Moonmoth
Guten Tag, entschuldigen Sie bitte vorab den langen Text. Ich hoffe, sie sind überhaupt die richtige Ansprechpartnerin. Mein Sohn (4) ist seit August im Kiga. sein Zwillingsbruder geht in den gleichen Kiga aber in eine andere Gruppe. Zurvor waren sie bereits zwei Jahre bei einer Tagesmutter. Die Kiga-Eingewöhnung lief für den besagten Sohn eher holprig. Ich vermute dass es auch damit zu tun hatte, dass ich grade schwanger war und mein Sohn Trennungsängste hatte. Mittlerweile geht er gern in den Kiga, macht überall mit, hat Freunde. Laut Aussage der Erzieherinnen gibt es immer mal wieder Situationen wo sie ihn über das „normale Maß hinaus“ betreuuen müssen, weil er zb Wutanfälle bekommt, die nicht angemessen seien und es manchmal auch länger dauern würde ihn wieder runterzubringen, sodass er wieder an den Aktivitäten teilnehmen kann. Der Kiga möchte deshalb einen Integrationshelfer für unseren Sohn. Dafür wird eine Bescheinigung des Kinderarzt benötigt. Dieser weigert sich aber diese auszustellen. Bei der U8 war alles in Ordnung, der Kinderarzt stellte fest, dass unser Sohn sprachlich und vom Kopf her sehr weit ist. Er hinterfragt wirklich alles, gibt sich mit Standardantworten kaum zufrieden. Und wenn ihm etwas nicht passt oder etwas aus seiner Sicht keinen Sinn ergibt, lässt er es uns teilweise auch lauthals wissen. Unser KIA sagt, der Kiga müsse auch mit fordernden und phasenweisen schwierigen Kindern klarkommen, das sei seine Aufgabe. Es könne nicht für jedes Kind, das sich nicht ganz „normgerecht“ verhalte, eine I-Kraft eingestellt werden. Wir stehen nun zwischen den Stühlen. Zuhause ist unser Sohn in den letzten Monaten (seitdem die kleine Schwester da ist) deutlich umgänglicher geworden. An Wutanfällen sehen wir zwischen ihm und seinem Zwillingsbruder keine Unterschiede. Natürlich sind wir im Kiga nicht mit dabei. MmN ist es aber die Aufgabe von Erziehern/innen zwischen Kindern zu vermitteln und auch mal bei Wutanfällen zu trösten. Ich weiß dass der Kiga Personalmangel hat und natürlich das Personal auch noch einiges an Zeit in die Coronahygienemaßnahmen stecken muss. Der Kiga drängt uns nun, uns eine Zweitmeinung bei einem andern KIA einzuholen. Ich denke, dass ein anderer KIA unseren Sohn ja deutlich weniger gut kennt als der jetzige. Zudem möchte ich mit 3 Monate altem Stillbaby und gesundem 4-jährigen zu Coronahochzeiten eigentlich nicht unnötig in irgendwelchen Wartezimmern herumsitzen. Wir fürchten, dass der Kiga unsere kleine Tochter in zwei Jahren ablehnen könnte, weil wir uns auch ihrer Sicht nicht genug für die I-Kraft eingesetzt haben. Dann hätten wir mutmaßlich doppelte Fahrerei am morgen (Kitaplätze sind hier sehr rar). Andererseits möchte ich auch nicht dass das Personalproblem des Kigas auf dem Rücken unseres Sohnes ausgetragen wird. Wir wissen nun nicht was wir tun sollen? Haben Sie einen Rat? Zudem fragen wir uns, ob eine Integrationskraft, die das Kind jetzt hätte zu Problemen bei der Einschulung führen kann?
Hallo, ich kenne mich mit den Formalitäten zur Beanspruchung einer Integrationshilfe nicht aus, kann aber aus meiner Sicht etwas zu ihrem Thema antworten: nach Ihren Schilderungen (ich kenne ja nicht die Sicht der Erzieher/innen) wäre ich jetzt auch erstmal der Meinung des Kinderarztes/von Ihnen. Ein Kind, das bisher keine Diagnose oder psychologische Begutachtung hat und auch im häuslichen Umfeld keine Auffälligkeiten zeigt, klingt zunächst nicht danach, eine Integrationshilfe beanspruchen zu können. Ich würde bei der Kita genau erfragen, wie oft diese Wutanfälle vorkommen (täglich?), wie lange sie dauern, wie die Erzieher/innen darauf reagieren, ob Auslöser erkennbar sind und auch im Gespräch mit ihrem Kind bleiben: was stört dich in der Kita/ was würde dir helfen, wenn du wütend bist/ was macht dich in der Kita wütend? So sind Kinder mit Hochsensibilität oder auditiver oder sensorischer Überempfindlichkeit z.B. schneller überfordert und reagieren wütend (ohne ihr Kind da jetzt einzugruppieren), aber diese Kinder haben auch keine Integrationshelfer, sind jedoch auf die Empathie der Erzieher/innen angewiesen. Wäre ein Gruppenwechsel hilfreich (vielleicht stimmt die Chemie zwischen Erzieher/in und Kind nicht?), ginge es ihm mit seinem Bruder zusammen in einer Gruppe besser, etc. Vielleicht wäre es noch eine Option einen Entwicklungsbericht durch die Erzieher/innen mit genauer Schilderung und Häufigkeit der Problematik bei der Kita anzufordern und diese dann dem Kinderarzt vorzulegen? Wäre es daraufhin eine Möglichkeit z.B.ein Rezept Ergotherapie als Hausbesuch beim Kinderarzt zu bekommen und dann jemanden vor Ort Strategien mit dem Kind einüben zu lassen im Falle eines Wutanfalls (propriozeptive