Frage: Plötzlich verunsichert

Lieber Herr Dr. Posth, Sie haben mir schon oft wertvolle Hinweise zur Entwicklung meines Sohnes (26 Mon.)gegeben. Um die ganze Vorgeschichte abzukürzen: Ihrer Ansicht nach ist er ein sicher gebundenes Kind. Zu unserer Situation: ich betreue ihn alleine, unter der Woche arbeitet mein Mann seit einem Jahr in einer anderen Stadt, so daß er nur am Wochenende hier ist. Wir haben einen geregelten Tagesablauf, treffen andere Mütter mit Kindern, gehen auf den Spielplatz etc.etc. Die Unsicherheit bei ihm begann praktisch mit dem 2. Geburtstag: auf einmal wollte er nicht mehr alleine einschlafen und kam nachts zu uns (bis heute schläft er den größten Teil der Nacht bei uns, geht manchmal aber auch selbst wieder in "sein" Bett). Aber in erster Linie zeigt es sich durch größere Anhänglichkeit: wenn sein Vater am Wochenende da ist, läßt er mich kaum joggen (Mama soll hierbleiben!!), wenn er in seinem Zimmer spielt, fragt er von oben (Mama, bist Du noch da?)... Mir fällt beim besten Willen nichts ein, was ihn so aus der Bahn geworfen hat, denn ich gehe sehr verständnisvoll und liebevoll mit ihm um, bin rund um die Uhr bei ihm, würde ihm nie weinen lassen u.v.m. Nur 2 Dinge vielleicht: er hat mich mal im Haus gesucht und erst nach Minuten im Garten gefunden, da war er vollkommen aufgelöst. Das ist aber schon 1-2 Mon. her. Das andere: ich mußte für einen Tag nach Berlin, wo mein Mann arbeitet. Um den Kleinen zu schonen, habe ich nur gesagt, ich wäre einkaufen und daß Oma bei ihm ist. Da er häufig sagt: "Mama geht nicht nach Berlin, Papa ja!" - wollte ich ihm den "Schock" ersparen, war das wohl verkehrt?? Als ich abends zurück kam, hat er mich erst ignoriert, später dann hat er mir erzählt, daß er Angst hatte, daß Mama weg war!!!! Das Wochenende danach wollte er sich nicht mehr von seinem Vater ins Bett bringen lassen, nicht von ihm trösten lassen- nur: "Mama soll kommen- Pap soll weggehen!!" Was läuft nur schief bei uns? Es kann doch nicht sein, daß 2 Jahre intensivste Betreuung (à la Posth-Forum, um unseren Stil mal zu beschreiben) vergessen sind? Ist die Trennung vom Vater u.U. auch traumatisch? Die beidne haben so ein herzliches Verhältnis! Herzlichen Dank für Ihre Geduld und die Antwort! Ich weiß, es ist schon fast eine Zumutung, so ein langer Text, aber ich bin sehr entmutigt i.M. Grüße Hanna

Mitglied inaktiv - 01.12.2003, 22:38



Antwort auf: Plötzlich verunsichert

Liebe Hanna, die momentane Entwicklung ist eigentlich schon mit Ihren Angaben erklärt. Durch die Tatsache, daß er mit seinen gut zwei Jahren sich unvorbereitet von Ihnen getrennt erleben mußte (Ihre Kurzfahrt nach Berlin), und zwar in einer Phase, in der er weder den Zeitfaktor der Trennung, noch die Entfernung irgendwie als für ihn entlastend einordnen kann, ist sein Vertrauen in die Mutter etwas erschüttert. Zwar will er selbstständig werden, aber nur in selbstbestimmter Form! Nun verbindet er den Papa immer mit Berlin und einer drohenden erneuten Trennung, auch wenn sie in Wirklichkeit gar nicht ansteht. Die Oma konnte ihn aus dieser Angst übrigens nicht retten, sie ist wahrscheinlich zu wenig Ersatzbezugsperson. Da er in dieser Situation zusätzlich kränkbar geworden ist, betrüben ihn die sicherlich gut gemeinten Warnungen anderer Mütter (heiße Teetasse) sehr. Er erlebt sich in dem Moment als fehlerhaft handelnd und meint, er versagte (wieder). Also weint er. Man muß auch wissen, daß ein Kleinkind die eigentlichen Ursachen einer Beziehungsstörung oft zu seinen Lasten umdreht. Das gebietet ihm sein Egozentrismus und das heißt in Ihrem Fall, daß Ihr Sohn meinen könnte, sie hätten ihn verlassen, weil er vielleicht einen Fehler gemacht hat. Vor solchen Entwicklungen schützt eine sichere Bindung natürlich nicht in jeder Weise. Sie garantiert aber, daß sich die Sache wieder vollständig beheben läßt, indem Sie die regressiven Verhaltensweisen soweit tolerieren und mit Verständnis annehmen. Das Verständnis haben Sie ja jetzt, und sie werden erleben, daß in dem Moment, in dem die Sicherheit bei Ihrem Sohn wieder da ist, die ganze Sache vergessen ist. Viel Erfolg und viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 03.12.2003



Antwort auf: Plötzlich verunsichert

Was mir noch auffällt: der Kleine ist plötzlich sehr fürsorglich geworden; ständig sagt er: "Ich mache Licht für die Mama/ ich hole was zu trinken für die Mama/ ich hole Salbe für die Mama etc. Ob das alles irgendwie zusammenhängt? Um kein falsches Bild zu bekommen: er ist nachwievor sehr fröhlich, singt sehr viel und lacht. Nur ist er so schnell gekränkt: bei anderen Kindern zu Hause wird er schonmal von der anderen Mutter "ermahnt" (was ich für total übertrieben halte, mit schriller alarmierender Stimme ihn davon abzuhalten, eine Teekanne anzufassen). Er bricht zutiefst gekränkt in Tränen aus. Ich kann ihn schon verstehen! Aber die Kinder dieser Mütter scheinen nicht so empfindlich...???!!

Mitglied inaktiv - 02.12.2003, 09:46