Frage: Noch mal wegen Schreitreflex

Hallo Dr. Posth, vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Frage bezüglich Schreitreflex. Sie hatten noch einmal wegen Jans Mehrfachbehinderung nachgefragt. Also es war bei ihm eigentlich von Anfang an alles ziemlich merkwürdig und ich hatte ein ungutes Gefühl, schob das aber auf meine Unerfahrenheit als Mutter – Jan ist mein erstes Kind. Die Schwangerschaft war wunderbar gewesen – ich war die gesündeste Schwangere aus der ganzen Praxis. Geburt war normal, bester Apgar, normaler ph-Wert, Jan sah mit über 4000 g aus wie ein Zwei-Monats-Baby, war ganz rosig und recht groß (bin ich auch: knapp 1,80m). Zu Hause fingen dann die Merkwürdigkeiten an: Jan überstreckte sich, schrie fiel und konnte den Kopf im Prinzip gar nicht halten. Vor kurzem wurde uns gesagt, dass dieses Überstrecken schon Krämpfe hätten sein können. Jan hat eine leichte Epilepsie, die aber gut eingestellt ist und keine nennenswerten Probleme bereitet. Da Jan keinen Blickkontakt aufnehmen konnte, fragte ich die uns betreuende Hebamme wegen Autismus und Kanner-Syndrom. Zu der Zeit fing ich schon an, mich im Internet zu informieren. Die Hebamme lachte mich aus und meinte: „Also autistisch sieht der mir nicht aus!“ Dass wir damals gar nicht so verkehrt lagen, zeigen uns heutige Arztberichte, in denen etwas von unklaren autistischen Zügen steht. Als Jan wegen Gedeihstörungen mit knapp drei Monaten ins KH musste, wurde zum ersten Mal Ultraschall vom Kopf gemacht und die asymmetrischen Seitenventrikel entdeckt. Die Ärzte machten besorgte Gesichter, wollten aber nichts sagen, faselten nur etwas von schlaffem Muskeltonus, was aber angeblich nicht weiter schlimm wäre. O-Ton einer Ärztin: „Ich sage Ihnen nicht, was sein könnte, weil dies zu schrecklich für Sie wäre!“ Hallo?! Wir warteten die Entwicklung noch eine Weile ab und machten KG nach Bobath. Die Kinderärztin behauptete immer nur, Jan wäre ein Spätentwickler. Wir konnten es bald nicht mehr hören, denn Jan blieb immer mehr hinter Gleichaltrigen zurück. Schließlich gingen wir auf eigene Faust ins SPZ, wo im Rahmen eines MRTs ein nicht erklärbarer Sauerstoffmangel entdeckt wurde (asymmetrische Seitenventrikel + erweiterte Liquorräume). Hier wurde uns dann endlich gesagt, dass Jan behindert ist – da war er 12 Monate alt und schon auf allerlei tödliche Stoffwechselkrankheiten untersucht worden. Wegen der extremen Hypotonie hätte es auch Tay Sachs sein können. Wenn er das gehabt hätte, wäre er heute wahrscheinlich schon tot! Woher dieser ominöse Sauerstoffmangel kommt, weiß bis heute keiner. Da ich nun mit dem zweiten Kind schwanger bin, stellt sich nun die Frage, ob ich per Kaiserschnitt entbinden soll, damit nicht noch einmal ein Sauerstoffmangel passieren kann. Natürlich kann es auch pränataler Sauerstoffmangel gewesen sein, aber es gab ja keinen Anlass. Ich war nie krank, hatte keine Blutungen oder ähnliches. Im Feinscreen mit 3-D-Ultraschall hat man die asymmetrischen Seitenventrikel auch nicht gesehen und was Genetisches hat Jan nicht. Das wurde schon abgeklärt und passt auch nicht zum Behinderungsbild. Was ich nicht verstehen kann, ist, dass Hebamme und Kinderärztin unsere Bedenken nicht Ernst genommen haben. Ich dachte damals, wir wären ein Einzelfall, aber so was scheint es doch öfter zu geben. Viele Kinderärzte kennen leider nur das Down-Syndrom und ziehen schon beim Rett-Syndrom oder Angelman die Augenbrauen hoch. So nach dem Motto, was ist das denn?! Wir haben inzwischen eine Seite für Eltern mit behinderten Kindern gegründet – gerne können Sie unter www.rehakids.de mal bei uns reinschauen. Zum Schluss sollte ich vielleicht noch erwähnen, dass unser Sohn ein sehr zufriedenes Kind ist, sich einer robusten Gesundheit erfreut und insgesamt ein stabiles Immunsystem hat. Er isst sehr gerne und mit großem Appetit, schläft nachts gut durch und zeigt mit knapp drei Jahren noch keinerlei Verhaltensstörungen. Auch scheint er recht belastbar zu sein und verkraftet neue Situationen und Ortswechsel sehr gut. Im Prinzip passt das gar nicht zu einem doch relativ schwer behinderten Kind. Freundliche Grüße und danke fürs Lesen, Sabine

