Hallo Herr Dr. Paulus,
ich nehme die gesamte Schwangerschaft Venlafaxin, 75mg/Tag. Es ist mein 2. Kind und bei meinem Sohn (geboren April 2011) habe ich es ebenso, abgeklärt durch FA, embryotox und eine humangenetische Beratung, in Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen. Es gab keinerlei Probleme und mein Sohn kam kerngesund zur Welt.
Da aber die Arzte und Hebammen zum Zeitpunkt der Geburt unsicher und unwissend waren, welche Reaktionen vielleicht zu befürchten sind, wurde mein Sohn mir ca. eine halbe Stunde nach der Geburt weggenommen und 10 Tage auf die Intensivstation verfrachtet. Ich durfte ihn erst auch nicht stillen, weil sich niemand dort mit diesem Medikament und seinen möglichen Auswirkungen auskannte, obwohl ich mehrfach versichert habe, dass alles mit embrytox abgesprochen ist. Er hatte dann in der kommenden Zeit angeblich mehrfach Sauerstoffabfälle, wodurch seine Entlassung immer wieder verschoben wurde.
Die kompletten 10 Tage waren für uns alle Stress pur, er wurde auf Herz und Nieren untersucht, alles war ok. Nach den 10 Tagen wurde der Monitor gewechselt, da er auch viele Fehlalarme lieferte und plötzlich gab es keinen einzigen Alarm mehr. Wir möchten gar nicht wissen, wielange unser Sohn unnötigerweise auf der Intensivstation lag.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich möchte dies auf jeden Fall bei meinem zweiten Kind vermeiden.
Meine Fä hat mir geraten zu einem Geburtsplanungsgespräch zu gehen, um das Ganze im Vorfeld zu klären ( ich möchte im gleichen KH entbinden). Sie selbst hat mit embryotox gesprochen, wo ihr versichert wurde, dass eine Trennung von Mutter und Kind nicht unbedingt nötig und ja auch nicht förderlich sei, da ich stillen möchte.
Nun meine Fragen:
- Kann es sein, dass das KH es mir verweigert und auf "Nummer sicher gehen möchte", indem sie das Kind wieder rund um die Uhr überwachen?
- Habe die Befürchtung, dass man mir allein wieder nicht glauben wird - kann ich dann erwarten/verlangen, dass sie sich slebst mit emryotox in Verbindung setzen?
- Welche Vorkehrungen würden Sie bei der Medikation treffen, wenn das Kind fit und termingerecht zur Welt kommt?
- Oder sollte ich besser das AD vor der Geburt absetzen, um den ganzen "Schlamassel" zu vermeiden? Allerdings sind damit ja auch Konsequenzen verbunden und ich bin gerade froh, damit gut eongestellt zu sein.
Entschuldigen Sie den langen Text, ich hoffe, Sie können mir ein wneig weiterhelfen bzw. mir einen Ratschlag geben!
Vielen Dank im Voraus und liebe Grüße!
von
miina
am 17.08.2012, 07:22
Antwort auf:
Venlafaxin in SChwangerschaft - Vorgehensweise nach Geburt
Ein Übergang von Venlafaxin und seines Metaboliten Desmethylvenlafaxin in die Muttermilch konnten in 29 publizierten Fällen nachgewiesen werden (I-lett et al 1998, Hendrick et al 2001, Berle et al 2004, Weissman et al 2003, Ilett et al 2002, Newport et al 2009). Eine Arbeitsgruppe berichtet von einem mittleren Milch/Plasma-Qotienten von 2,5 für Venlafaxin (Range 2,0-3,2) bzw. 2,7 (Range 2,3-3,2) für Desmethylvenlafaxin (Ilett et al 1998, 2002). Die mittlere Säuglingsdosis beträgt demnach gewichtsadaptiert 6,4% (5,5-7,3%) der mütterlichen Dosis. Die Muttersubstanz Venlaxin fand sich bei 1 von 7 Säuglingen im Plasma, für den aktiven Metaboliten Desmethylvenlafaxin wurden messbare Plasmaspiegel bei 4 von 7 Kindern registriert (Ilett et al 1998, 2002).
