Frage im Expertenforum Stillberatung an Biggi Welter:

Schlimme Abende

Frage: Schlimme Abende

Mitglied inaktiv

Beitrag melden

Hallo, brauche noch mal Hilfe von Euch. Meine Kleine ist jetzt 6 Wochen alt und ich beobachte nun seit Tagen folgendes: Den ganzen Tag ist sie ruhig und ausgeglichen, schläft normal und trinkt, wenn sie wach wird (Abstand zw. 2 und 4 Std.). Am Abend geht es dann los: Sie verlangt in immer kürzer werdenden Abständen nach der Brust (Ihr habt mir schon erklärt, dass das Clusterfeeding ist) - ich stille sie dann auch sofort. Je öfter sie trinkt, um so unruhiger wird sie, schreit die meiste Zeit und ist nur an der Brust still. So werden die Abstände zwischen dem Trinken immer kürzer bis hin zum Dauerstillen. Das Schreien und dauernde Stillen ist sehr belastend für mich. Ich müsste sie genau genommen stundenlang an der Brust lassen, damit sie ruhig ist. Das kann doch aber nicht richtig sein! Irgendwann müsste doch der Hunger gestillt sein. Trost-nuckeln würde ich es auch nicht nennen, denn sie hat ständig Körperkontakt zu mir, ich spreche leise mit ihr. Meine Nerven sind so angespannt, weil ich mein Kind nicht verstehe und nicht weiß, wie ich ihr gerecht werden kann. Früher traten diese Abende nur vereinzelt auf, mittlerweile ist aber jeder Abend so (seit ca. 1 Woche). Mein größtes Problem ist wirklich das "...je öfter sie trinkt um so unruhiger wird sie..." Könnt Ihr mir erklären, was da los ist??? Meine Hebamme weiß auch nicht weiter und sagt, die Kleine hätte Verdauungsprobleme, aber die hat sie ja den ganzen Tag nicht und warum sollte das abends dann plötzlich regelmäßig auftreten? Liebe Grüße und danke im Voraus.


