Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Ludger Nohr:

Regulationsstörung

Dr. med. Ludger Nohr

Dr. med. Ludger Nohr
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Frage: Regulationsstörung

Avocadolove

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Sehr geehrter Dr. Nohr, unser Sohn ist jetzt etwas mehr als sieben Monate alt. Kürzlich waren wir in der Schreiambulanz einer Nachbarstadt und es wurde eine klassische Regulationsstörung "diagnostiziert". Leider passen die Tipps nicht gut zu unserem bedürfnisorientierten Ansatz. Deswegen wäre ich dankbar um Tipps zu folgenden Problemen: 1. Unser Sohn weint abends seit jeher teils bitterlich vor dem Einschlafen. Meist dauert das ca 5 - 10 Minuten, aber es macht uns immer noch ratlos und traurig. Und das trotz Einschlafstillens und Familienbett. Auch tagsüber stille ich zum Einschlafen, auch da weint er immer mal wieder, aber nicht so sehr wie abends. Haben Sie eine Idee, warum er das macht? 2. Tagsüber ist unser Sohn recht anstrengend, meist unruhig und quengelig. Herumtragen hilft, aber auch nur, wenn er nicht müde ist. Ablegen kann man ihn nicht allein und selbst wenn man ihn mit Spielzeug beschäftigt, mag er meist nicht auf dem Boden liegen. Dementsprechend kann er sich bisher zwar drehen, aber macht noch keine Anstalten, sich fortzubewegen. Das auch, weil er schnell frustriert ist und wenig Interesse an Spielzeug hat, welches ihn zu Bewegung animieren könnte. Eine starke Körperspannung hat er allerdings. Ich mache mir Sorgen, dass er sich selbst im Weg steht, was die Entwicklung angeht. Laut Osteopathin ist übrigens alles ok. Vielleicht haben Sie ja einen Tipp für uns. Vielen Dank!


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Hallo, ich musste länger über die Frage nachdenken um zu realisieren, dass es nicht um Tips gehen kann, sondern dass es um Passung (attunement) und Akzeptanz geht. Damit wird es eine allgemeinere Antwort und kann an Ihnen vorbeigehen, was mir leid täte. Irgendwie scheinen die Vorstellungen der Eltern und Erleben/Bedürfnisse des Kindes noch nicht so recht zusammen zu passen, beide sind auch ein wenig unglücklich miteinander (neben all dem was gut geht). "Was mache ich denn falsch"? Was ist zu tun, wenn ich bedürfnisorientiert umgehe und mein Kind schreit trotzdem? Ich glaube der erste Schritt ist, sich von dem (Ideal-) Bild verabschieden, dass Passung immer erreicht werden kann, alles gut ist, wenn ich nur das Richtige tue. So schön das auch wäre, es geht nicht ohne Missverständnisse und Frustration. Man kann es mindern, vermeiden kann man es nicht. Und es ist schwer zu erleben, dass man Alles tut und es trotzdem nicht richtig/genug scheint. Versuchen Sie also nicht dauerndes Wohlbefinden erzeugen zu wollen, erlauben Sie sich und dem Kind nicht einverstanden zu sein, unglücklich zu sein, ohne dass das die Beziehung belastet. Akzeptieren Sie, dass nicht Alles, was Sie gut meinen, auch so ankommt. Erleben (und glauben) Sie, dass Ihre Anwesenheit auch wichtig ist und gut tut, wenn Ihr Kind unruhig ist oder weint. Machen Sie es so gut Sie es können. Gelassenheit ist da ein Zauberwort. Winnicott sprach von der "hinreichend guten Mutter". In einer solchen Antwort ist das Problem der Passung nur allgemein zu formulieren. Sehen Sie es deshalb nicht als eine Beschreibung oder gar Beurteilung Ihrer Person oder Situation. Das ist auf diesem Informationsstand nicht möglich. Vielleicht ist trotzdem etwas Hilfreiches dabei, auch wenn es keine konkreten Tips sind. Dr.Ludger Nohr


