Frage im Expertenforum Kochen für Kinder an Dipl. oec. troph. Birgit Neumann:

Beide Kinder essen fast nichts

Dipl. oec. troph. Birgit Neumann

Dipl. oec. troph. Birgit Neumann
Diplom Ökotrophologin und Ernährungsberaterin

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Frage: Beide Kinder essen fast nichts

Mitglied inaktiv

Hallo Birgit, ich habe einen Jungen (9 J.) und eine Tochter (3.5 J.). Bei beiden das gleiche Phänomen: solange sie gestillt wurden oder Gläschen bekamen, aßen sie gut. Danach verloren sie zusehens den Appettit. Man könnte jetzt natürlich vermuten, ich koche schlecht *g*. Ich wage aber mal zu behaupten, dass dem nicht so ist. Ich koche 2x täglich, meine Kinder bekommen immer von allem eine Miniportion auf den Teller (auch von den Sachen, von denen ich weiß, dass sie sie nicht essen wie zB Gemüse). Die Auswahl der Gerichte, die ihnen schmecken ist superklein: Nudeln mit Ketchup, Pizza nur mit Käse und Tomatensauce, Süßspeisen, Milchprodukte (am liebsten 5 Acitmel täglich). Und natürlich am liebsten täglich zu Mc Donalds *grr*. Beide essen kaum Fleisch, kaum Gemüse, wenig Obst. Es ist zum Verzweifeln!! Ich bemühe mich wirklich, aber ohne Erfolg. Beide bekommen nur dann etwas zu naschen, wenn sie vorher halbwegs gut gegessen haben. Zwischendrin drinken sie gerne probiotische Drinks und wenn ich Glück habe, essen sie den Apfel, den ich geschält habe. Anderes Obst mögen sie nicht mal probieren! Bei Gemüse ist es ähnlich - höchstens mal Karotten oder Broccoli. Am besten geht noch roter Paprika roh. Aber der ist ja in den meisten Fällen so pestizidbelastet, dass ich da große Bedenken habe. Haben Sie vielleicht Rat für mich? Irgendetwas mache ich wohl falsch - aber was?? LG, Mona


