Frage im Expertenforum Im Wochenbett und danach an Stephanie Rex:

Unser Baby will nur getragen werden

Stephanie Rex

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Hebamme im DHV - Deutscher HebammenVerband e.V.

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Frage: Unser Baby will nur getragen werden

DijanaT

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Liebe Frau Rex, ich habe in der SSW 39+2 auf natürliche Weise entbunden und - abgesehen davon, dass es eine Saugglockengeburt war - verlief alles in Ordnung und unsere Tochter kam mit 3100 Gramm gesund zur Welt. Auch die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen. Sie wird von mir vollgestillt. Bereits im Krankenhaus sagten die Kinderkrankenschwestern, dass ich ein "Tragebaby" bekommen hätte und mich auf viel Tragen einstellen soll. Als wir daheim waren, war es dann tatsächlich so. Sie wollte nirgends schlafen, außer auf meinem Mann oder mir. Ins Bett konnte man sie nur dann ablegen, wenn sie bombenfest schlief und man sie austrickste (z. B. in eine warme Decke gepuckt hatte). Aber das war vollkommen okay, sie war ganz neu auf dieser Welt und hat ganz viel Nähe gebraucht. Menschenkinder sind ja Traglinge, darüber habe ich viel gelesen. Mein Mann war auch den ersten Monat in Elternzeit und wir haben es gemeinsam gemeistert. Mittlerweile ist sie fast 3 Monate alt und ich würde behaupten, dass es noch schlimmer geworden ist. Wenn sie wach ist, dann möchte sie ausschließlich auf dem Arm getragen werden und zwar so, dass sie nach vorne gedreht ist und schauen kann. Man darf sich auch nicht hinsetzen, sondern muss durch die Wohnung laufen. In allen anderen Stellungen schreit sie sich die Seele aus dem Leib. Z.B. wenn sie auf eine andere Art getragen wird, wenn man sich hinsetzt, wenn sie in der Babytrage ist, wenn sie in der Wippe (halb-)liegt, wenn sie auf dem Bett oder auf der Spieldecke liegt. Wenn sie tagsüber schläft, dann wird sie auch sofort beim Ablegen wach. Obwohl ich alle Tipps und Tricks anwende wie z.B. abwarte bis sie fest schläft, sie in eine warme Decke wickele (pucken geht nicht mehr), mich ganz tief bücke und sie erst kurz vor dem Ablegen von mir löse (damit der Mororeflex nicht ausgelöst wird), zuerst Beinchen dann Kopf ablege usw. Selbst wenn ich sie mal schaffe ohne Aufwachen abzulegen, wacht sie in maximal 10 Minuten auf und will wieder auf den Arm. Auch beim Wickeln oder Umziehen schreit sie fast immer und strampelt hysterisch mit den Händchen und Beinchen. Ich nehme sie mehrmals hoch und tröste sie, aber irgendwann muss ich sie ja wieder hinlegen und zu Ende wickeln bzw. anziehen. Ganz besonders schlimm ist es nach dem Baden oder bei der Katzenwäsche. Sie lässt sich auch nicht die Halsfalte oder die Achseln sauber machen. Und Eincremen erst recht nicht. Da schreit sie so sehr und tritt mich mit den Füßchen, dass ich ganz zittrig werde und mir alles aus der Hand fällt. Spazieren fahren können wir nur wenn sie superfest schläft und auch nur mit viel Tricksen - und wenn sie während dessen aufwacht, dann muss ich sie bis nach Hause tragen und den Kinderwagen schieben.  Ich versuche alles, um sie zu entspannen oder abzulenken, aber nichts hilft. Mobile über der Wickelkommode, spannendes Spielzeug, laufender Haaretrockner oder Staubsauger, Vorsingen, Fingerspielchen oder generell entspannende Musik über Lautsprecher, eine Massage. Sie möchte auch keinen Schnuller. In der Wippe will sie nicht sitzen, selbst dann nicht, wenn ich sie überall hin mitnehme. In die Trage will sie auch nicht. Laut der Kinderärztin und der Osteopathin fehlt ihr nichts, auch die Hebamme ist zufrieden. Sie trinkt genug, sie wächst und nimmt ordentlich zu (mittlerweile fast 6000 Gramm), sie entwickelt sich prächtig, hat mehr als genug nasse Windeln und jeden Tag Stuhlgang, brabbelt vor sich hin und lacht (wenn sie getragen wird), hebt den Kopf und ist sehr stark, schläft nachts 4-5 Stunden sam Stück. Auch die Koliken sind mittlerweile vorbei. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Zuerst hatte mein Mann Schmerzen in der Brust und in der Schulter vom ständigen Tragen, vor kurzem hatte ich einen Hexenschuss und habe mir - da ich sie ja trotzdem Heben und Tragen musste - noch zusätzlich eine Rückenzerrung geholt sodass ich immer noch furchtbare Schmerzen habe. Sie hat ja mittlerweile schon fast 6 kg. Wir haben auch keine Hilfe, da die Verwandtschaft weit weg ist und der Freundeskreis eher ein Bekanntenkreis ist... Mein Mann arbeitet wieder, ich bin in Elternzeit und daheim. Aber ich schaffe gar nichts, nicht mal das Mindeste wie zu Mittag kochen oder kurz Bad putzen. Oder in Ruhe zu duschen oder zur Rückbildungsgymnastik zu fahren. Sooft kann ich nicht mal auf Toilette gehen und unterdrücke dann den Drang, was dann zu schmerzhaften Blähungen und Verstopfung führt.  Meine Mutter sagt, ich soll sie auch mal weinen lassen und das Geschrei aushalten... Aber ich bringe es nicht übers Herz sie so hysterisch schreien zu lassen. Allerdings weiß auch sonst überhaupt nicht mehr, was ich tun soll und bin verzweifelt. Sie meinte auch, dass wir dann Probleme mit der Krippe bekommen, weil sie dort niemand ständig herumtragen kann und das hysterische Geschrei im diesem Ausmaß auch nicht toleriert werden kann. Ich muss aber nach 1 Jahr Elternzeit wieder arbeiten gehen. Das hat mich zum Nachdenken gebracht.  Haben Sie vielleicht eine Idee oder Ratschläge, was wir machen können?  Viele Grüße und danke im Voraus, Dijana 


