Frage im Expertenforum Frühgeburt an Prof. Dr. med. Gerhard Jorch:

Auflärungspflicht

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch
Kinderarzt und Neonatologe

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Frage: Auflärungspflicht

Mitglied inaktiv

Hallo Herr Prof. Jorch, ich hatte bereits im Frühchenforum gepostet, aber dort konnte mir keiner weiterhelfen. Ich wollte Sie fragen, ob Ärzte verpflichtet sind, einer Mutter die Alternativen über die Behandlung eines Frühchen in einer anderen Klinik zu nennen. Ich hatte in der 23. SSW einen vorzeitigen Blasensprung- meine Hebamme meinte, ich solle mich in die Klinik einliefern lassen, wo sie Beleghebamme ist und die wir uns auch als Entbindungsklinik ausgesucht haben. Dort wurde mir durch sie und dem Oberarzt direkt nach der 1. Ultraschalluntersuchung mitgeteilt (nach ca. 30 Minuten), dass es für meine Tochter keine Überlebenschance gibt und sowieso erst ab der 24. SSW versucht wird, das Leben der Frühchen zu retten.Man sagt mir, dass die Überlebenschancen bei null liegen würden und, falls doch, nur mit stärksten Behinderungen. Im nachhinein habe ich erfahren, dass die Uniklinik Köln Frühchen auch ab der 23. SSW versucht zu retten. Das hat mir ein dort arbeitender Oberarzt bestätigt. Meine Tochter lebte nach der spontanen Geburt noch 45 Minuten, sie war 28 cm groß und wog 460 gr. Es wurde keine Lungenreife gegeben und ich bekam nur ein Antibiose- sonst nichts. Ich lag 2 Tage im KH, bevor sie geboren wurde. Sehen Sie das auch so, dass bei vorzeitigen Wehen weder Ruhigstellung noch Wehenhemmer helfen? Ich hatte starken Blutungen im 3. Monat und danach Wehen. Aber es hieß immer, es ist alles ok- ich solle mich schonen und Magnesium nehmen und dass, obwohl ich vor Schmerzen oft nicht mal gehen konnte. Mein Frauenarzt hat mich die 2 Monate vorher nicht untersucht, weil es seitens der Sprechstundenhilfe (seine Frau) hieß, dass es nicht nötig sei, da in diesem Zeitraum der große Organultraschall bei meiner Tochter gemacht wurde. Dabei wurde nichts auffälliges festgestellt.Ich habe ihr und meinem FA vertraut (ich gehe da schon 15 Jahre hin), deswegen habe ich nur kurz interveniert, aber Sie hat eine Untersuchung total abgeblockt. Ich freue mich von Ihnen zu hören. Melanie S.


Wir bewegen uns in der 23. SSW im Grenzbereich der Frühchenmedizin, wo national und international kein Konsens unter den Neonatologen und Frauenärzten besteht. Immerhin haben wir Fachleute uns aber kürzlich dazu durchgerungen, einen gemeinsame deutsche Empfehlung (AWMF-Leitlinie) herauszugeben. Danach raten wir von einer aktiven lebenerhaltenden Therapie unter 22+0 SSW ab und über 23+6 SSW zu. In der 23. SSW und der 24. SSW empfehlen wir, die Entscheidung (aktive Therapie oder Sterbebegleitung) nur in Konsens mit den Eltern nach gründlicher Aufklärung zu treffen. So ähnlich ist es ja bei ihnen auch erfolgt. Man kann jetzt höchstens diskutieren, ob die Aufklärung über die Chancen grob fehlerhaft war. Dazu einige Angaben: Überlebenschancen in der 23. SSW: Diese betragen derzeit wohl zwischen 0 und 20 % in den verschiedenen Perinatalzentren. Überleben mit schwerer Behinderung: Hierzu haben wir einige Daten, die aber für die heute geborenen Frühchen und die jeweilige Situation möglicherwiese nicht zutreffend sind. Man kann aber wohl davon ausgehen, dass bei den (wenigen) Überlebenden in etwa 50 % der Fälle mindestens keine schwere Behinderung vorliegt. Für den Ergebnisvergleich von Perinatalzentren liegen derzeit kaum transparente Daten vor. Die Neonatalerhebung der Länder hat einige Erfassungsschwächen und ist nur bei Zustimmung des jeweiligen Krankenhauses einsehbar. Außerdem ist die Zahl der behandelten Frühchen der 23. SSW in jedem Zentrum so klein, dass keine verwertbare Aussage möglich ist.


Mitglied inaktiv

Hallo Melanie, dein Beitrag hat mich sehr bewegt und ich möchte dir mein herzliches Beileid aussprechen, dass du deine Tochter auf so schreckliche Weise verlieren musstest. Das Verhalten deines Frauenarztes finde ich verantwortungslos, bei Blutungen in der Schwangerschaft hätte diese engmaschig überwacht werden müssen bzw. du hättest gleich ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Hatte diese Klinik überhaupt eine Neugeborenenintensivstation, wo man deine Tochter behandeln hätte können? Ich wünsche dir, dass du diesen Verlust irgendwie verarbeiten kannst. Alles Gute für die Zukunft! Taita


