annemariez
Liebe Katrin, heute geschah zum 3. Mal, dass mich mein Mann angeschrien hat und uns - ich sitzend mit Tochter auf Schoss - ein Kinderbuch nachgeworfen hat. Die Kleine hat sofort angefangen zu weinen. Unsere Missstimmungen dauern seit Geburt. Soeben hat er ein neues Haus für uns gekauft, weil ich unbedingt neu anfangen wollte. Wenn ich über alles nachdenke, glaube ich nicht, dass es gut kommt. Dieses leise, bestimmte Gefühl hatte ich interessanterweise im Wochenbett. Mein Mann ist launisch. Er lässt mir wenig Raum, ihn langweilt so ziemlich alles. Warum er ein Haus gekauft hat, also einen Neustart wollte, weiss ich nicht. Wir haben eine Ehetherapie angefangen. Ich bin verzweifelt und sorge mich, va, dass unser Kind Schaden nimmt. Danke.
Liebe Annemariez Vielen Dank für Ihren Mut, dass Sie Ihr ganz persönliches Erleben mitteilen und Unterstützung suchen. Denn ja, Sie haben vollkommen Recht: die von Ihnen geschilderte Situation ist ganz klar ein Zeichen einer unkontrollierbaren und möglicherweise sich steigernden Gewaltbereitschaft. Aber ich sehe und lese auch Ihre Irritation, dass Ihr Mann sich augenscheinlich für eine Familie entscheidet und sie formell glücklich machen möchte. Trotzdem spüren Sie eine Intuition, die sich dagegenstellt, dass die Reaktionen Ihres Mannes innerhalb Ihrer Ehe/ Beziehung gesund sind. Und das bereits sehr früh. D.h. ich nehme an, dass das Buchwerfen eine Steigerung von Stressmomenten in Ihrer Beziehung waren?! Sie befinden sich in einer Paartherapie. Auch hier möchte ich Ihnen meine Achtung aussprechen, dass Sie die auftretenden Probleme so konstruktiv angehen und versuchen einen begleiteten Lösungsweg zu finden. Was die akute Situation betrifft: spüren Sie bitte in sich hinein, was Sie fühlen. Sie sind mutig und klar. Sie können durch räumlichen Abstand eine gesunde Distanz herstellen, die für alle zunächst eine gute Lösung ist, um Klärung in die Situation zu bringen. Insbesondere, da Ihr Partner offenbar wenig einsichtig ist und sein Verhalten als angemessen oder nicht übertrieben ansieht. Aus einer gewissen Distanz können Sie sich bewusst werden, was Sie belastet- fühlen vielleicht den Druck, sogar Angst, die das unkontrollierte Verhalten Ihres Mannes in Ihnen auslöst. Sie sind die Mutter Ihres Kindes. Selbst wenn Sie das Verhalten Ihres Mannes aushalten, verstehen oder sogar rechtfertigen könnten- ein Kind kann es nicht. Und sei es noch so klein. Bitte reflektieren Sie nicht, ob SIE eine Schuld tragen. Jetzt geht es erst einmal darum, dass Schlimmeres vermieden wird. Sie können sich vor Ort z.B. zunächst telefonisch über Beratungsnotrufe für Frauen einen erweiterten Rat einholen. Oder aber befragen Sie Ihre Therapeutin zu Hilfemaßnahmen. Desweiteren kann ein einfacher Auszug zur Familie oder Freunden ein weiterer Schritt sein. Wichtig ist, dass Sie weiterhin so sachlich und reflektiert bleiben. Bitte suchen Sie sich vor Ort Hilfe. Ich nehme an, dass in Ihrem Mann ein tiefes Problem, eine Verletzung... aufgewühlt wurde, seitdem Ihr Kind da ist. Vielleicht ist es so unterschwellig und lange vergessen, dass Ihr Mann diese Verletzung selbst überhaupt nicht zuordnen kann; geschweige sich daran erinnern. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie Ahnungen spüren. Sorgen Sie aber zunächst bitte für Ihr Kind und sich und folgen Ihrem Impuls der Schutzsuche. Bitte melden Sie sich! Ich bin immer für Sie da! Bleiben Sie stark und viele Grüße von Katrin
Sonja_H.
