Koennen Sie mir erklaeren warum die vorderen Halsmuskeln so schwach sind?

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch Frage an Prof. Dr. med. Gerhard Jorch Kinderarzt und Neonatologe

Frage: Koennen Sie mir erklaeren warum die vorderen Halsmuskeln so schwach sind?

Hallo, bei unserem Sohn wurde Kiss2 festgestellt. Er wurde in 24+5 geboren und entwickelt sich soweit ganz gut. Momentan ist er 6 Monate alt, hat aber immer noch Probleme mit der Kopfkontrolle. Die vorderen Halsmuskeln sind sehr schwach so dass er beim Hochziehen der Arme den Kopf nicht mitziehen kann. In Bauchlage kann er den Kopf gut halten und haelt auch abwechselnd die Arme oben, so dass er nur auf einem Arm abstuetzt. In Seitenlage hält er den Kopf auch gut wenn er sich auf den Bauch dreht. Er bekommt seit einiger Zeit Vojta. Allerdings ueberstreckt er den Kopf auch gern in Rücklage, als will er nach oben schauen. Koennen Sie mir erklaeren warum die vorderen Halsmuskeln so schwach sind? Welche Therapie schlagen Sie vor? Ab wann kann man mit einer Besserung rechnen? Vielen Dank für Ihre Bemühungen. Grüße Katja

von km2004 am 17.10.2012, 16:20



Antwort auf: Koennen Sie mir erklaeren warum die vorderen Halsmuskeln so schwach sind?

Ich darf meiner Antwort zunächst den Text voranstellen, den ich in einem von mir herausgegegben Neonatologiebuch für Ärzte (Neonatologie. Die Medizin des Früh- und Reifgeborenen. Thieme Verlag 2010) zum Thema KISS verfaßt habe: "Mit diesem Akronym (Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung) führte Biedermann 1991 eine Befundkonstellation bei jungen Säuglingen ein, der mittlerweile u.a. folgende Merkmale zugeordnet werden: Schiefhals Plagiozephalus Gesichtsasymmetrie Glutealfaltenasymmetrie Sichelfuß Einseitige Hüftreifungsstörung Kyphoskoliotische Haltung und als mögliche Folge dieser Störung Schreineigung Trinkschwierigkeiten Schlafstörungen ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) Als Ursache wird eine Distorsion/Subluxation im Atlantoaxialgelenk während der vaginalen Entbindung angenommen, die manualtherapeutisch behandelbar ist. Schon die Aufstellung der Symptome zeigt, dass kaum ein Säugling bei entsprechendem Verdacht dieser Diagnose entkommen kann, da alle Symptome häufig sind, nur beschränkten Krankheitswert haben und schon rein zufällige Assoziationen statistisch wahrscheinlich sind. Somit befriedigt die Nennung der Diagnose KISS zwar das das Kausalitätsbedürfnis und ist in den meisten Fällen risikolos, da alle Störungen eine gute Spontanheilungstendenz aufweisen. Das Hauptrisiko liegt darin, dass nach Vergabe der Diagnose KISS möglicherweise wenig Aufwand betrieben wird, wirklich wichtige Differentialdiagnosen zu stellen. " Meiner reservierten Haltung entnehmen Sie, dass KISS für mich eher eine Ausrede als ein Diagnose ist. Auch in Ihrem Falle liegt offenbar eine Halsmuskelhypotonie neurologischer Ursache vor und nicht "KISS". Maßnahmen: Physiotherapie, Beobachtung und ggf. Diagnostik, wenn keine Besserung eintritt.

von Prof. Dr. med. Gerhard Jorch am 19.10.2012