Leena
Mein Vater ist 76 Jahre alt, und so langsam wird er wirklich "alt".
Über das Thema, dass es hygienische Aspekte gibt (verschmierter Toilettensitz, verschmiertes Laken etc.) hatte ich ja schon geschrieben, meine Mutter sieht Handlungsbedarf und ist tief bekümmert, mein Vater "verbietet" aber jegliches Agieren. Also passiert nichts. ;-(
Mittlerweile sieht mein Vater auch optisch richtig "verwahrlost" aus. :-(
Er war Ende Juli beim Friseur (er hat eigentlich diesen typischen "Altherrenschnitt" mit oben wenig und dann hängend/zurückgekämmt bis zur Unterkante der Ohren), irgendwie war da beim Friseur etwas schief gegangen und er sah einseitig aus wie ein misshandelter Igel. Mittlerweile ist das Ganze soweit wieder nachgewachsen (klar, in 4,5 Monaten), aber er kann sich offenbar nicht mehr richtig rasieren, kommt nicht mehr bis zum Haaransatz an den Seiten und wuchert da furchtbar zu. So ähnlich wie Koteletten, aber wild wuchernd und irgendwie "borstig" und schrecklich ungepflegt, und dann auch noch auf beiden Seiten komplett unegal.
Er lässt aber auch niemanden ran (es wäre ja wirklich kein Akt, da mal mit einer Haarschere den übelsten Wildwuchs zu dezimieren, oder mit dem Langhaarschneider drüber zu gehen o.ä.), aber er weigert sich - die Friseurin ist schuld und da kann man nichts machen, fertig.
Ich kann für mich damit gerade so gar nicht umgehen - zumal er mich jetzt so an meinen Großvater, seinen Vater, erinnert, in seinen letzten Tagen. Zum Schluss fand mein Großvater es auch "zu anstrengend" und "lohnt sich doch nicht mehr", sich noch zu rasieren...
Ich spüre gerade so sehr, dass es endlich ist...
Wenn sie wenigstens aus ihrer zugemüllten, zerbröselnden Wohnung raus gingen und irgendwo hin, wo es Ansprechpartner und Hilfsangebote gäbe, dass ich sie wohl versorgt wüsste... wollen sie aber auf gar keinen Fall. Ich habe Angst vor dem, was jetzt kommt. (Und blödsinniger Weise fühlt es sich an, als verlöre ich meinen heißgeliebten Großvater jetzt zum zweiten Mal. Bescheuert, ich weiß! )
Hallo Leena, erst mal
Ich denke, es ist umso schwieriger für Dich, weil Du in Deinem Vater nun immer mehr den verstorbenen Opa siehst. Wenn er sich anders entwickeln würde, wäre das nicht so berührend für Dich.
Bringt es gar nichts, mit ihm zu reden? Oder möchtest Du ihm anbieten, ihn zu rasieren, würdest Du das wollen?
Es ist schwer, die Eltern altern zu sehen. Und zu merken, daß sich die Positionen verschieben. Plötzlich sorgt man sich um die Eltern, nicht umgekehrt. Plötzlich merkt man, wie sie einem peinlich werden, nicht umgekehrt...
Wissen sie, daß Du besorgt bist? Hast Du mit ihnen geredet, wie haben sie reagiert? In dem Alter spielst sicher ein gewisser Altersstarrsin eine große Rolle. Wenn sie nicht wollen, kannst Du nichts machen. Außer entmündigen, aber ein Arzt muß erst mal attestieren, daß sie nicht mehr - mir fehlt das Wort - zurechnungsfähig? sind.
Aua, du schreibst mir aus der Seele. Einen GRoßvater hatte ich nie und meine Großmütter sind "alt" verstorben (86/87). Ich erlebe erstmals einen alternden Mann -meinen Vater. Er ist auch 76 und seit einiger Zeit merke ich dieses Altern. Hygieneänderungen sehe ich nicht, aber rasieren fällt öfter aus. Verreisen möchte er nicht mehr wirklich gern. Meine Mutter (73) ist noch rüstiger. Aber ich mache mir langsam Gedanken, wie es weitergeht. Autofahren wird bei ihm unsicherer usw. Irgendwie war der Sprung von älter zu alt sehr plötzlich
Ich empfand es als sehr schwierig, meinen starken Vater plötzlich schwach und hilflos zu erleben. Ja, die Positionen verschieben sich, aber das ist von Elternseite nicht unbedingt gewollt. Eine Psychologin hat einmal zu mir gesagt, dass man als Kind den eigenen Maßstab, wie man sich vorstellt das Leben (Ordnung, Hygiene, Unternehmungen etc.) zu verbringen, zur Seite schieben und sich bewusst machen sollte, dass die Eigenständigkeit für alte Menschen eines der höchsten Güter ist. Diese wird mit aller Kraft verteidigt. Das ist ja auch verständlich. Wenn Du Deinen Eltern helfen willst, solltest Du das ganz behutsam machen. Unauffällig mal die Gläser nachspülen oder im Bad die Toilette nachputzen. Wenn Du Deinem Vater vermittelst, dass er immer noch der starke Papa für Dich ist, der auf Augenhöhe mit Dir ist, dann kannst Du vielleicht auch vorsichtig an solchen Dinge, wie Hygiene o. Haarschnitt in Angriff nehmen. Ich drück Dich, denn ich weiß, wie schwer das ist.
