Meine Tochter 3J.1M. ist immer noch sehr Mama fixiert, seit sie einen Bruder hat seit 11 Monaten wurde dies auch nicht besser, obwohl sich der Vater sehr bemüht. Ich muss gestehen, dass ich sehr angestrengt bin von ihrer Anhänglichkeit, weil ich weiß, dass Loslösung nötig wäre und sie den Druck sicher spürt, wenngleich ich das nicht aktiv äußere. Wenn ich mich diesbezüglich entspanne, ist sie auch weniger anhänglich, aber Nr 1 bleibe ich. Ist es für eine gesunde Entwicklung wirklich nötig, dass sie den Vater mir in allem vorzieht? (vgl. Dr. Posth), das sehe ich auch in meinem Freundeskreis und setzt mich ziemlich unter Druck. Außerdem lässt sie sich von keinem von uns trösten, möchte in Ruhe gelassen werden und negiert Schmerzen und Emotionen, sagt, sie kannsich selbst trösten und schickt uns weg, wenn sie weint, meist mit Ärger. Wir bleiben dabei mit Abstand sind zT aber auch ratlos. ZT haben wir vielleicht zu viel validiert, das nervt sie total, weil sie sich so fühlt als würde sie einen Fehler machen oder wir ein zu großes Ding, scheint es.. Danach sucht sie die Nähe. Wir haben alles für eine sichere Bindung getan, aber sind verunsichert. Ist es normal? Ich denke, mein Perfektionismus in der Mütterrolle ist wohl kontraproduktiv und erzeugt viel Druck, was bei ihr noch mehr Reaktanz fordert. Selbst Psychotherapeut zu sein ist wohl eher hinderlich, weil ich so viele Befürchtungen habe, wo das alles hinführen könnte. Haben Sie einen Tipp / Rat?
von
Martha12
am 01.04.2021, 10:08
Antwort auf:
Loslösung / Trösten
Liebe Martha,
Sie beschreiben es ja bereits selber: Die eigene Fachlichkeit kann einem manchmal auch hinderlich sein. Es sind ja immer idealtypische Verallgemeinerungen, die dadurch nicht unbedingt auf die eigene Situation passen.
Manchmal geht es im Leben halt anders zu. Ihre Tochter wurde mit zwei Jahren große Schwester gerade zu der Zeit, wenn die Loslösungsphase so ungefähr ansteht. Möglicherweise ist sie aus Rivalität und der Angst vor Entthronung durch den Bruder stärker an Sie gebunden geblieben. Sie wird diese Phase also zu einem anderen Zeitpunkt durchlaufen.
Die Väter bringen sich heutzutage ja oft viel aktiver in die Kindererziehung ein und sind dadurch im Leben der Kinder erfreulicherweise präsenter. Aber die eigentliche Bevorzugung des Vaters in der ödipalen Krise findet ja meist erst etwas später statt. Auch bei einer gesunden Entwicklung muss diese Phase nicht mehr so ausgeprägt sein.
Sie brauchen sich also diesbezüglich keine Sorgen zu machen.
Sie haben doch schon beobachtet, dass es hilft, wenn Sie den Druck rausnehmen. Das ist oft ein sehr probates Mittel, um das Leben für alle in der Familie leichter und angenehmer zu gestalten. Hier geht es nicht um richtig oder falsch oder die perfekte Mutter; ich frage mich seit vielen Jahren, wie die wohl sein soll. Sie kennen selber die Winnicottsche Mutter, die einfach "gut genug" ist. Es reicht den Kindern völlig für eine gute Entwicklung, dass die Mutter - und auch der Vater - sich Mühe geben.
Mit drei Jahren darf Ihre Tochter allmählich erfahren, dass Sie eigene Bedürfnisse haben, die sie zunehmend zu akzeptieren lernt. "Ich bin jetzt zu müde, frag den Papa. Der kann das genauso gut." (o.ä.), wäre eine Beschreibung eines eigenen Bedürfnisses mit der gleichzeitigen Hilfestellung, wie dem Bedürfnis der Tochter Rechnung getragen werden könnte. Das ist Dreijährigen durchaus zuzumuten.
Dass Sie in Trostsituation, wenn Ihre Tochter (vielleicht als "Große") alleine zurechtkommen will, bei ihr bleiben, ist bestimmt sehr hilfreich für Ihre Tochter. Denn eigentlich will sie nur etwas demonstrieren und braucht tatsächlich den Trost. Das kann man noch untermauern durch "Selbstgespräche", indem man das vermutete Bedürfnis des Kindes ausspricht ("Wenn mir das jetzt passiert wäre, würde ich mich sehr freuen, wenn mich jemand in den Arm nimmt.").
Ihre Befürchtungen "wo das alles hinführt" verstehe ich sehr gut. Machen Sie sich aber bitte klar, dass Ihre Tochter sicher gebunden ist. Weniger Druck und ein ausgeglicheneres Familienleben sind die beste Garantie für eine gute Entwicklung.
Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne ein "anspruchsloseres" und befriedigerendes Familienleben zum Wohle aller.
Ingrid Henkes
von
Ingrid Henkes
am 02.04.2021