cube

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Darf ich fragen, warum weinen und getragen werden wollen bzw. Körperkontakt oder Nähe der Eltern spüren wollen eine Regulationsstörung sind? Letztendlich beruhigt er sich abends doch nach 5.10 Min. in eurer Anwesenheit und schläft dann ein. Auch tagsüber scheint er doch beruhigt werden zu können durch tragen/Körperkontakt oder deine direkte Nähe. Die starke Körperspannung weist eher auf generelle Anspannung hin - auch nicht so ungewöhnlich für ein Baby, dass mit 7 Monaten immer mehr von seiner Umwelt mitbekommst und dementsprechend auch angespannt/aufgeregt sein kann. Wenn jedes Baby, dass nicht sofort und ohne quengeln einschläft und gerne Mama in der Nähe hat/getragen werden will eine Regulationsstörung hat, hätten vermutlich 80% der Babys eine. Sorry, wenn ich so harsch klinge - aber entweder ist die Situation bei euch "schlimmer" als beschrieben oder aber hier ist die Erwartungshaltung an einen Säugling zu hoch. Babys krabbeln zwischen dem 6. und 10. Lebensmonat - auch hier sehe ich nicht, warum er mit 7 Monaten unbedingt krabbeln oder robben können müsste. Er liegt doch noch voll im Schnitt. Es gibt auch Kinder, die überspringen diese Phase und laufen statt dessen später sofort. Evt. ist er auch gerade unzufrieden, weil er sich bewegen möchte, aber noch nicht raus hat, wie. Ihn animieren ist gut - ihn unter Druck setzen, dass er es doch langsam können müsste, eher kontraproduktiv. Nur mal so als Bspl.: unser Kind hat sich damals sehr früh gedreht - aber entgegen der Annahme/Erwartung, er müsse auch ganz früh krabbeln, hat er sich damit Zeit gelassen. Ist ewig lange gerobbt, kurz gekrabbelt und dann von heute auf morgen gelaufen. Und zwar ganz ohne den "üblichen" Zwischen-Schritt am Sofa oä hochziehen und daran entlang hangeln. Und auch abends konnte er trotz Einschlafstillen, Familienbett unruhig sein, schnell wieder aufwachen, weinen und dann erst nach nochmaligem streicheln, daneben legen etc einschlafen. Das hat dann auch deutlich länger als 5-10 Min. gedauert. Von e ner Regulationsstörung hat da aber keiner gesprochen. Nur von einem Baby, dass eben viele Eindrücke verarbeiten muss :-)


Avocadolove

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Erst einmal vielen Dank für die Antworten! Herr Dr. Nohr, herzlichen Dank auch für Ihre Einschätzung, auch wenn diese eher allgemein formuliert ist, kann ich etwas damit anfangen. Ich frage mich natürlich weiterhin, warum es bei uns offenbar so schwierig ist, eine Passung hinzubekommen und wie wir unseren Sohn besser in seinen Bedürfnissen wahrnehmen können. Auch habe ich Angst, dass sich dadurch eventuell dauerhaft schlechte Bedingungen für die Bindungsentwicklung ergeben. Gelassenheit in dieser Hinsicht wäre natürlich prima, aber das ist manchmal gar nicht so leicht, wenn man eben ein bestimmtes Ideal im Kopf hat, wie sie ja schon richtig bemerkt haben. Ich dachte eigentlich immer, dass ich echt eine gute Mutter mit einem entspannten Kind sein werde, aber so einfach ist das wohl nicht. @Cube: Vielleicht hast du mich falsch verstanden. Ich musste mich in der Frage ja recht kurz fassen. Also ich finde es absolut richtig, Babys viel zu tragen und auf alle Bedürfnisse so gut es geht einzugehen! Nur leider reicht ja selbst das Tragen bei uns teilweise nicht, so dass der Kleine auch auf dem Arm unruhig und unzufrieden ist. Die Regulationsstörung wurde diagnostiziert, da unser Sohn sehr reizoffen ist, schnell überdreht ist und dann nur sehr schlecht wieder runterkommt. Häufige Anspannung, motorische Unruhe, Quengeln seien dafür Anzeichen. Ich erlebe in meinem Bekanntenkreis und unter Müttern, die ich kennengelernt habe, viele Kinder, die weitaus entspannter sind. Ich habe da auch noch kein Kind kennengelernt, das so fordernd und überdreht ist, wie unser Sohn. War und bin ja auch in diversen Gruppen (Pekip, Babyschwimmen etc.) und da waren die Kinder auch zufriedener. Ich weiß, dass Kinder alle unterschiedlich sind, aber man macht sich ja doch so seine Gedanken, was bei einem selbst "falsch" läuft und ob man seinem Kind nicht helfen kann, zufriedener und entspannter die Welt zu entdecken. Ich hoffe, du verstehst unsere Situation jetzt besser.


cube

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Ja, das verstehe ich. Aber dennoch bin ich eher dabei zu sagen "Kinder sind unterschiedlich" :-) Ich glaube daher auch nicht, dass du etwas falsch machst. Manche Kinder sind nun mal empfänglicher für äußere Reize. Uns wurde schon bei der U2 im KH gesagt, dass unser Baby sehr aufmerksam wäre - was aber eben auch oft einher geht mit Unruhe, schneller Überreiztheit etc. Und ja, so war es auch. Unser Kind war auch schwerer zu beruhigen, zufrieden zu stellen als andere - zumindest hatte ich diesen Eindruck. Aber letztendlich sind das eben nur Momentaufnahmen. Dein Kind bekommt eben viele Reize mit beim Schwimmen etc und ist aufgedreht dadurch. Die "anderen" empfinden das vielleicht aber eben als nette Abwechslung, sind dort zufrieden, dafür aber zu Hause quengelig oder gelangweilt. Wie gesagt: unser Kind war als Baby auch so - von Regulationsstörung hat aber keiner gesprochen. Lediglich eben davon, dass er viel mitbekommt und ich deswegen auf Unruhe, Überreiztheit eingestellt sein sollte und für ausreichende Ruhephasen mit wenigen Einflüssen sorgen sollte. Ach ja - und das er wohl viel Körperkontakt benötigen würde, was sich auch bewahrheitete.


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