Beide Kinder Hüftgelenksdysplasie

Dr. med. Jan Matussek Frage an Dr. med. Jan Matussek Chefarzt für Kinderorthopädie und Kindertraumatologie am Klinikum Emil van Behring, Berlin

Frage: Beide Kinder Hüftgelenksdysplasie

Sehr geehrter Herr Dr. Matussek,   ich habe eine Frage bezüglich der Hüftgelenksdysplasien meiner Kinder. Meine Tochter (aktuell 28 Monate alt) hatte eine beidseitige Hüftgelenksdysplasie (Alphawinkel rechts 59 Grad, links 52 Grad), sie trug bis zum Ende des 3. Lebensmonats eine Tübinger Hüftschiene, bei der Kontrolluntersuchung in der Kinderorthopädie der Uniklinik Marburg (bin selbst pädiatrische Kollegin) betrug der Alphawinkel rechts 68 Grad, links 64 Grad, Betawinkel war rechts 55 und links 56 Grad. Uns wurde gesagt, dass wir die Schiene sofort komplett ablassen sollen. Nun habe ich neu gelesen, dass eine Abschulung erfolgen soll und die Schiene also noch ca. 4 Wochen nachts getragen werden soll. Welche Vorgehensweise ist denn nun die richtige? Unsere Tochter wurde mit 18 Monaten noch geröntgt, die Untersuchung war unauffällig. Besteht noch Gefahr, dass sich der Befund wieder verschlechtert? Mir fällt auf, dass sie einen extremen Innenrotationsgang hat, sie stolpert draußen mit Schuhen oft über die eigenen Füße. Die Hüfte scheint mir stark innenrotiert und sie setzt die Beine mehr aus den Knien nach vorne statt aus der Hüfte. Hat das etwas mit der Hüftgelenksdysplasie zu tun oder ist das davon unabhängig?  Mein Sohn (aktuell 14 Tage alt), hat auch eine Hüftgelenksdysplasie (Alphawinkel rechts 58 Grad, links 57 Grad). Natürlich möchte ich bei ihm jetzt nicht den Fehler mit der Abschulung wiederholen. Kann man denn sagen wie lange eine Behandlung bei den im Vergleich zu meiner Tochter nur wenig schlechten Werten dauern würde? Ich danke Ihnen sehr für Ihre Antwort.  J.T.

von Julia S am 19.07.2022, 00:48



Antwort auf: Beide Kinder Hüftgelenksdysplasie

Liebe Kollegin; Ihre Tochter scheint Ihren Angaben nach einen guten Nachreifungsverlauf gehabt zu haben. Unabhängig davon scheint der IR-Gang zu sein: Er spricht für eine noch bestehende (normvariante) vermehrte Antetorsion des Schenkelhalses im Verhältnis zur Femurcondylenebene ; dies ist in diesem Alter nicht unbedingt krankhaft zu werten, sondern liegt in der Breite der normalen Entwicklungsverläufe: Also, jetzt ersteinmal keine Sorgen machen. Übrigens: Mädchen neigen ehedem zu mehr IR beim Gehen , als Jungs in jungen Lebensaltern unter 5 Jahren.  Der IR-Gang nimmt mit der Kraft der Muskulatur um die Hüften herum soundso ab: Je stärker der große Gesäßmuskel (M.gluteus max. ) , desto mehr AR-Gang. Und das wird durch Laufen trainiert: Also !: Kinder sollen zu viel Bewegung animiert werden, klettern, kindgerechter Sport....zu viel Sitzen in "Sitzgeräten" (Stühlen, Buggies, Autos, Fahrradanhängern) vermeiden. Bei F. Niethardt (Kinderorthobuch) kann man gut Entwicklungskurven der Hüftdrehung über die ersten 8-10 Lj. nachschlagen. Zu Ihrem Neugeborenen (herzlichen Glückwunsch!): Das was Sie an Sono-Winkeln beschrieben haben, entspricht keiner Hüftdysplasie im Sinne der Definition von R.Graf, sondern lediglich einer physiologischen REIFUNGSVERZÖGERUNG: Nach den bekannten Reifungskurven der Hüftverknöcherung und Entwicklung der Alpha-Sonowinkel gibt es keinen Grund, jetzt nervös zu werden: Bei der U3 müssen die Sonowinkel ggü. den aktuellen Werten "gebessert" sein, um dann bei der U4 (12.Lw) deutlich über 60° (Alphawinkel) zu liegen.  Fall 1: Mit der U3 sind die Alphawinkel schlechter als die angegebenen: Dann wird die Hüfte als IIa(-) bezeichnet und mit Spreizhose behandelt. Fall 2: Bei der U3 sind die Winkel näher an 60°: Weiter Reifung beobachten ohne Abspreizschiene. Fall 3: Bei der U3 sind die Alphawinkel bereits über 60°: Nichts tun und Kind bespaßen. Aktuell ist der Hüfttyp Ihres Kindes : Beids IIa n. Graf und "normal" im Reifungsbereich.   Herzliche Grüße   Ihr   JM   

von Dr. J. Matussek am 24.07.2022