Frage: Kinderwunschbehandlung emotionale Verarbeitung

Sehr geehrte Frau Hartz, zuerst möchte ich sagen, dass mein Mann und ich durch eine Kinderwunschbehandlung im Jahre 2020 eine wunderbare, gesunde Tochter bekommen haben. Wir sind noch immer unglaublich dankbar, dass unser kleiner Schatz durch die Hilfe der Medizin nun bei uns ist. Sie ist unser beider leibliches Kind. Ohne Samenspender etc. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es handelte sich um eine ICSI-Behandlung. Der "Verursacher" war mein Mann. Wir haben damals die Diagnose mehr oder weniger zufällig erhalten, dass wir auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen können. Direkt im Anschluss haben wir uns an ein renommiertes Kinderwunschzentrum gewandt und der Prozess ging los mit Hormonbehandlung, Genetik, Eingriffen etc. Es war eine unglaublich schwere Zeit voller hoffen und bangen. Sie können sich sicher vorstellen, was sowas mit der Gefühlswelt macht, zumal ich auch ein sehr sentimentaler Mensch bin. Der ganze Prozess jedoch hat nicht mal ein Jahr gedauert. Von der Diagnose bis zur bestätigen Schwangerschaft. Es hat also beim ersten Versuch geklappt, trotz nur 2 reifer Eizellen. Mein Mann und ich sind unendlich dankbar, dass es für uns so positiv ausgegangen ist und dieses Glück genießen durften und weiter dürfen. Und genau da liegt quasi der Grund meiner Frage an sie. Ich habe die ganze Behandlung, das auf und ab, scheinbar noch nicht verarbeitet. Es ist für mich immer noch sehr emotional, wenn ich daran denke oder zum Beispiel im Fernsehen einen Beitrag zu dieser Thematik sehe. Fast jedes Mal schießen mir die Tränen in die Augen. Manchmal weine ich sogar richtig. Ich verstehe nicht, warum ich das nicht einfach "abhaken" kann, im Sinne von "du hast ein wunderbares Mädchen, gleich beim ersten Versuch, besser hätte es nicht laufen können". Und wiederum weil es so schnell und letztendlich problemlos geklappt hat, habe ich das Gefühl, ich müsste mich irgendwie extra anstrengen. Ich habe dieses Glück gehabt und müsste alles dafür tun, es auch bewahren zu müssen. Wenn ich als Mama mal irgendeinen Fehler mache, fühle ich mich sofort schlecht. Ich habe dieses große Glück gehabt, also muss ich es mir auch stets verdienen. Ich bin auch insgesamt sehr streng mit anderen, wenn es um zu frühe Fremdbetreuung geht, oder einem meiner Meinung nach vermindertem Verantwortungsgefühl. Jedoch gehe ich da nicht in die Konfrontation, da mir andere Lebenssituationen und Prioritäten bewusst sind. Mir ist auch klar, dass ich nicht die einzige Mutter bin, die ihr Kind liebt. Aber manchmal glaube ich, bei mir ist es schon extremer. Mein Mädchen wird auch immer älter und ich trauere jedem Entwicklungsschritt nach, manchmal auch hier wieder mit vielen Tränen. Das mache ich natürlich mit mir aus, bzw. rede mit meinem Mann und lasse diese Extremen nicht meine Tochter spüren, damit sie sich nicht schlecht fühlt. Das ist mir ganz wichtig zu erwähnen. Meine Tochter wird aus diversen Gründen auch kein Geschwister bekommen, vielleicht bin ich auch deshalb so darauf erpicht, alles intensiv zu erleben und genießen zu müssen. Ich tue das auch und möchte es gar nicht anders haben. Aber diese extremen Gefühle, mit Verlustangst, dem Gefühl, dieses Glück weiter verdienen zu müssen und die Geschwindigkeit, mit der der Prozess der Behandlung von statten ging, hat mich glaube ich noch im Griff.  Ich hoffe, ich konnte meine Situation und meine Gefühle darlegen. Vielleicht haben sie einen Tipp für mich oder können mir helfen, meine Gefühle einzuordnen. Recht herzlichen Dank!