Techniken und Adrenalinabbau über körperliche Aktivitäten mit Zug und Druck: springen, Tau ziehen,hangeln, Schubkarre laufen, mit Händen auf den Tisch den Körper in die Höhe stemmen, Hänge gegeneinander pressen, Softball zwischen den Händen drücken, Wand wegschieben, etc. oder auch erstmal einschätzen zu lassen, wie das Kind den Alltagsanforderungen in der Kita gewachsen ist). Propriozeptive Reize (s.o.) helfen bei der Regulation und entspannen. Ich würde den Erzieherinnen ein paar Strategien an die Hand geben (kaltes Wasser über Arme laufen lassen, Stirn kühlen, propriozeptive Reize, kaltes Trinken,...) und ausprobieren lassen, was bei ihrem Kind effektiv hilft. Ja, das ist erstmal ein zeitlich höherer Aufwand, aber wenn das einmal mit dem Kind eingeübt wurde, kann es vom Kind dann auch selbständig auf Ansage hin umgesetzt werden und entlastet dann die Erzieher/innen (oder auch in Wutsituationen zu Hause ausprobieren) - als Handling der Wutanfälle an sich, aber trotzdem mit dem Hintergrund, diese danach mit dem Kind kurz zu besprechen: was war der Grund für deine Wut, wie kannst du nächstes mal anders reagieren, Kompromissfindung besprechen, ... um langfristig Wutanfälle zu reduzieren. Das setzt natürlich empathische engagierte Erzieher/innen voraus. So zeigen Sie Bereitschaft etwas zur Entlastung der Situation beizutragen (kann ja auch so thematisiert werden, dass Sie sich diesbezüglich ergotherapeutische Beratung eingeholt haben ;)...), ohne eine Integrationshilfe zu beanspruchen. Sollte sich daraufhin nichts verbessern oder sich die Wutanfälle steigern, kann immer noch eine ärztliche Zweitmeinung eingeholt werden (wobei ich nicht wüsste warum ein Arzt, der das Kind noch nie gesehen hat, da problemlos derartiges ausstellt). Es gibt auch schöne kindgerechte Bücher zum Thema "wie gehe ich mit meiner Wut um" (vielleicht auch in der Bibliothek?), um das mit dem Kind zu besprechen. Alles Gute Kristin Windisch
Moonmoth
Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort Frau Windisch. In der Tat ist es so, dass unser Sohn schneller überfordert ist, wenn es laut oder wuselig ist. Das hat uns der Kiga auch gesagt. Nach Aussage meines Sohnes, geht er in den Nebenraum, wenn es ihm zu laut wird. Ich habe meinen Sohn schon mehrfach gefragt, was ihm helfen würde wenn er wütend ist. Seine Antwort: „in den Arm genommen werden“ Das klappt zuhause auch gut. Im Kindergarten vermutlich nicht so sehr, denn sicher macht es einen Unterschied ob Mama in den Arm nimmt oder eine Erzieherin. Er hatte von Beginn an Schwierigkeiten zu den Erziehern/innen eine gute Bindung aufzubauen. Man merkte, dass der Funke einfach nicht übersprang. Das macht es sicher nicht einfacher. Einen Wechsel in die Gruppe des Bruders möchte der Kiga nicht. Ich eigentlich auch nicht, denn die beiden sind zuhause viel harmonischer, seitdem sie sich nicht den ganzen Vormittag sehen (draußen können sie im Kiga auch zusammen spielen). Unser Sohn hat aber tatsächlich mal gesagt, dass er die Erzieherinnen aus der Gruppe seines Bruders lieber mag. Das mit dem Entwicklungsbericht und der Ergotherapie als Hausbesuch und das Entwickeln von Strategien bei Wut finde ich gut, das werden wir mal in Angriff nehmen. Danke!!
Sollte es tatsächlich an der Lautstärke liegen, kann man außer ruhigem Rückzugsraum auch Kopfhörer anbieten, die den Lärmpegel reduzieren und somit Wutanfällen vorbeugen, die durch Überforderung durch Lautstärke/hoher Stresspegel kommen können - falls Ihr Kind diese annimmt (dann sollten sie auch selbständig fürs Kind erreichbar sein, z.B.in der Garderobe oder im Bastelfach des Kindes, am Handtuchhaken o.ä.). Erfragen Sie, ob die Wutanfälle eher drinnen als draußen stattfinden und gehäuft bei lauter Umgebung als in ruhigen Situationen, dann spricht das eher für die Lautstärkesensibilisierung. Sollte das die Ursache der Wutanfälle sein, können die Erzieher/innen hier prophylaktisch eingreifen, wenn es laute Situationen gibt (Rückzugsraum, Kopfhörer, nach draußen verlagern - dort wird der Lärmpegel entspannt, da es nicht "zurückschallt"), um einer Eskalation vorzubeugen. Manchmal sind auditiv überempfindliche Kinder selbst sehr laut in diesen Stress-Situationen, da Selbstaktivität hier regulierend wirkt und die Lautstärke dann besser ertragen wird. Das Gehirn kann sich hier aktiv darauf einstellen, statt passiv zu ertragen. Sprich ein lautes Kind, bedeutet nicht, dass es selbst Lautstärke von außen gut ertragen kann. Sollte alles nicht helfen und die Ursache der Wutanfälle an der Lautstärke liegen, ist als letzte Konsequenz evtl.ein Kitawechsel zu einer kleineren Kita (kleinere Gruppenstärke) oder Waldkita ratsam (aber vermutlich nicht so einfach umsetzbar). Kristin Windisch