Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

Wirklich weniger stillen?

Biggi Welter

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Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

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Frage: Wirklich weniger stillen?

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Hallo, mein Sohn wird morgen 6 Wochen alt. Ich bin sehr verunsichert wegen dem stillen, laut meiner Hebamme soll ich stillen nach Bedarf, so wie es das Kind braucht. Auch lese ich dies immer wieder in diesem Forum. Nach der Devise die Nachfrage regelt das Angebot. Nun war ich heute zur U3 beim Kinderarzt.Mein Sohn hat seit seiner Geburt gute 2 Kilo zugenommen. Ich stille ihn so alle 1-1,5 Std. Ist das zuviel und zu oft? Der Arzt meinte ich sollte ihn aufjedenfall versuchen auf 2 besser noch auf 3 Std zu ziehen. Er schreit aber wie am Spieß und läßt sich nur an der brust beruhigen, auch geht es mir ganz schlecht ihn so schreien zu lassewn, wenn ich doch genau weiß das es ihm besser geht, wenn ich ihn anlege. Das Problem ist jedoch das seit der geburt meine 3jährige Tochter definitiv zu kurz kommt. Entweder bin ich mit stillen beschäftigt oder ich trage den kleinen im Tragetuch durch die Gegend. Bin so hin und her gerissen und oft kurz davor zu zu füttern. Danke schonmal im voraus für deine Mühe!!!!


