Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Ludger Nohr:

Nachtschreck oder etwas anderes?

Dr. med. Ludger Nohr

Dr. med. Ludger Nohr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Frage: Nachtschreck oder etwas anderes?

Sonja_1

Guten Abend, ich bin aktuell in der 35. SSW mit dem 2. Kind schwanger. Unsere große Tochter ist 4 Jahre und ein sehr fröhliches gut gelauntes Kind. Sie freut sich sehr auf ihr Brüderchen und spricht auch jeden Tag von ihm. Sie schläft problemlos in ihrem Bett ein, sitzt allerdings jede Nacht nach 1-2 Stunden weinend in ihrem Bett. Sie ist kaum zu beruhigen und schlecht ansprechbar. Es dauert eine ganze Weile bis sie sich wieder beruhigt hat. Oft nehme ich sie dann mit ins Elternbett. Am nächsten Tag erinnert sie sich an nichts und ist topfit. Ich mache mir nun Gedanken, was los ist. Handelt es sich um einen Nachtschreck? Beschäftigt sie die aktuelle Situation? Das Baby? Hinzu kommt, dass wir nachts noch nie getrennt waren. Ich war immer da, um sie zu beruhigen. Nun wird sie bald mit ihrem Papa bei den Großeltern übernachten üben und wenn es losgeht evtl. eine Nacht allein bei den Großeltern verbringen. Eine Nacht geht irgendwie rum, aber trotzdem bereitet es mir Sorgen. Haben Sie einen Tipp, wie wir reagieren sollten, wenn sie weinend im Bett sitzt? Wir streicheln sie am Rücken und versuchen leise mit ihr zu sprechen. Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldung. Danke und viele Grüße Sonja


Liebe Sonja, es ist oft nicht zu klären, was der Hintergrund dieser nächtlichen Situationen ist. Den Kindern scheint etwas durch den Kopf zu gehen, was sie weder verstehen, fassen noch integrieren können. Es könnte sein, dass neben der Freude auf das Geschwisterkind auch eine Verunsicherung da ist, wie das denn werden wird, was es für die familiären Beziehungen bedeutet usw.. Natürlich nicht in dieser verbalen Differenziertheit, es ist eher ein Gefühl. Die Kinder haben ja auch im Alltag oft den (berechtigten ) Eindruck, wenig beeinflussen zu können (wenig Gefühl der eigenen Wirkmächtigkeit) und mehr sich anpassen zu müssen. All das kann sein und es kann etwas ganz anderes sein. Im Umgang damit machen Sie das aus meiner Sicht ganz richtig: Körperkontakt und zurückhaltende Ansprache. Es geht darum sie nicht damit alleine zu lassen, da zu sein. Es ist hifreich, tatsächlich in Kontakt zu kommen, damit Ihre Tochter Ihre reale und stabilisierende Anwesenheit auch klar wahrnehmen kann. Mal sehen wie sich das verändert, wenn das Geschwisterkind da ist. Dr.Ludger Nohr


Bagari

Hallo, ich les das hier grad nur zufällig weil ich selbst eine Frage gestellt habe. Ich bin auch hochschwanger und bekomme in ein paar Wochen das zweite Kind, meine Tochter (2 ) leidet neuerdings auch unter Nachtschreck. Bei ihr ist es definitiv Nachtschreck, sie ist nicht ansprechbar, kann nicht beruhigt werden, ruft immer nach mir obwohl ich schon längst da bin und wird aggressiv wenn man sie anspricht oder anfasst.sie schmeißt sich dann auf die Matratze und redet wirres zeug und brüllt ganz viel. Ich fasse sie deshalb nicht an, spreche auch nur ganz wenig und leise mit ihr, mache kein Licht an usw weil sie das nur noch mehr verstört. Da kann man einfach nur abwarten wenn es der Nachtschreck ist. Ich hab die Erfahrung gemacht dass auf den Arm nehmen oder mit zu sich ins Bett nehmen keine gute Idee ist, dadurch zieht man den Nachtschreck in die Länge. Sie beruhigt sich viel schneller wenn ich nichts tue und einfach nur daneben sitze und aufpasse dass sie sich nicht selbst weh tut. Aufwecken ist auch keine gute Idee (funktioniert bei uns auch nicht). Irgendwann hört sie einfach auf zu schreien und schläft weiter als wäre nichts gewesen. Da sich die Kinder an den Nachtschreck nicht erinnern, ist es nur für die Eltern belastend das mitzuerleben. Meine Tochter war jetzt sehr krank mit hohem Fieber und dann hat sie das manchmal. Ich glaube bei uns hat es nichts mit dem Baby zu tun, stressige Ereignisse oder Lebensumstellungen können aber auch einen Nachtschreck begünstigen. Mit 1 Jahr hatte meine Tochter das sehr oft als sie in der Krippe eingewöhnt wurde. Verhinderm kann man das nicht, nur auf Schlafhygiene achten (wenig Medienkonsum, abends zur Ruhe kommen, feste Rituale). Nachtschreck ist ansonsten harmlos. Was die Geburt vom zweiten Kind angeht: Meine Hebamme sagte mal ein Kind trägt keinen psychischen Schaden davon nur weil die Mutter zur Entbindung muss und das Kind mal eine Nacht in Fremdbetreuung ist. Sie meint Mütter machen sich diesbezüglich viel zu viele Gedanken um ihre vorhandenen Kinder und sollten sich lieber auf die Geburt und das Baby konzentrieren. Deine Tochter ist ja schon 4, man kann ihr das erklären. Sicher wäre es von Vorteil gewesen das übernachten bei oma in den letzten Monaten/Jahren immer mal wieder zu üben, meine Tochter übernachtet schon regelmäßig bei anderen seit sie ein Baby ist, deshalb gibt es da überhaupt keine Probleme. Ich musste mal längere Zeit ins KH (auch sowas kann plötzlich vorkommen) und sie war dann bei Papa und Oma und das war kein Problem. Wenn ihr das jetzt vorher noch schnell übt, wird das bestimmt gut laufen. Und selbst wenn nicht: das ist nur eine Nacht und Mama kann (und sollte vllt auch) nicht immer zur Verfügung stehen. Wenn das Baby erst da ist muss die Aufmerksamkeit ohnehin geteilt werden und wenn man die Große dann mal bei Oma abgeben kann um etwas mehr Ruhe für das Baby zu haben ist das doch auch von Vorteil, für alle. Eine gute Oma-Enkelin-Beziehung (inklusive Übernachtung) ist super für Oma und Ekelin und du hast dann mal mehr Zeit für anderes. Ich weiß ich war gar nicht angesprochen von der Frage, hoffe meine Erfahrung hilft trotzdem weiter. Viele Grüße und alles Gute für euer Baby!