Ich persönlich würde diese Beziehung sofort beenden. Gewalt ist unentschultbar und wird nicht einfach verschwinden sondern sich wahrscheinlich eher ausbauen. Vor allem: Die Zeiten werden ja nicht einfacher. Was tut er denn dann wenn dein Kind in der Autonomiephase ist? Such dir professionelle Hilfe, geh in ein Frauenhaus - es gibt viele Möglichkeiten. Dein Kind ist auf deinen Schutz angewiesen. Ich wünsche dir vom Herzen alles Gute!!
annemariez
Hallo Sonja, danke für Deine Mitteilung. Ich habe soeben mit meinem Mann gesprochen. Er sieht nichts ein, auch die verbale Gewalt und das Werfen des Gegenstandes in unsere Richtung, was ja bereits eine Eskalationsstufe weiter ist als ‚nur‘ böse Worte. Das ist alarmierend.
Sonja_H.
Das sehe ich ganz genauso, weil es (auch wenn es das nicht rechtfertigen würde) scheinbar nicht mal im Affekt war. Hast du jemanden an den du dich wenden kannst? Bei uns in Österreich gibt es verschiedene Anlaufstellen, hast du dir das mal für Deutschland rausgesucht?
annemariez
Liebe Katrin, danke herzlich für die sehr durchdachte und sorgfältig geschriebene Antwort. Mein Mann und ich haben heute nochmals geredet. Er sagte nun, dass er überfordert sei mit der Betreuung des Kindes und mich entlasten müssen. Er war erschöpft. Dieses Erschöpftsein geht offenbar einher mit Missmut, welchen er stundenlang an den Tag legt, verändert ist und ich gerne Zugang zu ihm möchte, Herzlichkeit und Beziehung. Er kann das dann nicht geben. Er wirkt abweisend. Das gibt er auch zu. Ich werde unterdessen aggressiv und frage immer wieder nach, was das soll. So eskaliert es schlussendlich. Meine Worte / Angriffe enden in seiner Tätlickeit aus Übermüdung und letzten Ausweg. Ich sagte ihm, das dürfe nie und nimmer vor dem Kind ausgetragen werden. Er sagte, das möchte er mit unserem Ehe-Therapeuten weiter anschauen. Ich bin gespannt. Meine Frage ist, wie kommen wir aus der Falle: er mauert, will Ruhe, braucht Abstand und ich kann das fast nicht aushalten, denn manchmal geschieht das einfach so. Ja gut, er sagt, jeder Mensch sei müde, daran sei nichts ungewöhnlich. Für mich eben doch. Er klinkt sich aus. Lieber möchte ich, dass er sagt: hey, hier nimm das Kind, ich mag nicht mehr. Das könnte ich verstehen. Er das Difffuse hängt da in der Luft. Vielleicht muss ich noch erwähnen, er hatte vor 2 Jahren, ziemlich genau während meiner SS einen Darmkrebs und musste etliche Chemo - und Strahlentherapien über sich ergehen lassen. Noch gilt er nicht als geheilt aber bis jetzt sind alle Resultate gottseidank ok. Ich lieb(t)e ihn und möchte Familie sein. Aber ich brauche im Emotionalen Verlässlichkeit. Ich bin nicht die Coolste, die damit umgehen kann und ihn ermutigen - das wünscht er von mir. Er sagt, er möchte quasi keine Schwäche zeigen und seinen Part gut machen und zum Kind schauen ohne mich um Hilfe zu bitten, wenn er dran ist und eingestehen, dass er es nicht mehr schafft. Mir half dieses Gespräch. Aber trotzdem. Er muss sich ändern, ich will keine Gewalt mit geschmissenen Kinderbüchern... Vielleicht kannst Du zu diesen Sachen noch etwas sagen ? Vielleicht erscheint es in neuem Licht, vielleicht auch nicht... Danke herzlich.
