Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

Wildes Stillen als Kompensation???????

Biggi Welter

 Biggi Welter
Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

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Frage: Wildes Stillen als Kompensation???????

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Hallo Biggi, Meine Kleine ist frische 17 Tage alt und benimmt sich wahrscheinlich für ein Baby entsprechend: Stillen klappt super, ist aber mehr als wild, bei Bedarf also. Bedarf heisst bei uns: wenn sie Hunger hat, sich beruhigen will, zum Einschlafen, nur mal Nuckeln (geht alles nahtlos ineinander über). Das ist täglich sehr unterschiedlich, d.h. es gibt keinen Rhythmus von so und so viel Stunden. Nachts kommt sie aber nur 2 Mal. Vom Schnuller wollte ich erst mal weiten Abstand nehmen. Miri ist fast, nein eigentlich ständig, ununterbrochen bei mir. Sie schläft auf mir ein und ich kann sie nur unzuverlässig kurz weglegen zum Duschen, Essen, Toilette, weil sie aufwacht und dann gleich wieder zum Beruhigen an die Brust will, da Mama nicht da ist. Selbst bei ihrem Papa (=mein Freund) beruhigt sie sich nicht. Mein Freund hat heute eine Diskussion angefangen, ich würde die Kleine zu häufig die Brust nehmen, sie könnte auch warten oder anderweitig beschäftigt werden, bis sie wieder Hunger hat. Habe einiges schon probiert, aber ohne Mami und Brust läuft gar nix. Außerdem kann ich nicht unterscheiden ob sie beim wilden Stillen grad Hunger hat oder nur Nuckeln will, Trinken tut sie ja irgendwie immer dabei, schläft nur verschieden schnell ein. Ich gebe Miri manchmal schon die Brust, wenn sie nur danach sucht. Er meinte, dass ich dadurch was mit Essen an ihr kompensieren will. Also nach dem Motto Liebe mit Essen erkaufen. Fand ich recht derb diesen Vorwurf. Ich kann sie doch auch nicht immer erst schreien lassen. Oder? [Er ist durch seine eigene Mutter vorgeschädigt, die verwöhnt alle nur mit Essen und hat ihn schwer gehen lassen.] Ich dachte immer, ein Baby lernt mit der Zeit, dass es andere Kompensationsmöglichkeiten für z.B. Beruhigung gibt als Mamas Busen. Bin ich da schief gewickelt? Bin grad dabei sowas wie einen Altag mit ihr aufzubauen, zwecks "Resozialisierung", wie man Termine einhalten kann, Üben mit Tragetuch, meine eigenen Bedürfnisse so weit es geht einzubringen, rausgehen und und und. Das will ja auch alles gelernt sein. Miriam ist mein erstes Kind und daher lasse ich mich gern bessres belehren. Entschuldige, dass es soooooo lang geworden ist. Die SUSE


