Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Ingrid Henkes:

Was können wir machen?

Ingrid Henkes

 Ingrid Henkes
Analytische Kinder- und Jugendlichen­psycho­therapeutin

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Frage: Was können wir machen?

Tina126

Liebe Frau Henkes, unsere Tochter (3,5 Jahre) tut sich sehr schwer in der Interaktion mit anderen Kindern und ist sehr grob. Im Kindergarten spielt sie kaum mit anderen, sondern läuft nur den Erzieherinnen hinterher oder läuft planlos herrum und schubst und haut dabei andere Kinder und macht absichtlich deren Türme, Bilder oder woran sie sonst gerade arbeiten kaputt. Jeden Tag, wenn ich sie abhole kommen alle Kinder auf mich zugerannt und erzählen mir, was sie an diesem Tag wem angetan hat. Zu Hause ist es auch oft so, dass wenn sie gerade keine Beschädigung hat, sie gezielt zu ihrer kleinen Schwester geht (19 Monate Altersabstand) und ihr weh tut, das Spielzeug wegnimmt oder das gebaute kaputt macht. Die beiden können aber auch ganz toll und harmonisch zusammen spielen . Wir sind langsam echt verzweifelt. Wir finden es ganz furchtbar, dass sie anderen Kindern weg tut oder deren Sachen kaputt macht. Wenn wir sie fragen, warum sie das macht, sagt sie dass sie das lustig findet. Sie selbst weint aber zum Beispiel nie, wenn sie sich weh tut, will dann auch ehr ihre Ruhe haben und macht weiter.  Ihre Erzieherinnen haben zu Beginn gedacht, dass sie vielleicht etwas autistisch ist, denken es aber nicht mehr und sagen, dass sie einfach sehr gerne provoziert und nicht weiß, wie man sozial interagiert. Sie guckt einen aber nicht immer an, wenn sie mit einem redet und tut sich z.B wenn sie etwas möchte und danach fragt sehr schwer die Person, die sie fragt anzugucken. Wir werden schon lange nicht mehr zu Spielverabredungen eingeladen und wenn wir fragen, weichen alle immer aus. Sie hat auch selten Interesse an Spielverabredungen. Wir versuchen bedürfnisorientiert zu erziehen, aber kommen sehr an unsere Grenzen. Ich selbst bin so aufgewachsen, dass es meine Eltern auch mal geschlagen haben, mein Bruder wurde auch mal mit dem Gürtel verprügelt und deshalb reagiere ich glaube ich extrem emotional auf körperliche Gewalt und kann es kaum aushalten, dass mein Kind absichtlich anderen weh tut und meine kleine Tochter damit aufwächst, dass es "normal" ist, dass ihr wehgetan wird. was können wir machen, um meiner großen zu helfen? Wir erklären ganz viel und machen Rollenspiele aber es hilft nicht langfristig, mal ein Tag und dann geht's weiter. Was wären logische Konsequenzen für sie, wenn sie anderen weh tut oder deren Sachen kaputt macht?   Vielen Dank für Ihre Hilfe  Tina