Liebe Annemariez Vielen Dank nochmals für Deine Zeilen und das Berichten Eurer Geschichte. Ich habe unmittelbar ein Bild vor Augen, welches zwei sich Liebende zeigt, die einander wollen und wissen einfach nicht wie. Es ist spürbar, dass nicht aufgeben möchtet und gemeinsam weitergehen.... mit Eurem Kind, in Frieden und Liebe. Das, was ich aus Deinen Zeilen ebenso herauslese, ist die Verzweifelung und- dass, Du eine Grenze spürst, die Du nicht mehr übertreten möchtest und ebenso beginnst eine Mauer zu bauen. Ich glaube, ihr seid beide erschöpft. Müde und an einem Punkt, wo ihr Kraft benötigt. Euch wieder fühlen könnt, was ein derzeitges Funktionieren, offenbar gar nicht zulässt. Vielleicht lebt ihr durch Eure unterschiedliche Tagesstruktur in zwei Welten. Berufstätigkeit vs. Haushalt und Kind und die daraus resultierenden unterschiedlichen Bedürfnisse und Ansprüche prallen aufeinander. Du kannst Deine Bedürfnisse sehr gut und klar formulieren und Dein Mann, so empfinde ich, ebenso. Dieses ist eine Botschaft, die Euch beiden ganz klar eine Chance bietet, eine Verhaltensänderung zu lernen. Bindet die Eheberaterin genauso mit ein. Signalworte, die als ein STOP gedeutet werden können, ein Rausgehen aus der Situation verbal oder sogar räumlich, eine Ankommenszeit ohne Bedürfnisankündigung von Euch beiden nach einem langen Tag usw. Es gibt Möglichkeiten, sich einen Freiraum zu geben. Dies kann sich auf Eurer Zweibeziehung z.B. in der Kommunikation beziehen. Genauso kann Freiraum bedeutet, sich über eigene Interessen oder auch Entlastung z.B. im Haushalt, durch einen Babysitter o.ä. die Chance zu geben, sich zu nähern. Vielleicht wäre ein ganz neues Ritual für Euch als Familie schön. Schaut, ob ihr ggf. zunächst gemeinsam einen Spaziergang macht. Bewegung, Laufen...vielleicht sprechen, vielleicht nicht. Aber ihr kommt gemeinsam heim und hattet bereits eine geimsame Familienzeit :). Desweiteren kann die derzeitige Coronakrise gesundheitliche Ängte, Existensängste, Lebensängste... antriggern, die Dein Mann vielleicht spürt, aber eben nicht zuordnen kann. Diese hohe Anspannung und Gedanken "Was wäre wenn..." lassen ihn ggf. überreagieren. Viellleicht spürt Dein Mann derzeit auch, dass z.B. beruflich an einen Punkt gekommen ist, der ihn unzufrieden macht, sich aber beengt und gebremst fühlt, weil er sich in einer hohen Verantwortung seiner kleinen Familie gegenüber befindet. Das Leben stellt sich für Deinen Mann quasi auf den Kopf- es wirkt wie einbetoniert, statt im Fluß und voller Möglichkeiten. Könnte dies sein? Vielleicht möchte er eigentlich etwas ganz anderes, als das Haus, was er gekauft hat... frag ihn, wovon er wirklich träumt. Vielleicht gelingt es Euch, einen kleinen oder sogar großen Wunsch derzeit irgendwie zu verwirklichen. Etwas, was in Euch eine Sehnsucht auslöst, der ihr gemeinsam folgen könnt. Überdenkt ggf. Euer Lebensmodell. Ihr gestaltet Euer Leben, Eure Beziehung und dies kann voller Kreativität sein :). Wenn Du Deinem Mann Deine Empfindungen mitteilst, so versuche sie aus Deinem Gefühl heraus zu formulieren. Nicht: Du machst mir Angst, wenn Du mit Büchern wirfst.... Sondern: Ich fühle mich sehr ängstlich und bedroht, wenn Du mit Büchern wirfst... Was denkst Du, wie fühlst DU Dich? Ich glaube fest daran, dass Ihr es schaffen könnt! Bis bald und liebe Grüße von Katrin