Die Frage des Weckens wird unterschiedlich gesehen. Meist sind die Kinder ja nicht erweckbar und werden gegen Ende von selbst wach um dann einzuschlafen. Ich glaube trotzdem dass es gut ist, wenn die Kinder die Anwesenheit spüren (hören, fühlen), auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.( Der gesamte Ablauf ist ja am nächsten Tag nicht mehr bewusst.) Was sie abwehren, sollte man natürlich nicht forcieren, aber Ihr Kind scheint ja Ansprache und vorsichtigen Kontakt zu akzeptieren. Die seelischen Hintergründe sind unklar, können aber aus dem Alltagserleben gespeist werden. Dr.Ludger Nohr


Bagari

Auf jeden Fall! Ich wollte damit auch gar nichts in Frage stellen, nur unsere Erfahrungen hier mit Nachtschreck schildern. Wir bleiben auch bei ihr und gehen nicht weg, wir glauben auch dass es hilft wenn man anwesend ist, nur anfassem dürfen wir sie nicht. Das macht alles schlimmer, ist aber nur unsere Erfahrung. Ich bin nur Mutter, kein Psychologe, ich habe größten Respekt vor Ihren Beiträgen hier. Geantwortet habe ich hier eh nur weil ich das zufällig gelesen habe als ich auf meine Antwort gewartet habe :).


Es war auch keine Kritik an Ihnen, im Gegenteil, ich bin immer froh, wenn Eltern ihre Erfahrungen mitteilen. Also bitte nicht abschrecken lassen. Dr.Ludger Nohr


Sonja_1

Mittlerweile sind die Nächte, in denen meine Tochter schreiend im Bett sitzt, seltener geworden. Wir haben herausgefunden, dass sie dann oft auf Toilette muss und gehen davon aus, dass sie den Druck auf die Blase im Tiefschlaf nicht einordnen kann. Wir tragen sie dann, lassen sie im Bad Pipi machen und legen sie zurück ins Bett. Manchmal schläft sie direkt weiter, manchmal sitzt sie noch verwirrt und weinend da. Sie erkennt mich scheinbar nicht. Erinnern kann sie sich morgens an nichts.


Sonja_1

Mittlerweile ist viel Zeit vergangen und nach gemeinsamer Zeit auf Matratzen auf dem Boden, ist nun wieder die Zeit da, in der meine Tochter in ihrem Bett schlafen soll. Bei ihrem 2-jährigen Bruder ist es kein Problem. Für sie schon. Der Nachtschreck ist zurück... Die ganze Zeit war es weg. Da lag sie bei mir und hat durchgeschlafen. Seit einer Woche üben wir nun das Schlafen im eigenen Bett im Zimmer nebenan. Sie wacht wieder auf, weint und schreit, muss meist auf Toilette. Die Schule steht vor der Tür. Es sind quasi wieder neue Dinge, die sie verarbeiten muss.  Vielleicht haben Sie mittlerweile doch noch Anregungen oder Tipps für uns. Sie schaut mich oft mit leeren Augen an, erinnert sich morgens aber an das "Aufwachen" und erkennt mich auch.


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