Biggi Welter

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Liebe Suse, es macht nichts, wenn Sie so lange schreiben, es ist doch schön, dass Sie alles richtig machen möchten. Und das tun Sie :-). Sie müssen sich vorstellen, dass Miri bis vor zwei Wochen Tag wie Nacht ununterbrochen Nahrung bekommen hat, ganz gleich wieviel Uhr es war. Es war immer gleichmäßig warm und die Geräusche um ihn herum hatten auch eine gewisse Monotonie. Nun plötzlich ist alles anders und an diese riesige Veränderung muss sie sich erst gewöhnen. Das braucht seine Zeit und zwei Wochen sind viel zu wenig Zeit, um diese Umstellung einfach zu bewältigen. Ihre Tochter wird bestimmt nicht verwöhnt und sie kompensiert auch nichts, sie hat einfach Bedürfnisse, die auch gestillt werden sollten. Miri ist ein noch recht junges Baby, ihr Verhalten entspricht schon fast "lehrbuchmäßig" dem eines wenige Tage oder Wochen alten Babys, das eben nicht zehn bis 15 Minuten an der Brust trinkt und danach zufrieden einschläft (Baby, die sich so verhalten, sind so schwierig zu finden, wie eine Nadel im Heuhaufen). Babys haben ein über das reine Ernährungssaugen hinausgehendes Saugbedürfnis und diesem "non nutritiven" Saugen kommt eine sehr große Bedeutung zu. Nun werden viele Menschen sagen: "Dafür gibt es ja einen Schnuller". Doch das ist eine sehr zweifelhafte Antwort. Der Schnuller ist eine Brustattrappe und von der Natur ist vorgesehen, dass das non nutritive Saugen an der Brust stattfindet. Wird der Schnuller eingesetzt, kann es nicht nur zu Saugproblemen kommen, er kann auch dazu führen, dass das Kind zu wenig Zeit an der Brust verbringt, so dass die Brust nicht ausreichend stimuliert wird und das Kind nicht die Milch bekommt, die es braucht. Der Gebrauch des Schnullers ist sehr kritisch zu sehen. Die anderen Nebeneffekte, wie häufiges Aufstehen der Mutter, weil das Kind den Schnuller verliert, sind natürlich auch nicht gerade angenehm. Sie können sich und Miri das Leben sehr viel einfacher machen, wenn Sie sich auf Ihr Kind einlassen. Die oben erklärten Zusammenhänge machen es Ihnen möglicherweise einfacher, dem Bedürfnis des Kindes entgegenzukommen, zumal es erwiesen ist, dass es sich langfristig auszahlt, diese Bedürfnisse jetzt zu stillen. So kleine Babys wollen im Schnitt zwischen acht und zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden. Im Schnitt heißt, es gibt Babys die seltener nach der Brust verlangen (eher wenige Babys) und es gibt Babys, die häufiger an die Brust wollen (die Mehrzahl). Nun ist es jedoch nicht so, dass ein Kind zügig zwanzig Minuten trinkt und sich dann nach drei Stunden das nächste Mal rührt, sondern es kommt immer wieder zu Stillepisoden, die so ablaufen: das Kind trinkt eine kurze Weile, hört auf, döst vielleicht sogar weg und beginnt erneut kurz zu trinken usw. Dieses Verhalten heißt Clusterfeeding und ist absolut normal für kleine Babys (und keinesfalls ein Einschlafproblem). Besonders gehäuft treten diese Stillepisoden am Nachmittag und Abend auf, wie überhaupt die Abstände zwischen den Stillzeiten im Verlauf des Tages immer kürzer werden. Dazu kommt, dass in bestimmten Alterstufen Wachstumsschübe zu erwarten sind, in denen die Baby manchmal schier ununterbrochen an die Brust wollen. Ein Wachstumsschub ist mit etwa drei Wochen zu erwarten. Dazu kommt: Menschenbabys sind Traglinge, die den Kontakt zur Mutter brauchen. Es ist von der Natur nicht vorgesehen, dass sie alleine sind und auch nicht, dass sie alleine schlafen. Das widerspricht dem Bild vom süß in der Wiege schlummernden Baby, das fast alle Frauen (zumindest beim ersten Baby) haben. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn Ihr Kind nicht pausenlos schlafen will und ständigen Körperkontakt sucht. Außerdem schlafen die meisten Babys sehr viel weniger als es von den Eltern angenommen wird. Babys sind soziale Wesen, die die Welt, in die sie hineingeboren wurden erkunden und kennenlernen wollen und das geht nicht im Schlaf. Lassen Sie Ihr Kind an Ihrem Leben teilnehmen. Integrieren Sie Ihr Kind in Ihr Leben und versuchen Sie nicht, Ihr früheres Leben einfach wieder aufzunehmen. Es gibt auch noch weitere Gründe, warum Ihr Kind aufwacht, sobald Sie es hinlegen. Es wird einfach deshalb wach, weil es durch die Lageveränderung von senkrecht zu waagerecht geweckt wird. Eine solche Lageveränderung reizt das Gleichgewichtsorgan im Ohr und kann dazu führen, dass das Baby aufwacht. Wenn ein Baby liegend (an der Brust) einschläft und liegen bleiben kann, die Lageveränderung also wegfällt, sind die Chancen, dass es weiterschläft erheblich besser. Das gemeinsame Schlafen hat eine ganze Reihe von Vorteilen und verhilft der Mutter zu mehr Schlaf. Möglicherweise wird Ihr Kind auch wach, weil das Bett kälter ist als der Körper von Mutter oder Vater. Diese Temperaturunterschiede können ebenfalls zum Aufwachen führen. Hier hilft es, das Baby in eine Decke zu wickeln und in die Decke eingewickelt hinzulegen. Auch der Kopf sollte in der Decke liegen. Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, einmal ein Stillgruppentreffen zu besuchen oder zumindest einmal mit einer Stillberaterin in ihrer Nähe ein direktes Gespräch (auch am Telefon) zu führen. Viele Unsicherheiten lassen sich im direkten Gespräch sehr viel besser ausräumen und der Austausch mit anderen stillenden Müttern kann sehr ermutigend sein und vor allem werden Sie sehen und erleben, dass sich andere Babys genau so verhalten wie Ihr kleines Menschlein. Wenn Sie mir Ihren Wohnort mit Postleitzahl angeben, suche ich Ihnen gerne die nächstgelegene LLL Stillberaterin heraus. LLLiebe Grüße Biggi Welter


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