Hallo, deine zeilen haben mir sehr gefallen. es ist für jedes"kind" egal wie alt schwer zu erfahren, dass die eltern nicht mehr stark sind und sich das verhältnis umdreht. was mir bei dir gefällt, auch wenn die eltern nicht mehr die starken sind, wie wir sie von kindheit an kennen, begenest du ihnen noch mit achtung und hilfst ihnen auf unsichtbare weise. Diese einstellung ist auch die meine. deine eltern können sich glücklich schätzen, so eine tochter? (vermute ich mal) zu haben.!
Zwerg, Dein Ansatz ist sehr löblich und zeugt von viel Respekt. Meiner Erfahrung nach funktioniert das aber nur so lange, wie sich die Hilfsbedürftigkeit auf "hin und wieder" und kleinere Aufgaben im Haushalt beschränkt. Sobald man im Grunde täglich eingreifen muss und auf mehreren Ebenen, sobald die Gesundheit gefährdet ist, wenn man nicht hilft, ist diese Hilfe nicht mehr unauffällig und nebenbei zu leisten. Und dann wird's leider heikel. Aber natürlich ist es schön, wenn es dennoch funktioniert. Hier hat es leider nicht ohne Reibereien geklappt. Grüße Andrea
Danke, leider leben meine Eltern beide nicht mehr und es hat viele Stunden des Grübelns und auch Tränen gekostet, gerade bei meinem Vater (meine Mutter ist 5 Jahre vor meinem Vater gestorben) zu akzeptieren, dass für ihn das Wichtigste überhaupt, seine Eigenständigkeit war. Als Kind will man (wie andersherum auch) das Beste für seine Eltern. Meinen Vater teilweise ungepflegt und "schwach" zu sehen, hat mich sehr traurig gemacht. Zudem hatte mein Vater bis zu seiner Pensionierung ein öffentliches Amt in einer Kleinstadt inne. Hier kam auch noch meine Befürchtung hinzu, wenn er mit schmutzigen Pullover o. Hemd irgendwo hingegangen ist, dass andere sich über ihn lustig machen. Angst nicht, weil ich mich geschämt hätte, sondern weil er, der sein Leben lang als starke Person im Rampenlicht stand, es nicht verkraftet hätte, mitzubekommen, dass andere "schlecht" über ihn reden. Gelöst haben wir das Hygieneproblem mit einer tollen Haushälterin. Diese war ziemlich burschikos, hat aber bei meinem Vater den richtigen Ton getroffen. Wenn er im verschmutzten Hemd auftauchte, sagte sie: "Ich wasche grad Hemden, das kann noch mit rein. (und gab ihm ein neues Hemd) Morgen sind Hosen dran." Ich glaube mein Vater ging bis zu seinem Tod davon aus, dass die Maschine immer mit einer Kleidersorte befüllt wird ;-) Die Haushälterin hat es geschafft, dass er ordentlich angezogen war, ohne dass er sich je schlecht gefühlt hätte.
Ganz klar. Das klappt nur in Situationen, die nicht Leib und Leben gefährden . In diesen Situationen ist natürlich ein Eingreifen erforderlich. Ich hatte mich auf Leenas Post mit der Frisur ihres Vaters etc. bezogen.
Super - solche Damen bräuchte man häufiger
Spruch, den der jüngere Mensch in dieser Situation möglicherweise zu hören bekommt. Wie werden wir mal sein und wer wird sich um uns kümmern?
Dieses Gefühl macht einen so ohnmächtig. Ich habe das zum ersten Mal bei meiner Oma, die eigentlich wie meine Mutter für mich war, erlebt. Und ich habe sehr gelitten, diese starke, autarke und anpackende Frau schwinden zu sehen. Körperlich, nicht geistig. Bei meinem Vater war es dann andersherum: Körperlicher Zustand (von jeher nicht gut) ok, aber geistiger Abbau. Ich weiß nicht, was schwerer zu ertragen ist. Aufgrund des "Widerstandes" Deines Vaters sind Deine Möglichkeiten ja leider begrenzt. Du kannst ihn ja schlecht fesseln, um ihm die Haare zu schneiden :o( Ich wünsche Dir einfach die Gelassenheit, hinzunehmen, was momentan nicht zu ändern ist. Vielleicht arbeitet ja die Zeit für Euch und irgendwann tut sich ein Türchen auf... Alles Gute!