Sehr geehrter Herr Dr. Paulus,
Ich nehme seit 10 Jahren Antidepressiva, zunächst Citalopram in Tablettenform, seit ein paar Jahren Ecitalopram als Tropfen. Ich habe eine 3jährige Tochter und einen 6 Monate alten Sohn und habe das Medikament durchgehend in Schwangerschaft und Stillzeit bei beiden Kindern genommen.
Aktuell still ich noch voll und nehme jeden Morgen 6 Tropfen (12mg) Ecitalopram. Leider geht es mir seit Wochen zunehmend schlechter, ich fühle mich überlastet, überfordert und am Ende meiner Kräfte. Ich bin häufig aggressiv und depressiv, möchte das Medikament jedoch wegen dem Stillen nicht erhöhen.
Bis zu welcher Dosierung ist in der Stillzeit vertretbar, bzw. würde es sich lohnen auf ein anderes Medikament umzusteigen?
Vielen Dank für ihre Antwort. Mit freundlichen Grüßen
U.M.
von
ulbamu
am 07.05.2021, 15:11
Antwort auf:
Antidepressiva Stillzeit
Unter einer Tagesdosis von 10 bis 20 mg wurde bei acht stillenden Müttern ein Übergang des Wirkstoffes Escitalopram bzw. seines Metaboliten Desmethylcitalopram auf den Säugling in einer Größenordnung von 3,9% bzw. 1,7% der mütterlichen Dosis registriert. Damit lag die kindliche Belastung um ca. 40% niedriger als bei vergleichbarer mütterlicher Behandlung mit Citalopram. Die acht Kinder entwickelten sich bei mütterlicher Therapie zwischen 23 und 240 Tagen unauffällig. Sie erreichten bei Beurteilung nach der Denver Developmental Scale einen Wert von 110% (Rampono et al 2006).
Eine Kasuistik beschreibt eine mütterliche Monotherapie zunächst mit 5 mg Escitalopram, danach mit 10 mg Escitalopram und zusätzlich Valproinsäure 1200 mg. Daraus errechnete sich eine gewichtsadaptierte Belastung des Säuglings mit 5,1% bzw. 7,7% der mütterlichen Dosis. Der Säugling entwickelte sich bei Kontrollen bis zu einem Alter von 7 ½ Wochen unauffällig (Castberg et al 2006).
Eine Mutter stillte Ihren Säugling unter täglicher Einnahme von Escitalopram 20 mg und Reboxetin 4 mg. Die über 24 Stunden gesammelten Milchproben ergaben eine gewichtsadaptierte kindliche Exposition Dosis von 4,6% der mütterlichen Dosis. Der Säugling wies im Alter von 9 ½ Monaten eine normale Entwicklung bezüglich Gewicht und neurologischem Status auf (Hackett et al 2006).
Einer stillenden Mutter wurde wegen beginnender Depression drei Wochen nach der Geburt zunächst 10 mg Escitalopram, später 20 mg pro Tag verabreicht. Im Alter von 4 Monaten wurde der Säugling wegen Übererregbarkeit, Erbrechen und Fieber in die Kinderklinik eingewiesen. Die Mutter gab anhaltendes Schreien bereits in den drei vorangegangenen Monaten und eine Gewichtszunahme von lediglich 400 g nach der Geburt an. Laborchemisch stellte man einen moderaten Anstieg der Leberenzyme fest. Nach Reduktion der Stillmahlzeiten normalisierte sich das Befinden des Säuglings sowie der Laborwerte. Die Autoren sehen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der mütterlichen Einnahme von Escitalopram und den kindlichen Beschwerden (Merlob 2005).
Eine andere Kasuistik beschreibt eine unauffällige kindliche Entwicklung unter mütterlicher Therapie mit Escitalopram 20 mg/d ab dem 15. Tag nach Geburt. Die kinderärztliche Untersuchung im Alter von drei Monaten ergab keine Auffälligkeiten des voll gestillten Säuglings (Gentile 2006).
Nach mütterlicher Therapie mit Escitalopram 20 mg/d während Schwangerschaft und Stillzeit wurde ein Säugling im Alter von 5 Tagen wegen nekrotisierender Enterocolitis in die Kinderklinik aufgenommen. Die Autoren sehen einen Zusammenhang mit der Beeinflussung der Thrombozytenaggregation durch Escitalopram (Potts et al 2007).
Eine Kasuistik berichtet von einem übererregbaren Säugling, der jeweils zwei Stunden nach dem Anlegen (5 bis 6 Stunden nach mütterlicher Einnahme von Escitalopram) schrill schrie. Bei Veränderung des Einnahmezeitpunktes verschob sich auch der Zeitraum der Schreiphase um denselben Zeitabstand. Die kindlichen Symptome verschwanden mit zunehmendem Ersatz der Stillmahlzeit durch Flaschennahrung (Schaefer et al 2009).
Sollten Sie eine höhere Dosis (z. B. 20 mg Escitalopram) benötigen, wäre – wie oben beschrieben – auf mögliche kindliche Symptome zu achten (z. B. Übererregbarkeit, Schreien, Erbrechen, Trinkschwäche etc.). Dann wäre es ggf. sinnvoll, einen Facharzt wegen eventueller Umstellung der Medikation zu kontaktieren.
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 11.05.2021