von EAA20 am 22.03.2024, 11:34



Antwort auf: Kinderwunschbehandlung emotionale Verarbeitung

Liebe EAA20, Die Frage, die ich aus Ihrem Beitrag herausgelesen habe ist „Sind meine Gefühle und mein Verhalten normal?“ Hier meine offizielle Diagnose: Alles total normal! Im Sinne von "das fühlen die meisten Eltern so". Auch wenn Ihre Tochter nicht mit medizinischer Hilfe zur Welt gekommen wäre, wären ganz viele der beschriebenen Emotionen auch da. Ich kenne mindestens 100 Mütter, die bei Filmszenen von Geburten heulen oder bei der Verkündigung einer Schwangerschaft rührselig werden (—> manche berichten übrigens, dass es mit den Wechseljahren wieder weniger wird). Die meisten Eltern berichten, dass sie sehr viel dünnhäutiger geworden sind, seit sie Kinder haben. Waren Sie schon mal bei einer Verabschiedung der Kindergartenkinder in die Grundschule dabei? 80% der Mütter weinen, die Männer üben sich in Tapferkeit, wenn sie ihre kleinen Prinzessinnen und Ritter in die große Welt hinauslassen. In dem Alter sind sie ja auch einfach zum Knuddeln und man hält ja schon kaum die Vorstellung aus, dass der zukünftige Sitznachbar oder die Lehrerin blöd sein könnten. An Elternabenden in der Kita benehmen sich alle wie Löwenmütter und schützen das eigene Kind und werten gleichzeitig ab, was die anderen Eltern machen. Oder man geht erst garnicht zu Elternabenden, weil man beschlossen hat, dass man nur selbst das Kind haben möchte/sollte/kann. Auch in der Empty-Nest Phase, wenn die Pubertiere flügge werden, geht es emotional zu. Und nicht zuletzt: wie viele erwachsene 50-jährige werden noch von ihren Müttern gebeten, bitte kurz durchzuklingeln, wenn sie nach dem Weihnachtsbesuch wieder sicher zu hause angekommen sind. Mütter verhalten sich so. Es macht Sinn, dass Eltern ihre Kinder lieben und beschützen. Zu einer gesunden Entwicklung der Kinder gehört es auch, dass die Eltern sich reflektieren und den Kindern Raum geben. Und vor allem auch nicht kauzige Eltern werden, die dann immer etwas „drüber“ wirken. Das finden die Kinder anfangs toll oder hinterfragen das nicht, später finden sie das mitunter auch schräg ;-) Sie sind gerade wunderbar in der Selbstreflexion und dem Abwägen….was von meinen Gefühlen und Einstellungen ist ok und was ist „drüber“? Vielleicht hilft Ihnen die Erweiterung der Frage: Was ist sinnvoll? Wozu mache ich das wirklich? Was ist gut für das Kind? Und was tue ich dabei für mich? Sie könnten ja z.B. zum Thema Fremdbetreuung sagen: „Ich weiss, dass es sinnvoll für die Entwicklung meiner Tochter ist, dass sie auch andere Einflüsse hat. Trotzdem entscheide ich mich im Moment dagegen, weil ich emotional noch nicht so weit bin und weil bei mir aktuell die Rahmenbedingungen gut sind.“ Die Emotionalität mag an der Erkenntnis liegen, dass Leben-schenken einen auch nah an die Fragilität des Lebens heranführt. Vielleicht gehört es evolutionär auch dazu, dass man weicher/sensibler/emotionaler wird, um sich überhaupt auf die Bedürfnisse eines kleinen Wesens einlassen zu können. Und Schwangerschaften und Geburten haben etwas Kraftvolles, das von allen Frauen immense körperliche und emotionale Stärke abverlangt, die Frauen während des Geburtsprozesses zeigen (müssen!). Egal wie leicht oder schwer es war, schwanger zu werden. Wo auch immer die Gefühlsduselei herkommt: das geht ganz vielen so! Dass Kinder durch medizinische Unterstützung entstehen, ist mittlerweile auch „normal“ geworden. Vor allem in meiner Gruppe von Klientinnen oder wenn Sie sich hier im Forum umschauen. Nach einem vollen Arbeitstag frage ich mich manchmal, ob überhaupt noch jemand durch Sex in einer Mondscheinnacht schwanger wird ;-) Insofern kann ich Ihnen hier leider auch keinen Sonderstatus attestieren. Aber sie brauchen sich auch nicht zu schämen, dass es bei Ihnen so schnell geklappt hat. Es ist Statistik, dass es bei manchen beim ersten Mal und bei manchen beim zehnten Mal oder evtl auch garnicht klappt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang Ihr Glaubenssatz, es „sich verdienen zu müssen“, weil es vermeintlich so einfach war. Mit wem sind Sie denn da einen Handel eingegangen? Wem gegenüber gilt das? Dem Schicksal? Mutter Natur? Gott? Den anderen Müttern? Den Lehrern aus der Schulzeit (nur Leistung zählt)? Ihren eigenen Eltern? Ihrem Partner? Manchmal kommen so Glaubenssätze auch aus alten Märchen….Rumpelstilzchen oder andere….da muss die Prinzessin irgendetwas herausfinden und leisten, damit sie ihr Kind behalten darf…. Sie können ja mal schauen, wo Sie Ihren Glaubenssatz verorten und irgendwann vielleicht Frieden mit ihm schliessen. Ansonsten ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ihre Tochter diese Aufgabe übernimmt und es Ihnen noch schwer machen wird ;-) Sie dürfen sich erlauben, stolz auf sich zu sein und es leicht zu nehmen! Herzlichst, Miriam Hartz

von Dipl.-Psych. Miriam Hartz am 23.03.2024