Biggi Welter

Biggi Welter

Beitrag melden

Liebe Dana-Joy, entwicklungsbedingt verhalten sich die meisten Babys in diesem Alter so und suchen dann nicht nur die Nahrung aus der Mutterbrust, sondern auch die Sicherheit und Geborgenheit, die das Stillen automatisch mit sich bringt. Das Nervensystem eines Babys ist ständigen Reizen ausgesetzt und während des Tages sind das viel mehr Reize als in der Nacht. So ist es nicht erstaunlich, dass sich bis zum späten Nachmittag oder frühen Abend einiges aufgestaut hat und das Kind dann "über" reizt ist und sich wieder abreagieren und beruhigen muss. Dazu kommt, dass auch die Mutter nach einem langen Tag ebenfalls mehr oder weniger stark belastet und gestresst ist und sich die Gefühle und Stimmung der Mutter auf das Kind übertragen. Ein weiterer Punkt ist der Prolaktinspiegel der Mutter. Damit Milch gebildet wird, braucht die Frau (vor allem in den ersten Wochen der Stillzeit) eine gewisse Prolaktionausschüttung, die durch das Saugen des Kindes angeregt wird. Das "Marathonstillen" am Abend sorgt dafür, dass die Prolaktinausschüttung angeregt wird und dem Kind dann im weiteren Verlauf genügend Milch zur Verfügung steht. Ihr Baby ist auch im klassischen Alter für einen Wachstumsschub. Wachstumsschübe sind Zeiten erhöhter Nachfrage, in denen das Baby sehr oft gestillt werden möchte. Wird das Baby dann auch häufig angelegt (etwa alle zwei Stunden, manchmal sogar noch häufiger), erhält der Körper der Frau das Signal "mehr Milch bilden" und nach ein paar Tagen ist der Spuk vorbei und die Milchmenge hat sich dem Bedarf des Babys wieder angepasst. Stillen funktioniert nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Sie haben dann nicht zu wenig Milch, sondern der Bedarf Ihres Babys hat sich vergrößert und die Brust muss darauf erst reagieren. Wird in dieser Situation zugefüttert, wird der Brust kein erhöhter Bedarf signalisiert und die Milchmenge kann sich auch nicht auf den erhöhten Bedarf einstellen. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird gestört und es kann der Beginn eines unfreiwilligen Abstillens sein. Aber auch ohne Wachstumsschub ist es normal, dass ein so kleines Baby mindestens acht bis zwölf Mal innerhalb von 24 Stunden gestillt werden will. In fast allen Babyratgebern und Hochglanzbroschüren wird ein Bild verbreitet, das etwa so aussieht: das Baby schläft mindestens 20 Stunden pro Tag in seinem Stubenwaagen oder der Wiege, alle vier Stunden verlangt es nach Nahrung und schläft selbstverständlich danach sofort wieder ein, nach den allerersten Wochen hält es eine achtstündige Nachtpause ein und die Mutter ist immer ausgeruht, elegant und sauber gekleidet und empfängt mit einem strahlenden Lächeln die Besucher, die das Baby bewundern wollen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus, nur sagt einem das fast keiner. Abgesehen von einigen wenigen "Wunderbabys" sind die Mehrzahl aller Kinder auch mit wenigen Wochen bereits längere Zeitspannen wach, wollen am Leben teilnehmen und ihre Welt entdecken. Der "regelmäßige Rhythmus" ist eine Illusion, den es in der Regel nicht viel häufiger gibt als weiße Einhörner und die oft verzweifelten jungen Mütter jagen einem Ideal aus Hochglanzbroschüren hinterher, das mit der Realität wenig zu tun hat. Das klingt jetzt etwas erschreckend, doch sobald eine Mutter erkannt hat, dass ihr Baby sich ganz normal verhält und dass der Alltag mit einem Baby nur wenig mit dem Bild gemein hat, das eine idealisierte und glorifizierte Mutterschaft zeigt, kann sich die Frau entspannen, muss nicht mehr einem unerreichbaren Ideal hinterher jagen und kann sich daran machen, sich auf das Baby einzulassen und kann wieder neue Energie sammeln. Die Tage sind einfacher, wenn das Baby am Alltag teilnehmen kann. Dazu ist ein Tragetuch das optimale Hilfsmittel. Ein Tragetuch ist fast ein Zaubermittel. Ihr Baby kann die Nähe der Mutter spüren, es wird sich an ihrem Körper beruhigen, die Koliken verringern sich, es wird weniger weinen, vielleicht sogar recht gut schlafen und Sie haben mindestens eine Hand frei (und auch Ihren Kopf, weil das Baby wieder ruhiger ist), um andere Dinge zu tun. Versuchen Sie es einmal. Eine Autorin nennt dies so schön "Perspektive teilen". Das Tragetuch ermöglich es dem Kind, am Leben der Familie problemlos teilzunehmen und mit Ihnen die Perspektive zu teilen. Lassen Sie sich von einer tucherfahrenen Frau einmal zeigen, wie vielseitig einsetzbar ein Tragetuch sein kann. Tucherfahrene Frauen finden Sie in fast jeder Stillgruppe und auch sonst wäre es sicher ein guter Gedanke, einmal ein Stillgruppentreffen zu besuchen. Neben vielen nützlichen Tipps bekommen Sie dort auch moralische Unterstützung. Am besten wenden Sie sich einmal an eine Kollegin vor Ort und besprechen Ihre Situation in aller Ruhe mit ihr. Adressen von Stillberaterinnen finden Sie im Internet unter: http://wwwlalecheliga.de (Stillberaterinnen der La Leche Liga), http://www.afs-stillen.de (Stillberaterinnen der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen) oder http://www.bdl-stillen.de (Still- und Laktationsberaterinnen IBCLC). LLLiebe Grüße Biggi Welter


Mitglied inaktiv

Beitrag melden

Beim ersten Kind war dieses Dauerstillen am Abend ein Schock fuer mich. Ich war fix und fertig und genervt. Beim zweiten Kind hab ich mich gedanklich drauf eingestellt und siehe da, sie hat zwar genauso dauergestillt, aber es hat mich nicht mehr genervt, ich hatte "einfach" (sagt sich so leicht) die Abende komplett fuer sie reserviert. Wenn garnichts mehr ging, dann hab ich sie im Tragetuch rumgetragen, zur Not auch in den Schlaf, das beruhigt die Kleinen ungemein und kann auch Papa machen. Ging bei meinem Sohn so um die 12 Wochen weg, bei meiner Tochter so um 6-8! Alles Liebe und das sic die Lage bald entspannt.


Mitglied inaktiv

Beitrag melden

Ich danke euch für die Erklärungen und vor allem die aufmunternden Worte! Es tut gut zu wissen, dass auch andere diese Erfahrungen machen und man nicht "versagt" hat.


Bei individuellen Markenempfehlungen von Expert:Innen handelt es sich nicht um finanzierte Werbung, sondern ausschließlich um die jeweilige Empfehlung des Experten/der Expertin. Selbstverständlich stehen weitere Marken anderer Hersteller zur Auswahl.