Frage: "Leih-Selbst"

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, Tigran (1 Jahr, 1 Monat) bietet mir fast immer die Sachen an, mit denen er spielt oder die er isst. Und freut sich, wenn ich das Angebot annehme. Macht er das, weil er uns noch als Einheit sieht (habe Ihren Text gelesen), d.h. dass er und ich immer das Gleiche machen? Wenn er sich im Spiegel, auf (großformatige, da am PC) Fotos oder Filmen sieht, strahlt er. Er kennt ja aber noch kein "Ich", oder? Freut er sich also einfach über das bekannte Gesicht (ich glaube, er weiß auch, dass der "andere" Junge Tigran heißt)? Danke für Ihre Antwort! Viele Grüße Anna

Mitglied inaktiv - 26.05.2004, 12:30



Antwort auf: "Leih-Selbst"

Liebe Anna, ja, sie haben recht, so ist das Verhalten zu verstehen. Allerdings hindert das das Kind nicht daran, mit seiner Mutter Gegenstände dauernd auszutauschen, die körperliche "Zweiheit" hat das Kind schon verstanden. Daß es selbst und seine Mutter nicht nur körperlich getrennt sind, sondern auch seelisch-geistig, daß wird dabei jetzt "einstudiert". Und im Spiegel sieht Ihr Sohn einstweilen ein "anderes" Kind, das offenbar lustig ist. Daß dieses auch auf dem Arm "seiner" Mutter ist, macht ihn nicht stutzig, denn die Mutter ist ja irgendwie auch Teil seines Selbst, also umgekehrt, und so kann Rivalität mit dem vermeindlich anderen Kind schwerlich aufkommen. Ab eineinhalb, wenn das Selbst autonom wird, sieht die Geschichte dann zunehmend anders aus. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 29.05.2004