Lieber Herr Dr. Paulus,
im Moment befinde ich mich wegen einer schweren Depression und nach einem Nervenzusammenbruch in einer Klinik.
Nun möchten mir die Ärzte Escitalopram in Tropfenform verordnen, das langsam von 2 mg auf 10 mg gesteigert werden soll.
Ich habe aber große Angst, dass dies Auswirkungen auf die Gesundheit meines ungeborenen Kindes hat. Ich bin derzeit in der 22. Woche schwanger.
Zudem möchte ich auf jeden Fall nach der Geburt stillen.
Ich hoffe Sie können mir weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
MrsLadyBird
von
MrsLadyBird
am 22.09.2017, 21:34
Antwort auf:
Escitalopram wegen schwerer Depression
Bei Escitalopram handelt es sich um das linksdrehende Enantiomer von Citalopram.
Bis Dezember 2004 dokumentierte das Swedish Medical Birth Registry 6.555 Kinder nach intrauteriner Exposition mit SSRI in der Frühschwangerschaft. Die kumulierte Fehlbildungsrate lag bei 4,1%, was dem erwarteten Hintergrundrisiko entspricht. Dabei wurde kein typisches Fehlbildungsmuster beobachtet. In diesem Kollektiv sind 2.701 Kinder nach mütterlicher Medikation mit Citalopram enthalten. Die Fehlbildungsrate gab mit 4,4% keinen Anlass zur Beunruhigung (Kallen & Otterblad Olausson 2007).
Nach vorgeburtlicher SSRI-Medikation wurden bei Neugeborenen in einigen Fällen vorübergehende Anpassungsstörungen wie Zittrigkeit, Übererregbarkeit und erhöhter Muskeltonus beobachtet. Daher sollte in den ersten Lebenstagen auf entsprechende Symptome geachtet werden.
Bei Bedarf wäre die Fortsetzung der Medikation mit Escitalopram in der Schwangerschaft durchaus vertretbar. Bei moderater Tagesdosis (5 – 10 mg) wären auch keine gravierenden Anpassungsstörungen beim Kind nach Geburt zu befürchten.
Eine neuere Übersichtsarbeit sieht – wenn überhaupt – allenfalls ein geringes Risiko von weniger als 1% für die Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie des Feten bei mütterlicher Therapie mit SSRI in der zweiten Schwangerschaftshälfte. Ein Verzicht auf eine erforderliche Behandlung der Mutter in der Spätschwangerschaft erscheint daher nicht sinnvoll ('t Jong et al 2012).
Unter einer Tagesdosis von 10 bis 20 mg wurde bei acht stillenden Müttern ein Übergang des Wirkstoffes Escitalopram bzw. seines Metaboliten Desmethylcitalopram auf den Säugling in einer Größenordnung von 3,9% bzw. 1,7% der mütterlichen Dosis registriert. Damit lag die kindliche Belastung um ca. 40% niedriger als bei vergleichbarer mütterlicher Behandlung mit Citalopram. Die acht Kinder entwickelten sich bei mütterlicher Therapie zwischen 23 und 240 Tagen unauffällig (Rampono et al 2006).
Eine Mutter stillte ihren Säugling unter täglicher Einnahme von Escitalopram 20 mg und Reboxetin 4 mg. Die über 24 Stunden gesammelten Milchproben ergaben eine gewichtsadaptierte kindliche Exposition Dosis von 4,6% der mütterlichen Dosis. Der Säugling wies im Alter von 9 ½ Monaten eine normale Entwicklung bezüglich Gewicht und neurologischem Status auf (Hackett et al 2006).
Einer stillenden Mutter wurde wegen beginnender Depression drei Wochen nach der Geburt zunächst 10 mg Escitalopram, später 20 mg pro Tag verabreicht. Im Alter von 4 Monaten wurde der Säugling wegen Übererregbarkeit, Erbrechen und Fieber in die Kinderklinik eingewiesen. Die Mutter gab anhaltendes Schreien bereits in den drei vorangegangenen Monaten und eine Gewichtszunahme von lediglich 400 g nach der Geburt an. Laborchemisch stellte man einen moderaten Anstieg der Leberenzyme fest. Nach Reduktion der Stillmahlzeiten normalisierte sich das Befinden des Säuglings sowie der Laborwerte. Die Autoren sehen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der mütterlichen Einnahme von Escitalopram und den kindlichen Beschwerden (Merlob 2005).
Eine andere Kasuistik beschreibt eine unauffällige kindliche Entwicklung unter mütterlicher Therapie mit Escitalopram 20 mg pro Tag ab dem 15. Tag nach Geburt. Die kinderärztliche Untersuchung im Alter von drei Monaten ergab keine Auffälligkeiten des voll gestillten Säuglings (Gentile 2006).
Nach mütterlicher Therapie mit Escitalopram 20 mg pro Tag während Schwangerschaft und Stillzeit wurde ein Säugling im Alter von 5 Tagen wegen nekrotisierender Enterocolitis in die Kinderklinik aufgenommen. Die Autoren sehen einen Zusammenhang mit der Beeinflussung der Thrombozytenaggregation durch Escitalopram (Potts et al 2007).
Eine Kasuistik berichtet von einem übererregbaren Säugling, der jeweils zwei Stunden nach dem Anlegen (5 bis 6 Stunden nach mütterlicher Einnahme von Escitalopram) schrill schrie. Bei Veränderung des Einnahmezeitpunktes verschob sich auch der Zeitraum der Schreiphase um denselben Zeitabstand. Die kindlichen Symptome verschwanden mit zunehmendem Ersatz der Stillmahlzeit durch Flaschennahrung (Schaefer et al 2009).
Grundsätzlich ist die Gabe von Escitalopram in möglichst moderater Dosis durchaus mit dem Stillen vereinbar.
Zur detaillierteren Abklärung können Sie bzw. Ihre betreuenden Ärzte uns bei Bedarf auch gerne kurzfristig über unsere Beratungsstelle kontaktieren. Für entsprechende Beratungen stehen wir werktags zwischen 8 und 18 Uhr gebührenfrei zur Verfügung:
Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie
Universitätsfrauenklinik Ulm
Prittwitzstr. 43
89075 Ulm
Telefon: (0731) 500 - 58655
Telefax: (0731) 500 - 58656
E-Mail: paulus@reprotox.de
Anfrageformular: http://www.reprotox.de
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 25.09.2017
Antwort auf:
Escitalopram wegen schwerer Depression
Hallo MrsLadyBird,
da es derzeit sehr lange dauert bis Dr. Paulus antwortet, wollte ich dir zumindest einen Rat geben.
Schau mal auf die Seite von embryotox.de Dort sitzen die Experten wenn es um Medikamente in der Schwangerschaft geht. Du kannst dort auch anrufen und persönlich mit denen sprechen.
Alles erdenklich Gute und viele Grüße!
von
excellence2
am 23.09.2017, 10:34