Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

Stillen um Aufmerksamkeit zu bekommen

Biggi Welter

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Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

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Frage: Stillen um Aufmerksamkeit zu bekommen

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Hallo Biggi! Auch auf die Gefahr hin, dass ich langsam lästig werde, brauche ich wieder mal deinen Rat: Markus ist jetzt 17 Monate alt, und seit er vor einigen Wochen die "Selbstbedienungs-Milchbar" entdeckt hat, will er wieder mit zunehmender Häufigkeit gestillt werden, und das hat sich inzwischen so stark gesteigert, daß er momentan fast den ganzen Tag an meiner Brust hängt. Dabei ist mir jetzt aufgefallen, daß er vor allem dann unbedingt gestillt werden will, wenn die Situation äußerst ungünstig ist oder ich gerade mal mit anderen Dingen beschäftigt bin (z.B. wenn ich telefoniere oder auf dem Klo sitze, wenn mein Nachhilfeschüler da ist, wenn wir irgendwo zu Besuch sind, oder wenn ich einfach mal schnell irgendetwas erledigen will). Genau dann fängt er wie wild an zu quengeln, klettert auf meinen Schoss, wühlt in meinem T-Shirt herum, zieht mir den BH runter, dockt an und will ununterbrochen nuckeln. Ich habe das Gefühl, gerade in diesen Momenten, in denen ich mich nicht 100%-ig um ihn kümmern kann/will, nutzt er das Stillen, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. Bisher habe ich ja echt gerne gestillt, war ein großer Fan des "Stillens nach Bedarf", habe kein Problem mit dem Stillen in der Öffentlichkeit und habe Markus jederzeit trinken lassen, wenn er es wollte. Aber allmählich geht mir sein Verhalten zunehmend auf den Nerv. Nicht nur, daß sich unser ganzer Bekanntenkreis schon über uns lustig macht, weil Markus mir ständig "an die Wäsche geht" (da stehe ich ja noch drüber...), manchmal ist es aber einfach total peinlich (z.B. als er mir am Sonntag in der Kirche ständig das T-Shirt bis zum Kinn hochgezog, ununterbrochen von einer Seite zur anderen wechselte und ich während der Predigt quasi barbusig da rum saß - und die alten Damen drumherum fast einen Anfall bekamen...), und es nervt mich, daß ich nicht mal 5 Minuten etwas in Ruhe erledigen kann, ohne dass Markus ankommt und in meinem Ausschnitt herumwühlt. Versuche, ihm in Ruhe zu erklären, daß Mama jetzt nicht stillen möchte, funktionieren bisher nicht, und wenn ich ihm die Brust ganz einfach verweigere, gibts ein riesen Gebrüll. Hast du einen Rat für mich, wie ich mich in solchen Situationen am besten verhalte??? Und dann noch eine Frage am Rande: Vermutlich bedingt durch das häufige Stillen, nimmt Markus momentan mal wieder fast überhaupt keine andere Nahrung zu sich. Selbst seine bisherigen Lieblingsgerichte sind aufeinmal völlig out und ich weiß schon kaum noch, was ich ihm überhaupt anbieten soll. Ist es okay, wenn sich ein Kind mit 17 Monaten immernoch fast ausschließlich von Mumi ernährt?! Viele Grüße von einer genervten und leicht verzweifelten Susanne mit Markus