Mitglied inaktiv - 30.08.2004, 10:49



Antwort auf: Noch mal wegen Schreitreflex

Liebe Sabine, schönen Dank für den ausführlichen Brief. Ich verstehe Sie vollkommen und wundere mich auch desöfteren über die unbedachten Aussprüche meiner Kolleginnen und Kollegen. Bestimmt hätte man schon in den ersten Lebensmonaten die Ursachen für das Schreien und Überstrecken abklären müssen, insb. dann, wenn auch Entwicklungsstörungen sich abzeichnen. Die Epilepsie ist höchstwahrscheinlich eine symptomatische Form bei einer bisher nicht geklärten Erkrankung des Zentralnervensystems. Die Asymmetrie der Ventrikel läßt höchstens darauf schließen, daß eine Hirnhälfte von dem Prozeß stärker betroffen ist, als die andere. Wahrscheinlich sind auch die äußeren Liquorräume erweitert. Genetische Ursachen, also Anlagestörungen sind übrigens noch nicht ausgeschlossen, wenn chromosomale Störungen ausgeschlossen sind. Manchmal sind solche genetischen Erkrankungen nur durch eine Hirnbiopsie einigermaßen sicher zu diagnostizieren, aber ich verstehe sehr gut, wenn Sie diese Untersuchung bei Ihrem Sohn nicht vornehmen lassen wollen. Ist eine Liquoruntersuchung gemacht worden? Ist der Liquor auf Laktat untersucht worden? Alles Gute und viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 31.08.2004



Antwort auf: Noch mal wegen Schreitreflex

Hallo Herr Dr. Posth, ich hoffe, Sie schauen hier noch mal nach wegen einer Antwort von mir - ansonsten schreibe ich Ihnen nächste Woche noch mal. Nein, eine Hirnbiopsie haben wir nicht machen lassen, ebenso keine Liquoruntersuchung. Man hat uns so etwas gar nicht vorgeschlagen. Die Ärzte, die das MRT ausgewertet haben, gingen sofort von einem Sauerstoffmangel aus (war in der Berliner Charite). Die eine Hirnhälfte ist übrigens tatsächlich stärker betroffen als die andere. Die Krampfpotenziale lassen sich gut im EEG erkennen und sind dank Ospolot gut zurückgegangen. Die Anfälle waren zumeist leichter Natur und sind durch das Medikament gut zurückgegangen. Eine Lumbalpunktion haben wir nicht machen lassen, denn die für uns zuständige Ärztin, die ich für eine sehr fähige halte, meinte, die Behinderungen, die man mit dieser Methode abklären lassen könnte, hätte unser Sohn mit größter Wahrscheinlich nicht. Die Symptome dieser Krankheiten bzw. Behinderungen würden nicht zu seinem Behinderungsbild passen. Das haben wir damals geglaubt und es deshalb nicht machen lassen. Lieben Gruß und danke für Ihr Interesse. Sabine

Mitglied inaktiv - 31.08.2004, 23:39