entwicklungsschritt

Warum können Kinder mit etwa eineinhalb Jahren plötzlich in die Luft gehen wie ein Sprengkörper? Und wie sollten Eltern am besten auf die Wutexplosionen reagieren? Die beruhigende Antwort auf die erste Frage lautet: Weil sie das für die Entwicklung ihres Selbstbewusstseins brauchen. Die Antwort auf die zweite Frage: Am besten abwarten und Ruhe bewahren. Trotzanfälle sind für alle Beteiligten nervenaufreibend - aber keinesfalls sinnlos. Denn das Kind befindet sich in seiner Entwicklung gerade irgendwo zwischen der Ablösung von seiner primären Bindungsperson und der Erkenntnis, dass es einen eigenen Willen hat. Es geht bei den Trotzanfällen nicht um das Austesten der elterlichen Nerven - es geht um ein elementares Bedürfnis des Kindes: sein eigenes, gerade erwachendes Selbst gegen die als allmächtig empfundene Autorität der Eltern zu verteidigen. Die Situationen, in denen das Kind seine Eigenständigkeit zu beweisen versucht, erscheinen dabei oft absurd. Aber von einem Kind dieses Alters kann man noch nicht erwarten, dass es erkennt, wann sich Widerstand gegen die Entscheidungsmacht lohnt und wann nicht.

Auf Trotz gelassen und umsichtig reagieren

Kennt man den Hintergrund der Trotzphase, kann man auch gelassener darauf reagieren: Denn schließlich ist es ja im Sinne der Eltern, dass sich ihr Kind zu einer selbstbewussten und starken Persönlichkeit entwickelt. Das Selbstwertgefühl eines trotzenden Kindes ist aber noch so labil und verletzlich, dass eine grobe oder herablassende Reaktion der Eltern auf Dauer zu einer Schwächung der Persönlichkeitsbildung führen kann. Und auch bei der anschließenden Versöhnung sollten Eltern immer daran denken: Das Kind trotzt, weil es sich noch nicht anders zu helfen weiß. Es kämpft gegen seine wichtigsten Bindungspersonen an, ohne dies eigentlich wirklich zu wollen. Bei der Versöhnung ist es also unbedingt wichtig, dass das Kind zärtlich aufgenommen wird und hier nebenbei auch lernt, was Vergeben und Verzeihen ist.

Trotzattacken beherrschen

Diese Regeln können helfen:

  • Ein trotzendes Kind muss beschützt werden - bringen Sie es daher lieber zur Seite, falls viele Menschen Zeugen seines Wutanfalls werden. Nutzen Sie auf keinen Fall den "sozialen Druck" der Umherstehenden, um das Verhalten zu tadeln.
  • Meistens entstehen Trotzmomente in ähnlichen Situationen. Vermeiden Sie daher solche Gelegenheiten, wenn es möglich ist. Oder: Machen Sie sich vor der Situation den möglichen Ausgang bewusst. So können Sie gefasster auf einen Trotzanfall reagieren.
  • Aber: Auch nicht alles verhindern, was den Trotz auslösen könnte. Ihrem Kind in allem nachzugeben, ist nicht der richtige Weg.
  • Die Wut, die sich in Ihrem Kind aufgestaut hat, braucht einige Minuten, bis sie abgeklungen ist. In dieser Zeit können Sie meist nicht mehr machen, als abzuwarten. Bleiben Sie bei Ihrem Kind, aber versuchen Sie nicht, es bereits jetzt zu trösten oder Ihr Mitleid auszudrücken. In diesem Augenblick werden Sie nicht zu ihm durchdringen
  • Wenn Sie merken, dass Sie wütend auf Ihr Kind werden und "Ruhe bewahren" gerade nicht funktioniert, ist es eventuell besser, sich aus dem Geschehen zurückzuziehen und eine andere Vertrauensperson Ihre Position einnehmen zu lassen. So vermeiden Sie eine allzu heftige und eventuell grobe Reaktion Ihrerseits.
  • Lassen Sie unbedingt eine liebevolle Versöhnung zu. Denken Sie daran, dass sich Ihr Kind gerade in einem psychischen Ausnahmezustand befunden hat.

In Trotzreaktionen auch mal nachgeben?