Mitglied inaktiv

Hallo Melanie, vielleicht wäre es für Professor Jorch hilfreich noch zu erfahren, dass du in einer großen Klinik mit Perinatalzentrum entbunden hast. Wo man davon ausgehen sollte, dass sie auf solch eine Situation vorbereitet sind. Aber trotzdem habe ich nach wie vor das Gefühl, dass eben nicht das "richtige" getan wurde bzw. zu wenig getan wurde - auch noch bzw. gerade während deiner Schwangerschaft. Meiner Meinung nach hätte man dir Wehenhemmer geben können, wenn keine Infektion des Fruchtwassers vorlag, die Lungenreife wird meine ich erst so ab der 24. (oder 25. SSW) (!?) gegeben. Ich selbst bin mit vorzeitigen Wehen und einem verkürzten GMH in 23+5 in die Klinik eingewiesen worden. Ich bekam sofort Wehenhemmer und die Lungenreife (man hatte mich aufgrund eines Fehlers aber in die 25. SSW vordatiert). Es gab einen Fall in meinem Klinikzimmer (ich lag ja auch Uni Köln), wo eine Frau in der 16. SSW einen Blasensprung hatte und sie zwischen 3 Möglichkeiten entscheiden musste: 1. sie bekommt ein Mittel, damit das Ungeborene nicht mehr lebt und sie direkt entbindet - 2. man wartet bis es von selbst nicht mehr lebt, ohne weiteres eingreifen - 3. man versucht das Leben zu retten, jedoch mit dem Wissen, dass das Kind m it hoher Wahrscheinlichkeit Schäden davon trägt!!!! Diese Geschichte fiel mir leider erst gerade wieder ein (wir hatten ja bereits uns ausgetauscht). Hatte ich verdrängt, denn sie lag ja neben mir, als ihr die Möglichkeiten erläutert wurden!!! Es war ein Schock für mich. Egal, auf die Antwort von Prof. Jorch bin ich ebenfalls gespannt Dir noch alles erdenklich Gute karya


Mitglied inaktiv

Hallo Melanie, auch ich habe dein beitrag gelesen und sage erst mal aufrechtes Beileid, ich kenne das, denn ich hatte auch vor 15 jahren eine Tochter geboren sie war auch nur 1 tag alt bzw. wie die ärzte sagen 2 tage. Wenn Du gerne mit mir reden möchtest könnte ich Dir meine E-Mail geben. Ich kann nur sagen, suche Dir so schnell wie möglich einen neuen Fa und wünsche auch Dir für die Zukunft, das Du es schnell verkraftest, Lg Gabi


Mitglied inaktiv

Hallo Melanie, es hat mich tief getroffen zu lesen, was dir passiert ist. Meine erste Tochter kam in der 34. Woche wegen vorzeitigem Blasensprung zur Welt. Ich lag vorher 1 Woche im Krankenhaus, wo ich absolute Bettruhe einhalten musste, damit kein weiteres Fruchtwasser abgeht. Ich bekam Lungenreifespritzen und es wurde oft das Blut kontrolliert, ob eine Infektion in meinem (und damít im Baby) Körper ist, damit man nichts verpasst. Mir wurde gesagt, solange keine Infektion vorhanden ist, bildet sich Fruchtwasser nach und das Baby kann noch wochenlang drinbleiben. Bei meiner zweiten Tochter, die in der 30. Woche kam, bot man mir in der 23.SSW die Lungenreifespritze zur Vorsicht an. Allerdings zeigen meine Erfahrungen, dass man keine Frühchen Geschichte miteinander vergleichen kann. Ich wünsche dir von Herzen ganz viel Kraft und dass du nicht vollkommen verzweifelst! LG Nicole


Mitglied inaktiv

Hallo Herr Prof. Jorch, es hat keinen Konsens über die aktive Therapie meiner Tochter gegeben, weil das einzige, was man mir anbot war, entweder sofort die Geburt einzuleiten, damit meine Tochter sofort stirbt oder mir noch etwas Zeit zum Abschied nehmen zu geben. Da ich so geschockt war und natürlich nicht wollte, dass meine Tochter stirbt, habe ich mich fürs Warten auf ein Wunder entschieden. Die Überlebensrate von Frühchen in diesem Alter ist sehr unterschiedlich, je nachdem wo entbunden wird. Der Arzt der Uniklinik Köln erzählte mir, dass dort mehr als die Hälfte in der 23. SSW überleben würden. In KH Köln- Holweide liegt die natürlich bei Null, weil vor der 24. SSW dort keine aktive Therapie angeboten wird. Wenn ich gewusst hätte, dass das nur wenige Kilometer entfernt gelegene KH das Leben meiner Tochter wenigstens versucht hätte zu retten, hätte ich mich doch dorthin verlegen lassen.


Mitglied inaktiv

Hallo, oh mein Gott ich dachte gerade ich lese meine Geschichte. Meine Tochter kam auch in der 23ssw zur Welt und letztendlich war es so bei dir. Ich wollte mich in ein KKH verlegen lassen das eine Frühchenstation hat und die haben schlichtweg gesagt das werden die nicht machen weil ich erstens mit dem Hubschrauber hingebracht werden müsste und außerdem könnte man jetzt nichts mehr machen, die 23ssw wäre zu früh. Das kind wird aufjedenfall sterben. Auch ich habe erst hinterher erfahren das dies gar nicht so der Fall gewesen wäre, unteranderem wurde der ET von meinem FA ein Monat vordatiert, weil das Kind weiter war. Allerdings war das Geburtsgewicht 560gr. von daher gehe ich aus das ich zwar weiter war wie in der 23ssw aber noch unter der 27ssw. Überlebensfähig wäre es gewesen, wenn man was gemacht hätte. Was dann passiert wäre kann keiner sagen, aber wir also auch du hätten dann wenigsten nicht das Gefühl nicht genug gekämpft zu haben und alles versucht. Weißt du was mir sehr geholfen hat? Ich habe meiner kleinen Tochter immer Gedichte und Briefe geschrieben. Zeit heilt zwar viele wunden aber eine Narbe bleibt immer, dass weiß ich. Wenn Du dich austauschen willst dann schreib mir in mein Postfach. Ganz liebe Grüße Mareike


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