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Liebe Susanne, ich kann mich noch zu gut daran erinnern, dass meine Kinder diese Phase durchmachten :-). Stillen ist viel, viel mehr als reine Nahrungsaufnahme. Es ist Trost, Geborgenheit, sicherer Hafen und ein Weg zur Ruhe zu kommen, wenn die Wellen des Alltags so hoch geschlagen sind, dass das Kind keinen Weg mehr weiß, um mit sich selbst und der Umgebung ins Reine zu kommen. Leider verstehen manche Menschen (vor allem diejenigen, die selbst nicht oder nur sehr kurz gestillt haben) nicht, dass Stillen all das, was ich oben beschrieben habe und noch viel mehr bedeutet. Sie erkennen nicht, dass ein entsetztes, wütendes oder verletztes Kind an der Brust wieder den Weg zu sich selbst zurück findet und dabei auch noch sein Gesicht wahren kann. Es wird von der Mutter nicht bloßgestellt, sondern angenommen und kann sich in der sicheren Geborgenheit des Stillens wieder erholen und beruhigen. Trotzdem kann ich es verstehen, dass Du in diesem Alter nicht immer und überall stillen möchtest und genau das musst Du deinem Kind auch vermitteln. Dein Kind wird es spüren, wenn es dir ernst damit ist und mit der Zeit wird dein Kind auch akzeptieren, dass Du es nicht immer und jederzeit stillen möchtest. Versuche doch einmal , dein Kind abzulenken, indem Du deine Tätigkeit zwar schon unterbrichst, aber eben nicht stillst. Biete etwas anderes zu essen an und sage deinem Kind, dass es jetzt gerade nicht geht. Verhandle richtig, z.B. in einer Minute bin ich soweit. Dann allerdings musst Du dich wirklich daran halten. Es ist sicherlich keine leichte Zeit für sich, aber mit Geduld und viel Liebe wird dein Kind lernen, dass es nicht weniger geliebt wird, wenn es nicht gleich an die Brust darf. Es gibt sehr viele Kinder, die in diesem Alter auf einmal wieder weniger essen und mehr an die Brust möchten, lass dich deswegen nicht verunsichern. Ich hänge dir noch einen Artikel über einen Vortrag des spanischen Kinderarztes Dr. Carlos Gonzales zum Thema „Mein Kind will nicht essen" an. Schon allein die Tatsache, dass es Vorträge zu diesem Thema gibt, zeigt, dass Oliver nicht das einzige Kind der Welt ist, dessen Mutter sich solche Sorgen macht. LLLiebe Grüße Biggi Mein Kind will nicht essen Vortrag von Dr. Carlos Gonzales auf der LLL-Europa-Konferenz 2000 in Nottingham zusammengefasst von Denise Both, IBCLC Dr. Carlos Gonzales ist Kinderarzt in Barcelona. In den letzten zwölf Jahren hat er Vorträge bei zahlreichen La Leche Liga-Konferenzen gehalten. Er gründete ACPAM (eine katalanische Stillorganisation), organisiert Stillkurse für medizinisches Fachpersonal in ganz Spanien, übersetzte Veröffentlichungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins spanische und ist Mitglied des Medizinischen Beirates von LLLInternational. Dr. Gonzales ist Vater von drei gestillten Kindern. 1999 hat Dr. Gonzales sein Buch „Mi nino no me come" (Mein Kind will nicht essen) veröffentlicht und mit diesem Thema beschäftigte sich auch sein Vortrag in Nottingham. „Mein Kind isst nicht(s)" - das ist einer der Sätze, mit denen Kinderärzte fast täglich in ihrer Praxis konfrontiert werden. Besorgte Mütter berichten entsetzt, wie wenig ihre Kinder essen und schildern mit welchen Tricks sie versuchen, Nahrung in ihr Baby oder Kleinkind hineinzuzwingen. Der Kampf ums Essen spielt sich täglich ab und letztlich gibt es nur Verlierer. Dr. Gonzales erklärte in seinem Vortrag, dass er nun nicht ein Patentrezept liefern mag, mit dem erreicht wird, dass das Kind isst, sondern er will erklären, warum das Kind nicht isst. Zunächst einmal gibt es drei Gründe, warum ein Kind nicht isst: es gibt nichts zu essen, das Kind hat keinen Hunger oder das Kind ist krank. Der erste Grund ist in unserer Gesellschaft meist auszuschliessen. Ein gesundes Kind isst in der Regel wenn es hungrig ist, allerdings nicht immer das, was die Mutter möchte und schon gar nicht so viel wie es nach den Vorstellungen der Mutter essen müsste. Verwunderlich ist dabei, dass die Kinder noch nicht verhungert sind, obwohl sie laut Aussage der Mütter „nichts" essen. Gestillte Babys lehnen oft feste Nahrung über einen langen Zeitraum ab, nicht selten bis zum Alter von acht Monaten oder gar einem Jahr. Die Mutter verzweifelt und das Kind leidet, weil ständig versucht wird, es zum Essen zu überreden oder gar zu zwingen. Wie kommt es nun dazu, dass (anscheinend) immer mehr Kinder die Nahrungsaufnahme verweigern? Und ist es notwendig ein Kind zum Essen zu zwingen? Dr. Gonzales vergleicht, wie sich die Empfehlungen, wann das Baby feste Nahrung erhalten beziehungsweise wie lange es ausschliesslich gestillt werden sollte, im Verlaufe der letzten 100 Jahre verändert haben. Dann hat er das „Phänomen" der nicht essenden Kinder sowie die Sorge der Mütter, dass Ihre Kinder nicht essen, anhand der diesbezüglich in Kinderpflegebüchern