Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Hallo Herr Dr. Posth, unsere Tochter wurde wegen Gestose und HELLP in der 36. SSW entbunden und ist heute, mit 24 Monaten, leider entwicklungsverzögert. Mit sieben Monaten konnte sie sich noch nicht auf den Bauch drehen, woraufhin wir mit Krankengymnastik angefangen haben. Mit 14 Monaten hat sie angefangen zu krabbeln, seit etwa zwei Wochen erst läuft sie frei. Die Sprachentwicklung und andere Bereiche sind ebenfalls verzögert, weshalb wir seit einem Jahr Frühförderung machen – alles auf eigene Initiative hin, unsere frühere Kinderärztin hat uns da leider eher wenig unterstützt. Ich habe die Ärztin auch immer mal darauf angesprochen, ob man nicht ein Blutbild machen sollte, zumal unsere Tochter lange die Beikost verweigert hat. Die Kinderärztin riet mir daraufhin aber nur zum Abstillen, dann werde meine Tochter schon essen. Inzwischen haben wir den Kinderarzt gewechselt und Blut abnehmen lassen. Wohl aufgrund von Frühgeburt und Beikostverweigerung hat meine Tochter leider eine starke Eisenmangelanämie. Jetzt bekommt sie Eisentropfen und hat seither in der Entwicklung schon Fortschritte gemacht. Auch isst sie bei unserem Essen jetzt mehr mit; es "wird" also. Trotz Eisenmangel neige ich weiterhin nicht dazu, ihr das Essen irgendwie aufzudrängen – natürlich biete ich an und mache es ihr schmackhaft, aber mehr nicht. Im Übrigen stille ich sie weiterhin. Ich nehme an, die Entwicklungsverzögerung ist eine kombinierte Folge von Frühgeburt (plus Gestose) und Eisenmangelanämie. Muss ich mir wegen des Eisenmangels jetzt Vorwürfe machen? Hätten Sie auch zum Abstillen geraten? Aber jetzt isst sie (ein wenig) von allein, und das ist doch besser als "erzwungenes" Essen, oder? Über eine Meinung von Ihnen würde ich mich sehr freuen! Herzliche Grüße Cordula

Mitglied inaktiv - 11.09.2003, 23:34



Antwort auf: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Liebe Cordula, die Kinder von Müttern mit HELLP-Syndrom leiden häufig an einem Acyl-CoA-Dehydrogenase-Mangel für langkettige Fettsäuren. Diese Fettsäuren müssen als "Brennstoff" für längere muskuläre Beanspruchung in die Verbrennungsorganellen der Zellen (Mitochondrien) mittels Acylcarnitin transportiert werden. Dieses Acylcarnitin kann man und sollte man im Blut solcher Kinder bestimmen. Möglicherweise rühren daher die Entwicklungsstörungen Ihrer Tochter. Es gibt therapeutische Schritte, die auf Diätetik basieren. Lassen Sie sich also von Ihrem Kinderarzt an einen Stoffwechselspezialisten überweisen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 13.09.2003



Antwort auf: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Hallo Herr Dr. Posth, danke für Ihre Antwort! Von dieser Stoffwechselstörung (LCHAD-Mangel - das meinen Sie doch?) hatte ich auch schon gelesen und unsere Kinderärztin daraufhin um eine gezielte Stoffwechseldiagnostik gebeten. Die ist dann auch durchgeführt worden und war zum Glück unauffällig. Daran liegt es also anscheinend nicht. Allerdings haben Gestose-Kinder wohl öfter Verzögerungen in der Grobmotorik, wie mir die Gestosefrauen mitgeteilt haben. Und der Eisenmangel kam bei meiner Tochter eben noch dazu. Seit meine Tochter Eisentropfen bekommt, isst sie aber viel besser - gerade eben ganz viel Zucchini. Ich möchte sie aber weiterhin stillen, zumal sie das noch sehr zu brauchen scheint. Davon würden _Sie_ doch sicher auch nicht abraten, oder? Leider ist es schwer, einen Kinderarzt zu finden, der dem längeren Stillen positiv gegenübersteht. Herzliche Grüße Cordula

