Frage im Expertenforum Entwicklung von Babys und Kindern besser verstehen an Dr. med. Rüdiger Posth:

Mitgefühl bei 4jährigen?

Dr. med. Rüdiger Posth

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Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

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Frage: Mitgefühl bei 4jährigen?

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Sehr geehrter Herr Dr. Posth, unser Sohn (4,5) zeigt manchmal ein seltsames Verhalten, wenn sich andere wehtun. Er lacht dann und zeigt richtiggehend Schadenfreude. Irgendwann hat das einmal ein anderes Kind im KiGa bei ihm gemacht, das fand er nicht schön und hatte davon erzählt. Aber seitdem macht er es ständig bei anderen. Er weint, wenn man es bei ihm macht. Wir haben ihm erklärt, dass das nicht schön ist für ein anderes Kind etc. Aber er macht immer weiter und wir fragen uns, ob er so garkein Mitgefühl zeigen kann. Ist das noch 'normal' in diesem Alter? Bei anderen Kindern sehe ich, dass sie entweder nichts machen oder auch weinen. Aber Schadenfreude darüber, dass sich andere weh tun habe ich bisher nur bei unserem Sohn gesehen. Wie soll man sich dann verhalten? Vielen Dank für Ihren Rat.


Dr. med. Rüdiger Posth

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Stichwort: Gewissensentwicklung Hallo, die Ursachen der Schadenfreude sind vielgestaltig. Sie lassen sich nicht von einmaligen Erlebnissen ableiten. Zunächst ist Schadenfreude kein Ausbleiben von Empathie. Der Mensch oder hier das Kind empfindet sehr genau "mit", was passiert, und weiß auch, wie er zu reagieren hat. Zwar ist mit 4 Jahren das Empathiegefühl noch nicht ganz tief in der Persönlichkeit verankert, aber es macht sich immer stärker bemerkbar im Sinne von Bedauern und erstem Schuldbewusstsein (obwohl nicht selbst verursacht!). Auf diese Weise bildet sich langsam das schlechte Gewissen heraus. Der entscheidende Schritt für die Verinnerlichung der Empfindungen als Wegbereiter für Wiedergutmachung und zukunftige Unterlassung ist die soziale Anerkennung für das eigene Handeln und später auch die Gesinnung zum Handeln. Ein Kind, dass diese Anerkennung nicht erhält und erleben muss, dass Bedauern und Schuldempfinden der Lächerlichkeit preisgegeben werden, verliert die richtigen Bezüge in sich selbst. Das erzeugt nun eine massive Irrtation im Selbstempfinden und erzeugt tiefe Scham. Zu starke Scham, und die Betonung liegt auf "zu stark", behindert aber die günstigen Entwicklungen der Gewissensbildung. Die eigene Verletzung wird dann auch schon vom Kind als "Waffe" gegen den Anderen benutzt, dem es gleichermaßen ergeht, wobei das eigene Selbst wieder ein Stück aufgewertet wird. Anders gesagt: das Erschrecken vor der eigenen Scham in der Tiefe der Seele bewirkt eine Blockadehaltung, die eigene emotionale Lage zu sehen und damit auch verarbeiten zu müssen. Zustande kommt ein "erlösendes" Gelächter. Das stille Gelächter dazu ist die Schadenfreude. Gegen die Schadenfreude sollte von den Erziehern wieder mit mahnender Einrede begenet werden. Die verdrängte Empathie muss gezielt neu herausgefordert werden und dessen Unterdrückung muss als negativ angesehen hingestellt werden. Die soziale Anerkennung liegt für das Kind dann nur in der Erfüllung der sozialen Norm, nämlich richtig zu reagieren. Viele Grüße


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