Frage: Empathie

Guten Morgen Dr Posth, eine generelle Frage: Ist die Faehigkeit zur Empathie in unserem Erbgut "gespeichert" und ist dann je nach Temperament mehr oder weniger stark ausgepraegt oder wird diese Faehigkeit komplett erlernt? Mit anderen Worten bin ich nur dann empathisch, wenn mir meine Umwelt das beigebracht hat? Ich habe von Menschen gelesen, die ueberhaupt keine Gefuehle empfinden und in Worte fassen koennen(ich erinnere mich nicht an den Fachausdruck)und man vermutete bei diesen Menschen u.a. emotionale Vernachlaessgung in fruehster Kindheit. Vielen Dank und viele Gruesse, Christiane

Mitglied inaktiv - 14.03.2005, 12:13



Antwort auf: Empathie

Liebe Christiane, Sie stellen eine sehr wichtige und hochinteressante Frage. Gleich vorab gesagt, eine klare Antwort hierauf weiß die Wissenschaft bis heute noch nicht. Mein Auffassung ist die, daß es in jedem Menschen eine angeborene, also ererbte Form von Erfühlbarkeit gibt, welches Gefühl sich gerade im anderen Menschen abspielt. Am klarsten wird die Position in der Tatsache der Affektansteckung. Wenn ein kleiner Säugling schreit fangen über kurz oder lang auch die anderen im Raum befindlichen an zu schreien, außer, sie schlafen gerade relativ tief. Oder wenn die Mutter lächelt, lächelt über kurz oder lang auch der Säugling. Das Phänomen der Affektansteckung gibt es auch noch bei jungen Kleinkindern (Lachorgien ohne besonderen Anlaß). Meiner Auffassung nach entwickelt sich aus diesen Anlagen die Fähigkeit zur Empathie, und zwar dann, wenn das eigene Selbst entdeckt ist, also mit etwa eineinhalb Jahren. Aber diese Empathie ist noch auf längere Zeit gekoppelt an das unmittelbare Erleben von Leid (oder Freud) bei einem anderen Menschen. Es gibt also vorläufig noch keine theoretische Vorstellung von der Leidenfähigkeit oder dem Glücklichsein eines anderen Menschen. Deswegen spielen die Kinder immer wieder solche Vorgänge, welche Schmerz, Leid oder auch Freude bei einem Anderen hervorrufen, um diesen dann selbst zu trösten oder sich mit zu freuen. Hier setzt natürlich ganz stark der "Umwelteinfluß" ein, denn die kindlichen Spielweisen und Reaktionen richten sich stark nach dem elterlichen Vorbild. Erst mit über vier Jahren läßt sich nachweisen, daß ein Kind ein Bewußtsein davon entwickelt, daß es in jedem anderen Menschen eine ihm eigene Vorstellungswelt der Wirklichkeit gibt, die unabhängig von seiner eigenen Bestand hat (Theorie of Mind). Und jetzt können soziale Verhaltensregeln im Selbst verankert werden, kann Schuldbewußtsein aufgebaut werden, kann Reue empfunden werden und können Unterlassung und Wiedergutmachung geübt werden. Jetzt erst kann ein Gewissen im Selbst entstehen. Insbesondere autistischen Kindern fehlt diese Fähigkeit zur Erkennung von Gefühlen bei einem anderen Menschen, und zwar sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Das läßt sich testen und dient zur Diagnosestellung, was aber nicht einfach ist, um das gleich zu sagen. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 14.03.2005



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