Frage im Expertenforum Medikamente in der Schwangerschaft an Dr. med. Wolfgang Paulus:

Gilt das „Alles oder nichts“ Prinzip immer?

Dr. med. Wolfgang Paulus

Dr. med. Wolfgang Paulus
Facharzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitätsfrauenklinik Ulm

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Frage: Gilt das „Alles oder nichts“ Prinzip immer?

Studyquestion

Sehr geehrter Herr Dr. Paulus, Ich habe fünf Tage nach ES eine große Menge Alkohol zu mir genommen. Nun bin ich schwanger. Bei der Recherche nach etwaiger Schädigung auf Basis des Konsums, bin ich vielfach auf das „Alles oder Nichts“ Prinzip gestoßen. Jedoch habe ich bei meiner Suche im Internet auf der Seite der Charité gelesen, dass es in seltenen Fällen auch in so einem frühen Stadium zur Schädigung des Embryos und dessen Einnistung kommen kann. Darüber hinaus habe ich auch eine Studie der Universität Montreal aus dem Jahr 2021 gefunden. Diese hat den Effekt von Alkohol in der „pre implementation“ Phase untersucht, und in der abschließenden conclusion geschrieben: „These findings support that alcohol-induced DNA methylation programming deviations during pre-implantation could contribute to the manifestation of neurodevelopmental phenotypes associated with FASD.“ Ferner steht dort auch „Still, there is ample misinformation in the literature regarding the effects of alcohol exposure, and many other teratogen exposures, on pre-implantation embryos, and how this leads to an “all-or-nothing” developmental outcome.“ Ich habe (als Laie) angenommen, dass das „Alles oder Nichts“ Prinzip immer greift, da man es so von Ärzten hört und auch an offiziellen Stellen z.B. beim BZgA oder auch if der Seite des NHS liest. Entspricht diese Information denn nicht dem aktuellen Stand der Forschung und kann es sein, dass das Prinzip doch nicht immer greift? Ich mache mir Sorgen, frage mich aber auch ob dies sein kann. Da demnach ja das FAS bei weitaus mehr Kindern auftreten müsste, als bekannt. Vielen herzlichen Dank vorab für eine Rückmeldung!


Die von Ihnen zitierte Studie (Legault LM et al. Clin Epigenetics 2021;13(1):164) an Mäusen wurde in der Frühphase der Schwangerschaft mit zweimaliger Injektion von 2,5 g Ethanol pro kg Körpergewicht im Abstand von zwei Stunden durchgeführt. Dies würde – übertragen auf den Menschen - bei einer 70 kg schweren Person zweimal 2 Liter – also insgesamt 4 Liter Wein – entsprechen. Ob diese Laborexperimente auf moderaten Alkoholkonsum beim Menschen in irgendeiner Form übertragbar sind, ist bislang nicht geklärt. In der medizinischen Fachwelt wurde das Alles-oder-Nichts-Prinzip in den ersten beiden Wochen nach Befruchtung bislang weitgehend anerkannt (Adam MP. The all-or-none phenomenon revisited. Birth Defects Res A Clin Mol Teratol. 2012;94(8):664-9). Aus Laborversuchen wurden in den letzten Jahren Einflüsse auf die DNA-Methylierung durch diverse Substanzen (z. B. Zytostatika, Ethylenoxid) diskutiert, die eine Allgemeingültigkeit der Alles-oder-Nichts-Regel in Zweifel ziehen. Allerdings konnten diese Bedenken beim Menschen bislang nicht erhärtet werden.


Studyquestion

Vielen Dank für die Beantwortung der Frage und auch der „In-die-Relation“ setzen.


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