Frage: Kommentar?

Lieber Dr. Posth, auf der Internetseite einer renommierten Zeitschrift gibt ein Verhaltensforscher(!) Rat, wie Eltern am besten mit dem Trennungsschmerz ihrer Kinder beim Abschied im Kindergarten umzugehen haben. Er rät so hochqualifizierte Dinge wie: "Wie reagiere ich richtig, wenn mein Kind beim Abschied im Kindergarten weint? Dr. Fritz Jansen: Ganz wichtig: Trotzdem gehen!" http://www.eltern.de/kindergarten/erziehung/kindergarten-weinen.html möchten Sie vielleicht einen Kommentar schreiben? Mir ist klar, dass Sie nicht die Zeit und sehr wahrscheinlich auch nicht Lust haben, zu jedem Schwachsinn Stellung zu beziehen, aber sowas kann man doch nicht unkommentiert stehen lassen...? Viele Grüße, Regina

Mitglied inaktiv - 23.11.2009, 09:54



Antwort auf: Kommentar?

Stichwort: Angst Liebe Regina, Sie haben natürlich Recht, obwohl sich der Herr Jansen verbitten würde, seine Einlassung zum Thema Trennungsangst als Schwachsinn zu bezeichnen. Es gibt (beim Übergang in den Ki-ga oder auch bei Einschlafen) immer noch einen fundamentalen Unterschied zwischen der - sagen wir vorsichtig - althergebrachten Pädagogik der Anpassungstheorie und der der auf den Ergebnissen der Bindungsforschung beruhenden Psychologie der Reifungsschritte bei der Ablösung. Also Anpassung gegen Reifung. Bei der Anpassung wird ein aversives Empfingen der Unlust und Vermeidung als Konditionierungsinstrument dazu benutzt, gewünschtes und unkompliziertes Verhalten beim Menschen zu erzeugen. Das hat in der Natur immer dann seinen Nutzen, wenn schnell Gefahr erkannt und abgewendet werden muss. Dreimal auf die heiße Herdplatte gefasst ist das Gegenteil dieser Anpassungstrategie, um den natürlichen Vorgang über diesen Weg zu erklären. Immer dann, wenn der Schutzmechanisnmus anspringen kann, ist dieses Verhalten sinnvoll und nutzbringend. So entsteht auch keine nachhaltige Angst. Lediglich die Vermeidung, die in diesem Falle sinnvoll ist, ist das notwendige weil schutzbringende Resultat. Die Reifung ist dagegen ein produktiver, in die Zukunft gerichteter Lern- und Wachstumsprozess, von dem der Entwicklungsfortschritt des Menschen, insbesondere der des Kindes, abhängt. Er benötigt kein Konditionierungsinstrument, sondern die Erfahrung des Gesamtumstandes der gefährlichen Situation samt ihrer Lösung und Befreiung aus dieser Gefährdung. Hierbei wird Erkenntnis gewonnen und ein sinnvolles Netzwerk im Gehirn dazu geschlossen (emotionale Zentren in Verbund mit Handlungsplanung). Das Kind wird selbstständiger und widerstandsfähiger aufgrund eigener, neu gewonnener Kenntnisse (Resilienz). Angstkonditionierung ist also ein Notbehelf des Gehirns zu Lasten emotionaler und psychosozialer Reifungsvorgänge. Als indirekter Reflex in Gefahrensituaionen sicherlich von Überlebensvorteil, aber auch nur wenn Flucht oder Kampf möglich sind. Will man das nun auf Trennungsmomente mit Ablösung in die Fremdesituaion in Verbindung bringen, dann begeht man hier den Kardinalfehler. Denn Flucht ist nicht möglich und Kampf ist aussichtsllos. Das Kind kollabiert emotional und fügt sich oder unterwirft sich (egal nach wieviel Minuten und Tagen) und lernt nur eins, seine Angst und sein Schutzbedürfnis zu unterdrücken und zu verdrängen. Die Methode geht auf, aber erzeugt ein Trauma in der bis dahin unangestasteten seelischen Entwicklung. Ein Trauma, resp. eine seelische Wunde, verheilt zwar auch, aber die Narbenbildung ist hier fortan ständiger Sand im Getriebe der Gefühle. Ein körperliche Narbe kann hingegen mit der Zeit funktionell umstrukturiert werden. Narbige Seelen sind anfällig, ihre Resilienz ist zumeist lebenslang vermindert. Ich hoffe das genügt als Antwort auf Ihre indirekte Frage und beleuchtet auch noch einmal das problem der Schlafkonditionierung bzw. das "Ferbern". Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 25.11.2009