Stephanie Rex

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Liebe Dijana,  vielen Dank für deine sehr ausführliche Beschreibung. Dadurch kann ich mir tatsächlich einen sehr guten Eindruck machen. All die Dinge, die mir als erstes in den Sinn kamen, habt ihr schon ausprobiert.  Sei mir bitte nicht böse, wenn ich ganz ehrlich bin. Eure Tochter muss lernen, zur Ruhe zu kommen. Sie ist gewohnt, dass sie immer wieder getragen wird und dadurch in Bewegung ist.  Somit ist auch ihr kompletter Körper wie auch ihr Gehirn ständig in Bewegung. Dadurch lernt auch ihr Gehirn und ihr Körper nicht zur Ruhe zu kommen, sondern es bedarf immer mehr Bewegung und immer mehr Input.  Du schreibst auch, dass ihr euch noch nicht einmal hinsetzen könnt, sondern ihr immer in Bewegung bleibt. Es ist völlig normal, dass ihr versucht sie durch verschiedene Dinge und Spiele abzulenken. Ich kann mir vorstellen, dass dies für eine kurze Zeit funktioniert und sie dann wieder das nächste Spielzeug oder die nächste Aktivität haben möchte. Daher mein Tipp, langsam, aber sicher immer mal wieder versuchen, Ruhe in euren Alltag zu bekommen und immer mal wieder versuchen, dass sie langsame Bewegung kennen lernt. Dies kann ein leichtes, schaukeln sein oder einfach ganz ruhige und sanfte Bewegungen. Habt ihr es mal mit einem Baby Massagekurs versucht? Natürlich werden auch hier die Sinne angeregt, aber die Kurse finden in der Regel in einer sehr warmen und ruhigen Umgebung statt, wo Mutter und Kind sich ganz auf einander einstellen und das Kind langsame Bewegung am Körper erfährt. Schaut euch auch mal euren Tagesablauf an oder auch eure Wochen Struktur. Auch hier solltet ihr versuchen , weniger Aktivitäten zu haben. Weniger ist manchmal mehr! Natürlich wird dies alles nicht von heute auf morgen funktionieren, sondern es braucht Zeit! Zeit und Geduld! Geduld, von allen Seiten. Das ist nicht immer einfach, aber sicherlich Ziel führend, so dass auch ihr als Eltern etwas mehr zur Ruhe kommt und auch somit eure Auszeit haben könnt. Dazu gehört natürlich auch, dass ihr als Eltern ruhig werdet und selbst Ruhe und Ausgeglichenheit ausstrahlt. Natürlich ist es im Alltag nicht immer möglich aber dennoch solltet ihr versuchen, dass ihr in ihrer Gegendwart ruhig bleibt. Was genau ist, wenn sie ein Jahr alt ist, dies ist noch mal ein weiterer Gedanke, der allerdings in der Zukunft liegt. Momentan solltet ihr euch darauf konzentrieren, dass eure Tochter erst drei Monate alt ist und sicherlich auch noch einige Entwicklungsphasen vor sich hat. Sicherlich gibt es auch Phasen, in denen die kinder aktiv sind und auch sehr interessiert an ihrem Umfeld. Aber es sollte ausgeglichen sein, so, dass du deinen Alltag mit allem was dazugehört in Ruhe meistern kannst.  Vielleicht gibt es in eurer Umgebung eine gute Dame, die Schlafberatung anbietet. Ich persönlich bin kein Fan davon, die Kinder  länger schreien zu lassen. Dass du nicht immer sofort reagieren kannst und musst, das ist klar. Dennoch ist eure Tochter erst drei Monate alt, weiß aber schon sehr gut, was sie möchte. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Kinder keine andere Ausdrucksmöglichkeit haben außer zu weinen. Also, daher mein Tipp: nach dem Prinzip Leben weniger ist mehr und vielleicht hilft es tatsächlich, wenn ihr einen absolut ruhigen, strukturierten Tagesablauf  euch überlegt und Rituale einführt.  Ich wünsche dir von ganzem Herzen weiterhin viel Kraft, Ruhe und vor allem Geduld! Steffi Rex   


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