Birgit Neumann

Birgit Neumann

Hallo Mona manche Kinder sind einfach so. Nicht alle Menschen haben die gleiche Anzahl an Geschmacks- oder Geruchsnerven. Viele Menschen haben mehr davon und sind dadurch sensibler als andere. Wer über mehr von diesen Nerven verfügt, nimmt Geschmacksnuancen und Gerüche intensiver wahr als andere. Das bedeutet, dass auch Störfaktoren (bitterer Geshcmack, Geschmacksabweichungen, Süße, etcetc) wesentlich stärker wahrgenommen werden. Das kann häufig eher zu Ablehnung führen. Auch verdaut jeder Mensch indivuell ganz verschieden. Neben physiologischen und anatomischen Gründen, spielt besonders die Darmflora eine grosse Rolle bei der Speisenauswahl. Das alles geschieht natürlich unbewusst. Und das System lässt sich manchmal auch austricksen. Manchmal funktioniert das aber auch nicht. Bspw Kaffee. Der schmeckt ja bitter. Kein Mensch würde den trinken, wenn das nicht die stimulierenden Substanzen drin wären. Dann rührt man sich noch zucker rein und so siegt die Wirkung über den reinen Gusto. Anders herum ist es auch möglich, dass man ein Gericht gerne mag. Wenn die Zutaten aber nur minimal variieren und bspw etwas dabei ist, was dem betreffenden nicht gut bekommt, kann es sein, dass er es nicht mag, oder künftig nicht mehr gerne essen wird. Richtig gut schmeckt es deshalb vielen Kindern dann, wenn es altbekannt ist. Ja, und deshalb schmeckt es bei Mc Donalds ja auch so gut :-) Babies, Kleinkinder und Kinder, auch Erwachsene, haben noch dazu eine sog. Neophobie. Eine Angst vor dem Neuen (essen). Auch hier wieder, evolutionsbiologisch betrachtet, eine gute Schutzfunktion. Gegessen wird nur das, was man kennt. Denn Unbekanntes könnte giftig sein. Besonders bittere Speisen sind oft giftig. Deswegen wird ein bitterer Geschmack von Kindern meistens abgelehnt. Grüne Paprika schmecken gekocht meist bitter. Aber auch alte Möhren können manchmal bitterer sein. Kinder sollten bis zu 10 mal etwas probiert haben, bevor sie es wirklich gut akzeptieren und sich an den Geschmack gewöhnt haben. Auch der Geruchssinn spielt eine große Rolle. Denn noch bis ins Erwachsenenalter (lebenslang) hinein sind solche Erinnerungen mittels Geruchssinn aktiv, und die Bereitschaft später im Erwachsenenalter eine Speise zu probieren, ist dadurch sehr gross. Somit nimmt die Geruchsprägung noch vor der Geschmacksprägung eine wesentliche Rolle ein. Die einmal erlernten Geschmacksmuster, in frühester Kindheit, werden treu bis ins Erwachsenenalter hinein beibehalten. Muttermilchersatzpulver bspw. enthält gewöhnlich den Aromastoff Vanillin. Das Münchner Sensorikunternehmen ASAP hat hierzu eine Versuch durchgeführt: 130 Jugendliche und Erwachsene erhielten zwei fast identische Proben Ketchup. Die Proben unterschieden sich in der Zugabe von Vanillin zu einer Ketchupflasche. Der vanillinhaltige Ketchup wurde von ehemaligen Flaschenkindern 4 mal so häufig bevorzugt, als von ehemals gestillten Personen. Eine neuere Studie ergab, dass Kinder, die häufig aromatisierte Fruchtjoghurts assen, sich so sehr an die Aromen gewöhnen, dass sie dann den im Testversuch selber angerührten Joghurt mit frischen Früchten, als Kunstprodukt zu identifizieren glaubten. Fazit: Das Aroma der echten Früchte war ihnen so fremd, dass sie die künstlichen, naturidentischen, natürlichen Aromen, jeweils als den Geschmack von "echtem Obst" abgespeichert hatten und künftig diesen "unechten" favorisieren. Wichtig zu wissen ist, dass bei der Appetitsteuerung viele Faktoren zusammenspielen. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die individuelle Verdauung der Speisen, die u.a. von der mikrobiologischen Darmbesiedelung abhängt. Jedes Kind hat seine Favoriten. Dieses Herauszufinden, ist schon mal was wert Dazu ist es wichtig, dass ein Kind ein möglichst breitgefächertes Repertoire hat, aus dem man schöpfen kann. Das bedeutet, dass möglichst viel probiert werden sollte. Manchmal ist so eine Situation nicht der Essenstisch, sondern vielleicht der Spielplatz, bei der Oma, im Urlaub, im Restaurant etc Die Verdauung ist individuell verschieden. Was dem einen gut bekommt, kann beim anderen zu Unwohlsein führen. Deswegen mögen viele Kinder Gemüse oft weniger gerne essen. Gemüse hat zwar Vitamine Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe, Ballaststoffe aber bringt (im Vergleich zu Obst) keine Sättigung. Die enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe sind manchmal schwerer verdaulich. Deshalb wird Gemüse oft akzeptiert, wenn es entsprechend zubereitet wurde, weil die Zubereitungsweise eine direkte Auswirkung auf die Verdauung/Verdaulichkeit hat. Mit viel Fett (z.B. Rahmspinat) werden Ballaststoffe verträglicher. Ketchup bspw. hat einen hohen Zuckeranteil. Die Säure wird abgemildert und Kalorien kommen hinzu. Erbsen haben von Natur aus einen leicht süßlichen Geschmack. Pizza ist auch fettreicher wegen dem Käse und Öl. Deswegen akzeptieren Kinder oft mit Gemüse belegte Pizza. Ich denke, dass erzieherische Massnahmen ganz gut helfen werden. Befrage dazu mal Frau Schuster. Dass es nur Süßigkeiten gibt, wenn etwas Vernünftiges gegessen wurde, ist doch schon mal ganz gut. Darauf kannst du aufbauen. Kaufe doch Paprika aus Bioanbau. Gruss Birgit


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