Frage: Eigensinn

Hallo Herr Dr Posth, unsere Tochter Miriam, 3 3/4, Jahre alt ist sehr selbstbewußt und eigensinnig. Miriam hat seit 2 Tagen Durchfall. Heute abend wollten wir ihr eine Elektrolytlösung geben. Miriam sagt nach dem ersten Schluck, die Lösung sei zu süß, will nicht weiter trinken. 1. Versuch Wir erklären ihr, daß die KÄrztin das verschrieben hat.....-> kein Erfolg. 2. Versuch Ich verspreche ihr, daß sie sich etwas Schönes aussuchen kann, wenn sie 3 Tagen lang die Elektrolytlösung trinkt...-> kein Erfolg. 3. Versuch Wenn Miriam nicht trinkt, so sagen wir, gibt es keine GuteNachtGeschichten und wir schieben Miriams Bett aus dem Zimmer ihres Bruders, 1 Jahr, allein in ein anderes Zimmer.... Wir sagen ihr, wenn sie doch die Lösung trinkt, soll sie uns Bescheid geben und es gibt wieder die GuteNachtGeschichte etc..... -> kein Erfolg, Miriam brüllt eine Stunde, schläft dann ein. Wir sind wirklich ratlos? Haben wir uns da völlig falsch verhalten? Danke

Mitglied inaktiv - 06.04.2005, 20:57



Antwort auf: Eigensinn

Hallo, Ihre Erziehungsmaßnahmen, angewandt um unliebsame, aber vielleicht notwendige Medizin einzuflößen, basierten auf dem alten Lohn/Strafe-Prinzip. Wie Sie sehen, können Kinder dieses Prinzip schnell aushebeln, aus was für Gründen auch immer. Es würde jetzt eine ellenlange Diskussion sich anschließen, wollten wir diese Erziehungsgrundsätze auf ihren Sinn und Nutzen ausleuchten. Ihre Wirksamkeit ist aber offenkundig begrenzt. Selbst in der wenig psychologisch angehauchten Schulmedizin geht man inzwischen dazu über, Kinder nicht mehr zu zwingen, bittere Medizin zu nehmen, sondern entweder ganz auf diese Mittel zu verzichten, was häufig zu machen ist, bzw. diese durch andere, besser schmeckende Mittel ersetzen. Man hätte in diesem Fall die Elektrolytlösung mit dem Lieblingssaft des Kindes verdünnen können, oder man hätte ein Spiel gespielt, ein Löffel ich ein Löffel du, oder man hätte die E-Lösung wieder im Babyfläschchen anbieten können, worauf erfahrungsgemäß viel Kleinkinder mit glänzenden Augen anspringen. Aber v.a. Strafen, die in keinerlei Zusammenhang stehen zur begangenen "Tat", sind völlig sinnlos und bewirken letztendlich nichts. Strafen aber, die nur auf dem Angstprinzip funktionieren, sind psychisch darüber hinaus auch noch schädlich. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 08.04.2005



Antwort auf: Eigensinn

Im Ergebnis hat Miriam die Medizin nicht genommen. Aber für uns als Eltern gab es ja keine "Eskalationstufe" mehr, wir können ihr das Zeug ja nicht einflößen. Das oft beschriebene KONSEQUENTE Verhalten hat also keine Wirkung gezeigt. Was können wir da machen? Vielen Dank

Mitglied inaktiv - 08.04.2005, 09:40



Antwort auf: Eigensinn

Hallo Reinhard, Konsequenz ist es nicht allein! Die Maßnahme, eurer Tochter das Bett aus dem Kinderzimmer zu schieben und sie zur Strafe nicht in der gewohnten Umgebung schlafen zu lassen, und das Gute-Nacht-Ritual wegzulassen, halte ich für falsch. Was würdest du denn tun, wenn man das mit dir machen würde? Ich wäre ganz sicher trotzig und würde niemals die Medizin nehmen, "jetzt erst recht nicht"! Selbst wenn es funktioniert hätte, der Preis, eurer Tochter und euch die Nachtruhe zu nehmen, ist zu hoch. Grüße Bea

Mitglied inaktiv - 08.04.2005, 12:30



Antwort auf: Eigensinn

Was Sie erklären, Herr Dr. Posth, leuchtet mir völlig ein. Aber wie kann ich folgende Situation ohne Lohn-/Strafe bewältigen. Wenn ich mit Miriam, 3 3/4, an einer stark befahrenen Straße entlang gehe, möchte ich sie an die Hand nehmen. Miriam will sich ständig losreißen, trotzt und weint. Gute Worte nützen nichts. Dann erkläre ich ihr vor dem nächsten Mal an der Straße, wenn sie sich nun nicht an die Hand nehmen läßt, gibt es am Wochenende kein Märchen auf DVD. Miriam versteht das. Ist das auch falsch? Danke

Mitglied inaktiv - 08.04.2005, 21:20



Antwort auf: Eigensinn

Bin zwar nicht Dr. Posth, aber ich würde Dir raten, Deiner Tochter zu erklären, warum sie Dir die Hand geben muss, und wenn sie es immer noch nicht tut, entweder Deine Tochter einfach bei der Hand zu nehmen bzw. wieder in den Kinderwagen zu setzen (Begründung: Du kannst nicht alleine oder eben (direkte Konsequenz) nicht mehr mit ihr spazierenzugehen (zumindest dort nicht). Die verbotene DVD ist ja auch wieder nicht zeitnah.