Ingrid Henkes

Ingrid Henkes

GutenTag, nach Ihrer Beschreibung vermute ich, dass Ihre Tochter mit ihren Provokationen Aufmerksamkeit erlangen möchte. Vermutlich liegt dem eine starke Rivalität zur Schwester zugrunde. Diese ärgert sie ja besonders. Sie hat die Entthronung durch die Schwester noch nicht bewältigt und möchte den Eindringling vertreiben. Sie befürchtet unbewusst, dass die Schwester ihr Ihre Liebe weggenommen hat oder es tun könnte. Liebesverlustangst ist für Kinder schwer erträglich. Ihre Tochter fordert lieber negative Aufmerksamkeit ein, um sich Ihre Beachtung zu sichern. Das bedeutet keineswegs, dass Sie ihr tatsächlich keine Aufmerksamkeit widmen würden. Es geht um unbewusste Bewältigungsformen der Psyche. Deshalb kann Ihre Tochter Ihnen auch nicht erklären, warum sie das macht. Das "Lustige" an ausgelebten Aggressionen besteht für Kinder darin, dass sie merken, durch solche Handlungen etwas bewirken zu können. Sie kann andere Kinder zum Weinen bringen und die Erwachsenen werden ärgerlich. Das gibt einem Kind vermeintlich viel Macht. Das kann für Dreijährige eine bedeutsame Erfahrung sein, da sie sich sonst eher noch als klein und schwach erleben. Ihre Tochter ist in seelischer Not, findet jedoch alleine aus diesem Verhaltensmuster nicht heraus. Für sie ist es wichtig zu erleben, dass sie für sozial erwünschtes Verhalten Aufmerksamkeit bekommt und nicht für negatives. Versuchen Sie, sie durch Festhalten an aggressivem Verhalten zu hindern, ohne besonders darauf einzugehen. Sie müssen Ihrer Tochter nicht erklären, dass man "das nicht darf". Das weiß sie und deshalb macht sie es. Ein Nein genügt. Sonst kann eine Konsequenz erfolgen. Im Kiga sind die Erzieher/innen dafür zuständig, das aggressive Verhalten Ihrer Tochter zu unterbinden. Sie müssen sich von den anderen Kindern nicht die Taten Ihrer Tochter petzen lassen. Melden Sie einfach zurück: "Klärt das mit ihr." Kinder können solche Probleme in der Regel ganz gut untereinander lösen. Für Ihre Tochter ist es sehr wichtig zu erleben, dass Sie hinter ihr stehen, auch wenn Sie das Verhalten nicht billigen. Sie sollten sich keine Schuld am Verhalten Ihrer Tochter geben. Sie haben aufgrund Ihrer familiären Situation das Richtige getan und versucht, Ihre Familie vor der damals äußerst bedrohlichen Erkrankung zu schützen. Viele Kinder hatten in dieser Zeit wenig Außenkontakte. Nun brauchen sie eben etwas länger, um sich auf andere Kinder einzulassen und Sozialverhalten zu lernen. Ihre Tochter wird das schon noch lernen. Die Bemerkungen Ihrer Mutter sollten Sie sich verbitten. Ihre Tochter wird keine Psychpathin und Sie sind an nichts schuld! Möglicherweise geht es Ihrer Mutter um eine Rechtfertigung für die Schläge, die Sie früher bekommen haben. "Bei unserem Erziehungsstil wäre das nicht passiert." Sie selbst haben aufgrund Ihrer eigenen Erfahrung erkannt, dass Gewalt in der Erziehung nichts zu suchen hat und verhalten sich anders. Möglicherweise spürt Ihre Tochter, dass Sie diesbezüglich besonders empfindsam sind und setzt ihr aggressives Verhalten unbewusst dagegen, um sich mächtiger fühlen zu können. Es wäre für Ihre Tochter hilfreich, wenn Sie mit deren Vahlten gelassener umgehen könnten. Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass eine aggressive Dreijährige ein aggressives Kind bleibt. Ihre Tochter braucht Unterstützung, um aus diesem Verhalten herauszufinden. Dann kann sie sich unproblematisch weiterentwickeln. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Ingrid Henkes


Tina126

Liebe Frau Henkes, kann das Verhalten meiner Tochter auch meine Schuld sein? Mein Mann hat starkes Asthma und wärend Corona waren wir sehr vorsichtig und haben nur nur draußen mit anderen getroffen und in meiner zweiten Schwangerschaft hatte ich auch große Angst Corona zu bekommen und habe deshalb nur Verabredungen auf dem Spielplatz gemacht. Wir gehen seit meine Große 1 Jahre alt ist jeden Tag mindestens 2 Stunden auf den Spielplatz. Meine Mutter sagt immer, dass ich an dem Verhalten meiner Tochter schuld bin, da ich ihr ein Gefühl von Angst im Umgang mit anderen in den ersten 1,5 Jahren mitgegeben habe und sie deshalb so ist, kann das sein?  Meine Mutter sagt auch, dass wir aufpassen müssen, dass sie keine Psychopathin wird, so etwas verunsichert mich sehr und ich mache mir große Sorgen, besonders, da ich keine wirksame Strategie habe, die uns hilft das meiner Tochter Verhalten zu ändern.    Danke für Ihre Hilfe von einer verzweifelten Mutter   


Tina126

Noch ein Nachtrag: wir wohnen in einer größeren Stadt in einem Neubaugebiet, so dass auf dem Spielplatz immer viele andere Kinder sind. Interesse an anderen Kindern hatte sie eigentlich nie. Mit einem Nachbarsmädchen spielt sie gerne, sonst ignoriert sie die anderen Kinder meistens oder schubst sie, wenn es ihr nicht schnell genug irgendwo geht.


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