Mitglied inaktiv - 13.09.2003, 17:27



Antwort auf: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Liebe Cordula, das Langzeitstillen ist in der Tat eine sehr strittiges Thema, und auch ich sehe einige wenige Probleme darin. Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts dagegen und vom ernährungsphysiologischen Standpunkt gibt es auch keine Einwände, da ja immer zugefüttert wird, das Problem ist wenn dann psychologisch und liegt in der Loslösung des Kindes von der Mutter. Nun gibt es gute Einwände von der Still-Liga, die besagen. daß in der dritten Welt auch viel länger gestillt wird als in den Industrienationen. Angeblich hätten dort die Kinder davon keine Probleme mit der Loslösung aus der Mutter-Kind-Bindung. Ich weiß aber nicht, ob das jemals richtig untersucht, d.h. mit validen Studien, worden ist. Es ist manchmal schon ein großes Problem in der dritten Welt, überhaupt psychologische Themen objektiv und vorurteilsfrei zu besprechen, insbesondere wenn man einen tiefenpsychologischen Ansatz vertritt. Aber vielleicht habe ich da selbst ein Vorurteil!? Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 14.09.2003



Antwort auf: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Lieber Herr Dr. Posth, schön, dass Sie das Langzeitstillen nicht so negativ sehen wie manche Kinderärzte! Zu den Studien: Was die medizinischen Vorteile des längeren Stillens angeht, hätte ich einige Studien zur Hand; Studien zur Mutter-Kind-Bindung in der Dritten Welt habe ich auf die Schnelle jedoch auch nicht da. Aber ich werde mal suchen und mich dann noch mal melden – es wird allerdings drei Wochen dauern, da wir morgen in Urlaub fahren. Allerdings kenne ich viele Erfahrungberichte von Müttern, die von ganz besonders selbstständigen lange gestillten Kindern berichten. Und angesichts unserer älteren Tochter, die inzwischen fünfeinhalb ist, kann ich das nur bestätigen. Im Grunde sehe ich es mit dem Stillen ähnlich wie mit dem Schlafen oder der Fremdbetreuung: Ich möchte meine Kinder nicht zu einem Entwicklungsschritt drängen, zu dem sie noch nicht bereit sind. Ich möchte sie nicht zwingen, etwas zu tun (nicht mehr stillen, im eigenen Zimmer oder außer Haus schlafen, bei anderen Leuten bleiben), solange sie dabei (noch) unglücklich sind. Es kommt für alle Kinder eine Zeit, wo sie diese Dinge von sich aus tun – und gerne. Unsere große Tochter geht z.B. sehr gerne in den Kindergarten. Wenn die Kinder bei diesen Entscheidungen "ein Wörtchen mitreden" dürfen, gibt ihnen das auch Selbstbewusstsein und das Gefühl, etwas Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. _Das_ ist doch auch Selbstständigkeit! Soweit meine Gedanken... Nehmen Sie eigentlich noch neue Patienten auf? Wir wohnen nämlich bei Ihnen in der Nähe. Herzliche Grüße Cordula

Mitglied inaktiv - 14.09.2003, 18:01



Antwort auf: Entwicklungsverzögerung - Eisenmangel - später Beikostbeginn

Hallo, Cordula! Ich hab (leider) bisher nur einen Hinweis auf eine Studie zum Thema gefunden. Dort wurde die soziale Kompetenz untersucht und man stellte fest, dass die Kinder, die den Abstillzeitpunkt selber bestimmen durften im Alter von 6-8 Jahren über eine signifikant höhere soziale Kompetenz verfügten als die "Vergleichskinder". Ich bin selbst Psychologin und stille meine Tochter (2,5 Jahre) auch noch. Mich juckt es schon länger in den Fingern, da mal forschend tätig zu werden. Wirklich schlüssig begründen konnte mir noch kein Kollege - gleich welchen Ansatzes - wieso sich Langzeitstillen und Loslösung in die Quere kommen sollten. Meine persönlichen Efahrungen mit meiner Tochter und anderen Langzeitstillkindern sind total entgegengesetzt - diese Kinder sind eher auffällig "bei sich" und ihren Interessen und eher extrem eigenwillig und - ständig als abhängig. Aber wie gesagt - vielleicht gelingt es ja eines Tages, das auf wissenschaftliche Füsse zu stellen, erst dann "stimmt" es ja hierzulande auch. ;-) Liebe Grüsse, Lotta

Mitglied inaktiv - 15.09.2003, 14:19