Biggi Welter

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Liebe Harama, inzwischen sprechen sich alle Experten für das Stillen nach Bedarf aus. Es bietet die Möglichkeit, dass sich das Baby die Nahrung holt, die es braucht und zwar dann wann es sie braucht und außerdem kommt auf diese Weise die Milchproduktion am besten in Gang bzw.wird dem Bedarf des Babys entsprechend aufrechterhalten. Wird ein Baby hingehalten und schreit deshalb, verbraucht es viel Energie für das Schreien und trinkt unter Umständen anschließend nur mehr schlecht an der Brust (sei es aus Erschöpfung, sei es aus Frustration). Das kann der Beginn einer Gedeihstörung oder eines Stillproblems sein. Zwei kleine Kinder sind eine ungeheuere Herausforderung. Doch das zweite Kind weiß nicht, dass es das zweite ist und dass seine Mutter noch ein Geschwisterkind zu versorgen hat und deshalb benimmt es sich wie alle Babys: es will durchschnittlich acht bis zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden und es wacht auch in der Nacht regelmäßig auf. Der Gedanke an die Flasche mag in dieser Stresssituation verlockend sein, aber künstliche Säuglingsnahrung ist absolut keine Gewähr dafür, dass die Abstände länger werden und Du mehr Schlaf bekommst. Der Alltag mit mehr als einem Kind lässt sich jedoch erleichtern. Hast Du ein Tragetuch? Mit einem Tragetuch kannst Du die Bedürfnisse deines Babys nach deiner Nähe quasi nebenbei stillen und hast gleichzeitig mindestens eine Hand frei für deine große Tochter oder den Haushalt oder andere Dinge. Mit etwas Übung und entsprechend gebundenem Tuch kannst Du dein Kind sogar im Tuch stillen. Beziehe deine Tochter in den Alltag und die Versorgung des Babys mit ein. Sie kann dir die Windel reichen, dem Baby den Po eincremen, ihm ein Lied vorsingen usw. Die Stillzeiten kannst Du dazu nutzen mit deiner Tochter ein Buch anzuschauen (z.B. Astrid Lindgren "Ich will auch Geschwister haben" oder ein Fotoalbum mit Babybildern von deiner Tochter, damit sie sieht wie es war, als sie so klein war). Du kannst auch eine "Stillkiste" zusammenstellen. In dieser Kiste sind besondere Dinge (z.B. ganz spezielle Stifte und glänzende Papierbögen, bunte Perlen, die zu Ketten aufgereiht werden können, ein Spielzeugauto - je nachdem, was für deine Große besonders attraktiv sein kann), die nur zu den Stillzeiten benutzt werden dürfen. Ach ja: lass deine Tochter auch mal klein sein, wenn sie dies möchte. Der Spruch "Du bist jetzt das große Kind" kann für manche Kinder bedeuten "Jetzt bin ich nicht mehr so wichtig". Eine Kollegin von mir hat einen Artikel zum Thema Mindestabstand veröffentlicht, den ich dir hier anhänge. LLLiebe Grüße Biggi Woher kommt der Mythos vom "Mindestabstand" ? Von Denise Both, IBCLC "Sie dürfen nicht so oft anlegen, dann hat die Brust ja keine Zeit, sich wieder zu füllen." "Zwischen zwei Stillzeiten MUSS ein Abstand vom mindestens zwei Stunden liegen sonst bekommt das Kind Bauchschmerzen" \plain"Frische Milch darf sich nicht mit bereits angedauter Milch vermischen, deshalb dürfen Babys frühesten nach zwei Stunden wieder angelegt werden" Wohl jede Stillberaterin ist schon mit diesen Aussagen konfrontiert worden. KinderärztInnen, Hebammen und auch wohlmeinende Mitmenschen kommen immer wieder damit. Ist ein Mindestabstand wirklich notwendig oder sinnvoll? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares NEIN. Ein Baby sollte nach Bedarf gestillt werden. Alle Stillexperten sind sich einig, dass Stillen nach Bedarf für Mutter und Kind am Besten ist. So wird sichergestellt, dass das Baby die Nahrung, die es braucht, genau dann bekommt, wenn es sie braucht und sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage einstellen kann. Es ist nicht sinnvoll, den Abstand zwischen den Stillzeiten lange zu halten "damit sich mehr Milch ansammelt", denn die Brust funktioniert nicht wie eine Flasche, die wieder aufgefüllt werden muss. Der größte Teil der Milch wird während des Stillens gebildet. Ebenso ist es ein Ammenmärchen, dass ein Baby einen Mindestabstand zwischen zwei Stillzeiten einhalten müsse, um zu verhindern, dass frische Milch auf angedaute Milch kommt. Im Extremfall kann das "Hinhalten" des Babys zu Gedeihstörungen führen. Es gibt keinen Beweis, für die "Frische Milch auf halbverdaute Milch Theorie", die besagt, dass zwischen zwei Stillmahlzeiten ein Mindestabstand von zwei Stunden eingehalten werden müsste, weil das Baby sonst Bauchschmerzen bekäme. Doch woher kommt diese Meinung? Die Vorstellung, dass der Magen zwischen zwei Mahlzeiten vollständig geleert werden müsse, geht wahrscheinlich auf den Kinderarzt Prof. Adalbert Czerny (1863 - 1941) zurück, vor allem auf das, was er in seiner 1893 erschienen Veröffentlichung "Die Ernährung des Säuglings auf Grundlagen der physiologischen Funktionen des Magens" und seinem 1922 veröffentlichten Buch "Der Arzt als Erzieher des Kindes" geschrieben hat. Czerny hielt es einerseits für absolut notwendig feste Abstände zwischen den Stillmahlzeiten einzuhalten, damit sich zwischen den Mahlzeiten der Magen komplett entleert und sich die Magensäure (Salzsäure) ansammeln und antiseptisch wirken kann und andererseits maß er dem streng einzuhaltenden Stillrhythmus einen hohen erzieherischen Wert bei. Nach seinen Beobachtungen entwickelten sich mit künstlicher Säuglingsnahrung (zur damaligen Zeit überwiegend Kuhmilch) gefütterte Babys besser, wenn zwischen den Mahlzeiten ein Abstand von vier Stunden eingehalten wurde. Daraus schloss er, dass es auch für gestillte Kinder besser sei, einen Mindestabstand und festen Rhythmus einzuhalten. Nachdem er festgestellt hatte, dass Muttermilch nach eineinhalb bis zwei Stunden den Magen vollständig verlassen hatte und Kuhmilch nach drei Stunden, legte er die Abstände der Mahlzeiten für gestillte Kinder auf mindestens drei Stunden, für kuhmilchgefütterte Kinder auf mindestens vier Stunden fest. Es wurde - wie so oft - einfach eine Vorgehensweise, die für nicht gestillte Kinder sinnvoll sein konnte, auf gestillte Kinder übertragen und bis heute hält sich die Vorstellung von dem Mindestabstand in vielen Köpfen, zum Leidwesen vieler junger Mütter und ihrer Babys.


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