auftretenden Ratschläge beleuchtet und einen erstaunlichen (oder vielleicht doch nicht erstaunlichen) Zusammenhang gefunden: Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in spanischen Büchern zur Säuglingspflege eine Zeit von zwölf Monaten mit ausschliesslicher Muttermilchernährung empfohlen. Gleichzeitig findet sich nirgends ein Hinweis in diesen Büchern, wie mit einem Kind zu verfahren sei, das nicht essen will. Je weiter das Jahrhundert fortschreitet, um so jünger sollen die Kinder laut den Empfehlungen der diesbezüglichen Bücher sein und: um so mehr Ratschlage gibt es, was mit einem Kind zu tun sei, das nicht essen will. Wird zu Beginn der dreissiger Jahre noch nur ganz kurz auf dieses Thema eingegangen, so sind 30 Jahre später schon seitenweise Abhandlungen zu finden, was mit einem die Beikost (im Alter von drei bis sechs Monaten) verweigernden Kind zu tun sei und die Seitenzahlen zu diesem Thema werden von Jahr zu Jahr mehr. Wie viel Nahrung braucht ein Kind? Der Nahrungsbedarf eines Kindes hängt ab von seiner Körpergrösse, seiner Aktivität und vom Wachstum des Kindes. Allerdings ist es nicht so, dass das Kind wächst, wenn es isst, sondern umgekehrt, das Kind isst, wenn es wächst. Der Nahrungsbedarf des Kindes lässt sich daher nicht pauschal bestimmen. Am ehesten gelingt dies, wenn das Kind sich in einer Wachstumsphase befindet, dann lässt sich eine Relation zwischen Gewicht des Kindes und erforderlicher Nahrungsmenge herstellen. Ein Kind im Alter zwischen einem und vier Jahren benötigt etwa 1000 bis 1100 kcal pro Tag (das entspricht etwa 102 kcal pro Tag und kg Körpergewicht). Nun gibt Dr. Gonzales an, was ein „nicht essendes Kind" täglich nebenbei zu sich nimmt: 1/2 l Milch (335 kcal), einen Becher Joghurt mit Früchten (141 kcal), einen Schokoriegel (275 kcal) und 150 ml Apfelsaft (85 kcal). Zusammen ergibt das bereits eine Kalorienaufnahme von 836 kcal. Wie soll das Kind dann noch zwei komplette weitere Mahlzeiten essen können, wenn es seinen Kalorienbedarf bereits zu gut 80 Prozent quasi „nebenbei" gedeckt hat? Wie lange kann ein Baby ausschliesslich mit Muttermilch ernährt werden? Die derzeit verbreiteste Empfehlung lautet, dass ein Baby mit sechs Monaten zusätzliche Beikost ergänzend zur Muttermilch benötigt. Nun gibt es aber bekanntermassen viele gestillte Kinder, die zu diesem Zeitpunkt noch keine Beikost akzeptieren. Dr. Gonzales hat deshalb eine Aufstellung gemacht, wie viel Muttermilch (MM) ein Baby im Alter zwischen neun und zwölf Monaten benötigt, um den empfohlenen Bedarf an verschiedenen Nährstoffen zu decken: Energie: 830 kcal = 1185 ml MM Eiweiss: 9,6 g = 910 ml MM Vitamin A: 350 µg = 700 ml MM Vitamin B: 0,4 µg = 412 ml MM Vitamin C: 25 mg = 625 ml MM Diese Angaben zeigen, dass Muttermilch den Bedarf des Kindes an vielen Nährstoffen lange zu decken vermag und nicht unbedingt Eile geboten ist, das Kind zum Essen zu zwingen. Ohnehin sind die Empfehlungen dazu, wie viel ein Baby benötigt meist zu hoch. Die Empfehlungen beruhen beispielsweise darauf, dass untersucht wird, welche Mengen gesunde, reif geborene Babys im Durchschnitt essen. Daraus werden Richtwerte berechnet, die sich immer an den Höchstmengen orientieren und zusätzlich noch Sicherheitszuschläge enthalten. Babys benötigen auch weniger Eisen, als meist angegeben wird. Dabei lässt sich beobachten, dass die meisten Kinder instinktiv das essen, was bei einem Mehrbedarf an Eisen sinnvoll ist. Babys sind Skeptiker, wenn sie neue Lebensmittel essen sollen. Dieses Misstrauen ist ein Schutzmechanismus, der das Kind davor bewahren soll, etwas zu essen, was ihm nicht bekommt. Bevorzugt isst ein Baby das, was auch seine Mutter isst, denn dieser Geschmack ist ihm durch die Muttermilch vertraut. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass ein Baby gekochte Karotten ablehnt, wenn die Mutter nie gekochte Karotten isst. Die meisten Babys mögen kein Gemüse, aber sie essen gerne Bananen, Nudeln und Süssigkeiten. Ein Vergleich der Kaloriendichte ergibt, dass Babys Nahrungsmittel mit einer grösseren Kaloriendichte bevorzugen und Muttermilch liefert mehr Kalorien als Gemüse und die meisten Nahrungsmittel, aus denen Mahlzeiten für Babys hergestellt werden. Um die gleiche Menge an Kalorien, wie sie in 100 ml Muttermilch enthalten sind, durch den Verzehr von Karotten aufzunehmen, müsste das Kind fast 400 g gekochte Karotten essen! Daraus lässt sich ein Zusammenhang zwischen Unterernährung und Nicht-Stillen erklären: da der Magen des Babys klein ist, benötigt es hochkalorische Kost. Gemüse kann nicht in so grossen Mengen gegessen werden, wie es notwendig wäre, um das Kind mit genügend Kalorien zu versorgen. Laut Dr. Gonzales weiss das Kind ganz genau, was und wann es essen muss. Deshalb lautete sein Schlusssatz, den er den Zuhörern mit nach Hause gab: Zwingen Sie ein Kind niemals zum Essen. NIEMALS!