In einer weiteren Studie konnten man Venlafaxin bei 1 von 3 Säuglingen im Plasma nachweisen, den aktiven Metaboliten bei allen drei Kindern. Die mittlere Serumkonzentration der aktiven Wirkstoffe betrug 10,2% (5,3 – 19,0 %) der mütterlichen Werte (Berle et al 2004).
In all diesen Studien traten bei den Säuglingen keine Komplikationen auf (Ilett et al 1998, 2002; Berle et al 2004).
Eine Publikation beschreibt die Exposition von zwei Säuglingen unter mütterlicher Therapie mit Venlafaxin (75 bzw. 225 mg/d) und Quetiapin. In beiden Fällen lag die Belastung der Kinder mit Venlafaxin unter 0,1 mg/kg/d. Im Alter von 12 Monaten wiesen beide Kinder eine unauffällige psychomotorische Entwicklung auf (Misri et al 2006).
Eine Studie untersuchte die Pharmakokinetik von Venlafaxin und Desvenlafaxin bei 13 Mutter-Kind-Paaren (Newport et al 2009). Bei den Säuglingen wurden keine Komplikationen beobachtet. Messungen bei 5 Mutter-Kind-Paaren ergaben bei den Säuglingen einen mittleren Plasmaspiegel von 6,2% der mütterlichen Werte für Venlafaxin und immerhin 58% für den aktiven Metabo-liten Desvenlafaxin. In der Muttermilch fanden sich stark schwankende Wirkstoffspiegel.
Bei mütterlicher Einnahme von Desvenlafaxin (250 mg/d) und Amisulprid (200 mg/d) registrierte man bei einem fünf Monate alten, teilweise gestillten Säugling eine Aufnahme von ca. 1,7% der mütterlichen Dosis über die Muttermilch (Ilett et al 2010). Der Säugling entwickelt sich unauffällig.
In einer weiteren Studie wurden 10 Mutter-Kind-Paare unter mütterlicher Therapie mit Desvenlafaxin (50 – 150 mg/d) untersucht. Die mittlere Serumkonzentration der Säuglinge betrug 16 µg/l bei einer mittleren mütterlichen Serumkonzentration von 309 µg/l. Die mittlere Exposition der Säuglinge betrug 6,8% der mütterlichen Dosis. Die Entwicklung der Kinder zeigte keine Auffälligkeiten (Rampono et al 2011).
Nach Anwendung von Antidepressiva wie Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Mirtazapin, Paroxetin, Sertralin und Venlafaxin im letzten Schwangerschaftsdrittel weisen die Hersteller auf das Risiko von Atem- und Ernährungsstörungen, Krampfanfällen, Unruhe und anhaltendes Schreien bei den Neugeborenen hin. Diese Beschwerden (max. 2 Wochen nach Geburt) können verlängerten Krankenhausaufenthalt, Beatmung bzw. Ernährung per Sonde erfordern. Es kann sich dabei um direkte unerwünschte Wirkungen der Antidepressiva auf das Neugeborene oder um Zeichen eines Entzugssyndroms handeln.
Diese Komplikationen sind bei Ihrer geringen Tagesdosis von 75 mg nicht zu befürchten, sofern es sich um ein reifes gesundes Neugeborenes handelt.
Für eine konkrete fachliche Beratung dürfen Sie bzw. Ihre betreuenden Ärzte gerne unser Institut kontaktieren. Mit Hilfe von EDV-gestützten Datenbanken vermitteln wir schnell und umfassend aktuelle Erkenntnisse über den Einsatz von Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit. Unser Anfrageformular können Sie von unserer Website (http://www.reprotox.de) herunterladen und uns übermitteln. Für entsprechende Beratungen stehen wir werktags zwischen 8 und 18 Uhr gebührenfrei zur Verfügung:
Institut für Reproduktionstoxikologie
KH St. Elisabeth (Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Ulm)
Elisabethenstraße 17
88212 Ravensburg
Tel.: +49 751 87 2799
Fax: +49 751 87 2798
E-Mail: paulus@reprotox.de
Internet: http://www.reprotox.de
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 21.08.2012