Manchmal ist das ja gar nicht anders möglich: Wehrt das Kind sich mit Händen und Füßen, zum Beispiel ins Auto einzusteigen, muss man seinem Willen in diesem Augenblick nachgeben. Aber wie ist es mit den kleineren Kompromissen? Dem sich andeutenden Ausraster an der Supermarkt-Kasse vorbeugen und den Griff ins Süßigkeiten-Regal erlauben? Die überwiegende Meinung der Fachleute heißt: Eltern sollten nicht nachgeben, da ansonsten der Dreh mit dem Zorn zum ultimativen Werkzeug des Kindes wird. Der Kinderarzt und Autor Herbert Renz-Polster stellt in seinem Ratgeber "Kinder verstehen" aber die Frage: "Hatten nicht bis vor Kurzem Psychologen den Eltern geraten, ihre Babys lieber schreien zu lassen, als auf ihre Wünsche einzugehen - weil sie sonst ja fürs Schreien "belohnt" und diesen Trick dann immer öfter einsetzen würden?" Heute wissen wir, dass diese Annahme viel zu kurzsichtig ist. Vielleicht, so Renz-Polster, könne man Ähnliches auch für die Trotzanfälle annehmen. Vielleicht hilft Ihnen aber auch dieser Rat: Bleiben Sie bei Ihrer Reaktion auf Trotzanfälle möglichst authentisch. Wenn Sie sich zu sehr verstellen und nach einem Masterplan vorgehen, wird Ihr Kind das merken.

Warum trotzen Kinder unterschiedlich stark?

Manche Kinder trotzen richtig heftig, bei anderen fallen die Wutanfälle eher harmlos aus. Bei den einen beginnt das Trotzen schon kurz nach dem ersten Geburtstag, bei anderen taucht es erst kurz vor dem Kindergartenalter auf. Wie stark die Trotzanfälle ausfallen, hängt mit Temperament und Alter des Kindes zusammen. Auch die Art und Weise, wie Eltern ihr Kind erziehen, kann sich auf die Häufigkeit der Trotzattacken auswirken. Wurde das Kind durch die erste Phase der Loslösung positiv begleitet, so sind die Voraussetzungen besser als bei einem Kind, das wenig in der Entwicklung seines Selbstgefühls unterstützt wurde. Aber es gibt noch mindestens einen weiteren Faktor, die sich auf die Stärke des Trotzens auswirkt: ein Geschwisterkind, vor allem eines, das sehr rasch nachfolgt, löst scheinbar häufig heftigeren Trotz aus. Und Kinder in schwierigen Lebensverhältnissen haben generell mehr Zornanfälle.

Wie umgehen mit aggressivem Verhalten bei Trotzanfall?

Wenn Ihr Kind im Verlauf des Trotzanfalles Sie oder andere Personen, zum Beispiel Geschwisterkinder, schlägt oder anders verletzt, bleibt nur die Möglichkeit des Trennens: Sie entfernen sich vom Kind, geben ihm aber gleichzeitig das Signal, dass dies nur vorübergehend ist. Auf keinen Fall sollten Sie selbst handgreiflich werden. Bitte denken Sie immer daran, dass Ihr Kind Ihnen geistig noch unterlegen ist, noch nicht weiß, was recht und unrecht ist, andererseits aber aggressive Momente quasi genetisch vorgegeben sind. Einfacher ausgedrückt: Ihr Kind schlägt und beißt, weil es menschlich ist. Moralisches Verhalten und die Einsicht, dass diese Reaktionen schlecht sind, muss es noch lernen.

Können sich Kinder bei Trotzreaktionen verletzen?

Manche Kinder benutzen bei einem Trotzanfall ihren eigenen Körper als Waffe: Sie hauen mit dem Kopf gegen den Boden oder gegen eine Wand, werfen sich dramatisch auf den Boden und selbst die Eltern wissen dann oft nicht, ob das Schreien auf die Wut oder die Schmerzen zurückzuführen ist. Gut zu wissen: blaue Flecken und blutunterlaufene Stellen können dabei entstehen, innere Blutungen oder Gehirnerschütterungen aber nicht! Auch Affekt- oder Weinkrämpfe sind in ihrer Wirkung auf die Eltern zwar heftig, dabei aber nicht gefährlich. Bei einem Affektkrampf - der immer im Zusammenhang mit einer Frustration steht - laufen Kinder blau an, zucken mit den Armen und Beinen wie bei einem epileptischen Anfall und atmen danach einige Zeit nur noch flach.

Zuletzt überarbeitet: Juni 2020

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