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Danke für Deine Frage, ich bin sooo müde, dass ich es nicht so hätte formulieren können, aber genau das beschäftigt mch auch (Sophie ist 18,5 Monate). Ich sag schon öfter mal, dass ich jetzt nicht möchte und das akzeptiert sie oft auch, oft auch nicht, dann "zieht" sie alle Register. ;-) Also dieses "Nicht ablehnen, nicht anbieten", das würde bei uns kein klitzekleines bisschen funktionieren. Am ehesten hilft noch, wenn ich mich "füge" und sie lasse, als ob es dann uninteressant wird, aber das schaffe ich nicht immer, weil ich manchmal zu genervt bin. Also, ich bin auch supergespannt auf Biggis Antwort und schick Dir erstmal besonders liebe Grüsse von einer Mitleidenden. Chr.


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Habe zwei Kinder gestillt, eines 18 Monate, das andere 15 Monate. Ich habe das Stillen durch Jogurt-Füttern ersetzt. Immer, wenn ich merkte, meine Kleine kriegt Hunger und will an die Brust, hab ich ihr das Jogurt angeboten. Beide aßen sehr gern Jogurt. Wenn sie dann satt war, wollte sie auch nicht mehr an die Brust. Vielleicht eine Möglichkeit zum Ausprobieren??? Die Zeit zum Füttern muß man sich natürlich auch nehmen. Gruß Sabine


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