Frage: Einseitiges Kopfdrehen mit 11 Wochen

Hallo Hr. Dr. Posth! Meine 11 Wochen alte Tochter dreht den Kopf wenn ich sie zum Bäuerchen z.B. hochhebe und Ihr Kopf neben meinem Kinn platziert ist extrem nach rechts von mir weg, als wenn sie halb verhungert die Brust suchen würde. Sie streckt sich dabei richtig von mir weg. Wenn ich sie mit sanfter Gewalt in die andere Richtung dränge, weint sie. Sie kann den Kopf in Rückenlage von selbst in jede Richtung drehen und tut das auch. In Bauchlage jedoch wieder bevorzugt in die eine Richtung nur. Ich mache mir Sorgen, ob das eine motorische Störung ist oder nur eine extreme Lieblingsseite. Vielleicht habe ich Sie durch mein falsches Verhalten beeinflusst? Ich nehme Sie immer an meine Linke Seite hoch zum Bäuerchen machen. Ich versuche Ihrem Verhalten durch Anpassen des Körpers an Ihre Haltung zu begradigen, funktioniert aber nicht wirklich. Vielen Dank Marion Vielleciht können Sie mir einen Tip geben, bevor ich das nächste Mal beim Kinderarzt bin. Vielen Dank! Marion

Mitglied inaktiv - 09.10.2006, 11:23



Antwort auf: Einseitiges Kopfdrehen mit 11 Wochen

Stichwort: Asymmetrie des kleinen Säuglings Liebe Marion, in den ersten 3-4 Monaten ist die Seitenverteilung der Muskelspannung im Körper noch nicht völlig ausgeglichen. Das hat etwas mit Reflexverhalten zu tun und der Bewegungssteuerung für die Bewegungen im Mutterleib und für die Geburt. In der Regel bildet sich die damit verbundene Seitenbevorzugung innerhalb der ersten Lebenswochen nach der Geburt spontan zurück, aber nicht in allen Fällen. So haben viele kleine Säuglinge eine Seitenbevorzugung v.a. für die Kopfdrehung. Entsprechend ist eine Rumpfseite stärker angespannt, was der KiA/KiÄ durch die berühmten Lagereaktionen (n. Vojta), das "Herumwerfen des kleinen Säuglings" z.B. bei der Vorsorge, prüft. Ist diese einseitige Kopfdrehung sehr stark, kann sich durch häufige Rückenlage der entsprechende Hinterkopf aufgrund des entstehenden Unterlagen-Drucks abflachen (Plagiocephalus). Die Muskelgruppe, die den Kopf hält verkürzt sich etwas auf der betroffenen Seite, so daß das aktive Zurückdrehen und Drehen auf die andere Seite Schmerzen verursacht. Der Säugling schreit. Ein solches Redessieren darf man nur ganz behutsam machen. Sinnvoll ist es nicht. Früher legte man ein Sandsäckchen unter die betroffene Hinterkopfhälfte, damit der Kopf sanft in die andere Richtung gedreht wird. Auch optische Reize auf der "Gegenseite" sollen Ähnlichens bewirken. Was bei starker Ausprägung wirklich hilft, ist die Krankengymnastik auf neurophysiologisches Basis. Sie ist aber nur im Extremfall notwendig. Große Vorsicht ist angeraten, wenn jemand das Kopfgelenk einrenken möchte oder die kleinen Wirbel der Halswirbelsäule (sog. KISS, chiropraktisches Manöver). Das Rückenmark kann verletzt werden, denn das Wirbelkanal-Wirbelsäulen-System ist noch äußerst instabil. In den meisten Fällen hilft abwarten und viel herumtragen, damit der Hinterkopf nicht so flach wird und sich die Schädelknochen nicht verschieben (was man nachher im Gesicht erkennt). Bei gutem Halten schreit der Säugling auch nicht. Ab dem 3.-4. Monat sorgen die so genannten Halsstellreflexe dafür, daß sich der Kopf zur Mitte ausrichtet und die Arme symmterisch zum Greifen eingesetzt werden. Das geschieht durch eine (inzwischen neuroradiologisch nachgewiesene) Umstrukturierung in der großen Kommissur im Gehirn, dem Balken (Corpus callosum). Hier kreuzen die motorischen Nervenbahnen im Nebenschluß auf allerhöchster Ebene und stimmen sich in ihren Impulsen und Spannungsauswirkungen auf die Muskulatur beiden Körperhälften ab, denn jede Hirnhälfte bedient motorisch eine Körperhälfte. Der Kreuzungspunkt für die langen Bahnen liegt auf Stammhirnebene im verlängerten Rückenmark (Pyramidenbahnkreuzung).In der Regel der Fälle verschwindet dann die Seitendifferenz. Wenn nicht, ist spätestens jetzt Abklärung nötig und Krankengymnastik, denn sonst kann es weitere Störungen im Bewegungsmuster geben. Immer abzuklären sind knöcherne Fehlbildungen im Wirbelsäulenverlauf und Weichteilprozesse (angeborener Schiefhals, z.B. bei Überdehnung des Kopfnickers unter der Geburt. Auch ein vorzeitiger Verschluß der Hinterhauptsnaht auf einer Seite kann Ursache sein. Weil das alles so kompliziert ist, sollte ein kleiner Säugling immer von einem KiA/KiÄ untersucht werden und dort seine Vorsorgen erhalten. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 11.10.2006