Mitglied inaktiv - 08.04.2005, 21:59



Antwort auf: Eigensinn

Hi! Dazu kann ich schreiben, wie wir es gelöst haben: Mein Sohn (3) wollte neulich an einer Hauptstraße auch nicht an der Hand gehen und es drohte ein Wut-/Trotzanfall. Ich habe ihm dann auf Augenhöhe (!!!) ganz ganz eindringlich erklärt, WARUM ich möchte, dass er an der Hand geht: Nämlich nicht, weil ich ihn ärgern will, sondern weil ich ANGST UM IHN habe!!! Dass ich es verstehen kann, wenn er allein laufen will, aber dass ich ganz große Sorgen habe, dass er überfahren wird und verletzt wird oder stirbt. ...

Mitglied inaktiv - 09.04.2005, 21:14



Antwort auf: Eigensinn

Und diese Angst habe ich vor allem, weil ich ihn SO DOLL LIEB habe und ihn doch immer bei mir haben möchte. Das hat er verstanden und ging ganz ganz toll an der Hand. Eben weil er wusste, dass ich mich ihm nicht aus einer Lust und Laune heraus in den Weg stelle. Als die Hauptstraße vorbei war, durfte er dann auch wieder allein laufen. LG Janet

Mitglied inaktiv - 09.04.2005, 21:16



Antwort auf: Eigensinn

Mit dieser Disziplinierung, die nichts, aber auch gar nichts mit der Situation an der Straße zu tun hat, erreichst du nur kurzzeitig einen Erfolg. Auf Dauer wird sich das Problem damit nicht lösen. Das Ziel ist es, ein Kind zu einem verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen, der auf sich selbst achtgeben kann. Disziplinierungsversuche behindern das Kind beim Aufbau dieser Fähigkeit, das eigene Verhalten zielsicher und wirkungsvoll zu steuern. Konkret: Nimm sie an der Straße an die Hand. [...]

Mitglied inaktiv - 10.04.2005, 09:03



Antwort auf: Eigensinn

Erkläre ihr, dass du verstehst, dass sie jetzt wütend ist, dass es aber notwendig ist, an der Hand zu bleiben, weil es sonst zu gefährlich ist. Bleibe stets freundlich, geduldig und zugewandt. Halte ihr Trotzen aus, du bist körperlich stärker und kannst sie am Weglaufen hindern. Zur Not nimmst du sie auf den Arm und trägst sie weiter. Wichtig ist, dass das alles ohne Schimpfen, Strafen und Drohen abläuft. [...]

Mitglied inaktiv - 10.04.2005, 09:06



Antwort auf: Eigensinn

Natürlich klappt das nicht gleich beim ersten Mal, dazu läuft es ja schon ein paar Jahre bei euch nach diesem alten Lohn-/Strafe-Prinzip. Aber ich glaube, dass sich Geduld auszahlt und ihr auf Dauer alle zufriedener seid. Belohnungen und Strafen sind untauglich, um in der Erziehung von Kindern etwas zu erreichen. Natürlich muss ich behutsam lenken und auch mal Grenzen setzen (Straße, Medizin). Aber ohne Lohn, Strafe, schimpfen, drohen usw. Hoffe, ich konnte dir helfen. Niki

Mitglied inaktiv - 10.04.2005, 09:08



Antwort auf: Eigensinn

Vielen Dank, Niki, für den guten Ratschlag. Werde ich befolgen. Aber vielleicht ist ein etwas falscher Gesamteindruck entstanden. Wir sind, so glaube ich, ruhige und liebevolle Eltern für unsere Kinder, wenden eigentlich nie das Lohn-/Strafeprinzip an. Das waren jetzt 2 besondere/Extremsituationen. Ich muß auch sagen, daß ich mich da von der Supernanny-Sendung auf RTL habe leiten lassen. Vielleicht habe ich die ja auch falsch verstanden.

Mitglied inaktiv - 11.04.2005, 13:10



Antwort auf: Eigensinn

Vielen Dank ASU02 und schlafmaus. Ich habe mich wohl bei diesen beiden Punkten reingesteigert. Ansonsten bin ich schon ein ruhiger/liebevoller Vater, der nicht das Lohn-/Strafeprinzip anwendet, sondern in Ruhe erklärt etc. Unsere Tochter Miriam ist aber sehr sehr selbstbewußt und eigenwillig. Vor ein paar Wochen war ich mit Miriam im Kinderkrankenhaus. Alle anderen Kinder im Alter von 3/4 Jahren klammerten sich an ihre Eltern. Miriam stand mitten im Wartezimmer.............

Mitglied inaktiv - 11.04.2005, 13:14



Antwort auf: Eigensinn

Als ich Miriam fragte, ob Sie zu mir auf den Schoß kommen möchte, sagte Sie in bestimmten, energischen Ton: "Nein, das möchte ich garnicht!. Wo ist der Doktor?" Alle anderen Eltern lachten, weil Miriams Verhalten so konträr zu dem der anderen Kinder war.

Mitglied inaktiv - 11.04.2005, 13:17



Antwort auf: Eigensinn

PS: Unsere Tochter ist mit 3 3/4 Jahren sehr sehr selbstbewußt und willenstark, siehe meine Antwort an schlafmaus weiter oben.

Mitglied inaktiv - 11.04.2005, 13:24



Antwort auf: Eigensinn

Hallo, ja auch bei dieser häufig zu erlebenden Auseinandersetzung erzeugen Lohn und Strafe allenfalls unreflektierten Gehorsam. Der ist zwar hier wichtig, aber letztlich nur die Notlösung. Wie andere Eltern hier schon erklärt haben, gehört zu jeder Aktion dieser Art eine Erklärung für das Kind auf verständlichem Niveau. Mehr aber nicht, denn jetzt entscheiden Sie, und zwar zugunsten des Kindes und schützen es damit vor seiner eigenen Unvernunft. Das ist Ihre Pflicht und mehr geht eben noch nicht. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 11.04.2005