Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

tatsächlich nicht stillen können

Biggi Welter

 Biggi Welter
Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

zur Vita

Frage: tatsächlich nicht stillen können

Mitglied inaktiv

Beitrag melden

Liebe Biggi, vor ca. zwei Jahren habe ich hier im Forum mal von einer werdenden Zwillingsmama gelesen, die bereits ein Kind hatte und dies nicht stillen konnte. Ihre Brust hatte sich in der Schwangerschaft nicht verändert und bei der Geburt gab es Auffälligkeiten an der Plazenta. Du (oder Kristina?) hattest damals bestätigt, dass es solche seltenen Fälle tatsächlich gibt. Nun habe ich eine Freundin, die auch kürzlich erfolglos versucht hat, ihre Tochter zu stillen. Ihre Brüste hatten sich ebenfalls unter der Schwangerschaft überhaupt gar nicht verändert und nach der Geburt waren die Hebammen/Ärzte entsetzt über den Zustand ihrer Plazenta (stark verkalkt, unterentwickelt), so dass sie sogar gefragt wurde, ob sie während der Schwangerschaft geraucht habe (sie hat noch nie geraucht!). Die kleine Maus war übrigens normalgewichtig, trotz der Plazenta. Die Schwangerschaft und Geburt waren total entspannt und unauffällig. Ich selbst habe meine Kinder sehr gern, ausgiebig und endlos lang gestillt und war bei meiner Freundin sehr bestürzt über das Nicht-Stillen-Können (sie hat es monatelang versucht mit Abpumpen, Brusternährungsset, ständigem Anlegen - sie hatte aber trotz aller Anstrengungen einfach keinen Milcheinschuss). Da ich den Beitrag über die Zwillingsmami über die Suchen-Funktion nicht mehr finde, wollte ich dich bitten, mir noch mal kurz zu erklären, was das da auf sich hat mit den Brüsten und der Plazenta und so weiter. Kann man irgendwas tun? Vor allem in Hinblick auf eine weitere Schwangerschaft? Muss das Stillen zwangsläufig auch diesmal unmöglich sein bei ihr? Ich danke dir sehr! Alles Liebe, July


Biggi Welter

Biggi Welter

Beitrag melden

Liebe July, etwa 98 % aller Frauen können stillen, vorausgesetzt, sie bekommen die richtigen Informationen, werden korrekt unterstützt und wollen stillen. Der Umkehrschluss von dieser Aussage lautet: zwei Prozent aller Frauen können tun und lassen was sie wollen, können die beste Unterstützung der Welt erhalten und werden dennoch nicht (voll) stillen können. Gründe für eine zu geringe Milchbildung oder gar ein Ausbleiben der Milchbildung können in unterentwickeltem Drüsengewebe, aber auch bei Stoffwechselproblemen liegen (so hat eine Schilddrüsenunterfunktion möglicherweise einen gravierenden Einfluss auf die Milchbildung). Auch extrem starke Blutungen nach der Geburt können dazu führen, dass die Frau eine Art Hypophyseninfarkt erleidet und keine oder nur sehr wenig Milch bilden kann (Sheehan Syndrom). Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist auch das Stillmanagement in der Zeit unmittelbar nach der Geburt. Nicht immer, lässt sich alles, was in diesem Zeitraum nicht optimal gelaufen ist, wieder korrigieren. Es gibt die "Prolaktin Rezeptoren Theorie", die besagt, dass das häufige Saugen des Babys in den ersten Tagen der Stillperiode die Entwicklung der Prolaktinrezeptoren im Brustdrüsengewebe fördert. Bleibt die Förderung dieser Entwicklung durch zu wenig Stimulation aus, ist es nicht immer möglich die Milchmenge später entsprechend zu steigern. Im Tierversuch ist diese Theorie bereits belegt. Ein ganz anderer Gesichtspunkt, der keinesfalls so augenscheinlich ist, ist die Psyche der Frau. Wenn wir eine Frau mit Stillproblemen vor uns sehen, kennen wird nur sehr selten die Geschichte dieser Frau. Wir wissen in der Regel nicht, ob sie zum Beispiel als Kind oder Jugendliche missbraucht wurde und deshalb die Nähe, die das Stillen unwillkürlich mit sich bringt, nicht ertragen kann. Diese Frau will vielleicht wirklich stillen, versucht auch vieles und schafft es nicht, weil ihre Psyche es nicht zulässt. Leider ist dieser letzte Punkt viel häufiger die Ursache für Stillprobleme, als wir es uns oft vorstellen. Auch andere psychische Ursachen sind nicht gerade selten. Bei vielen Frauen ist es aber nach wie vor so, dass es schlicht und ergreifend an der mangelnden Betreuung und falscher Information liegt. So wird zum Beispiel immer noch geraten, dass stillende Frauen extrem viel trinken müssten, um die Milchbildung zu fördern, obwohl bewiesen ist, dass eine zu hohe Flüssigkeitszufuhr zu einer Verringerung der Milchmenge führen kann. Es wird immer noch viel zu wenig Augenmerk auf das korrekte Anlegen und richtige Saugen des Kindes gelegt, beides Faktoren, die nicht nur wegen der wunden Brustwarzen sondern auch für die optimale Stimulation der Brust extrem wichtig sind. Viele Frauen werden immer noch angehalten das Stillen sowohl was die Häufigkeit als auch die Zeit an der Brust betrifft einzuschränken obwohl letztlich der wichtigste Faktor für die Milchbildung das häufige Anlegen bzw. Anregen der Brust ist. Deine Freundin soll sich unbedingt schnell an eine Beraterin vor Ort wenden, die ihr vor Ort sehr viel besser helfen kann. Adressen von Stillberaterinnen findest Du im Internet unter: http://wwwlalecheliga.de (Stillberaterinnen der La Leche Liga), http://www.afs stillen.de (Stillberaterinnen der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) oder http://www.bdl stillen.de (Still und Laktationsberaterinnen IBCLC). Ich wünsche deiner Freundin alles Gute - schön, dass sie eine Freundin wie dich hat! LLLiebe Grüße Biggi


Bei individuellen Markenempfehlungen von Expert:Innen handelt es sich nicht um finanzierte Werbung, sondern ausschließlich um die jeweilige Empfehlung des Experten/der Expertin. Selbstverständlich stehen weitere Marken anderer Hersteller zur Auswahl.