Sabine.K.L
Guten Tag Herr Dr. Gagsteiger, nach fehlgeschlagener ICSI-Behandlung hat man mir HGH nahegelegt. Ich soll 1ml/Tag für 12 Tage nehmen und danach wiederholen. Also 2 Pens. Jetzt lese ich geteilete Meinungen. Auch die Nebenwirkungen sind nicht ohne. Vergrößerte Organe, irreversibel, und andere schwere NW. Meine Ärztin meint, dafür wäre die Dosis zu niedrig und ich mich keine Gedanke machen solle. Es wäre jedoch wichtig/hilfreich zu nehmen. Daher wende ich mich an Sie, um Ihre Meinung hierzu zu erfahren. Herzlichen Dank Ihnen.
Guten Morgen, ich kann Ihnen die aktuelle Studien- und Leitlinienlage erläutern, ersetze aber nicht das persönliche Beratungsgespräch mit Ihrer Reproduktionsmedizinerin. Worum es bei Wachstumshormon (GH, „HGH“) in der IVF/ICSI geht: Die Idee ist, über IGF-1-vermittelte Effekte die Follikelreifung, die Eizell- und Embryoqualität sowie eventuell auch die Endometriumreaktion zu verbessern. Mehrere Metaanalysen – zuletzt ein Netzwerk-Vergleich aus Anfang 2025 – zeigen bei sogenannten „Poor-Responderinnen“ einen leichten, statistisch nachweisbaren Zugewinn an reifen Eizellen und eine etwas bessere klinische Schwangerschaftsrate; für die Lebendgeburt ist der Vorteil jedoch unklar, und die Evidenzqualität wird insgesamt nur als moderat bis niedrig eingestuft. Was die aktuelle Leitlinie dazu sagt: Die ESHRE-Leitlinie „Ovarian Stimulation – Update 2025“ empfiehlt das Hinzufügen von GH ausdrücklich weder für normale noch für niedrige Responderinnen und auch nicht für Patientinnen mit PCOS. Die Empfehlung ist „stark“ und beruht auf sehr niedriger Evidenz – ein klares Zeichen dafür, dass der Nutzen nicht als belegt gilt. Ihre geplante Dosis einordnen: „1 ml täglich über 12 Tage“ klingt viel, der tatsächliche Wirkstoffgehalt hängt aber vom Pen ab. Ein häufig verwendeter Pen (z. B. Norditropin 10 mg/1,5 ml) enthält rund 6,7 mg Somatropin pro Milliliter; pro Hub lassen sich dort maximal 4 mg injizieren. Klären Sie daher unbedingt, welches Präparat und welche international-Einheiten (IU) oder Milligramm pro Tag gemeint sind. Kurzfristige, erwartbare Nebenwirkungen: Am häufigsten treten Wassereinlagerungen an Händen und Füßen, Gelenk- oder Muskelschmerzen sowie leichte Kopfschmerzen auf. Diese Effekte verschwinden gewöhnlich nach Dosisreduktion oder Absetzen rasch wieder. Selten kommt es zu vorübergehend erhöhtem Blutzucker oder leichtem Blutdruckanstieg, weshalb ein Screening bei entsprechender Veranlagung sinnvoll ist. Langzeit- und Hochdosisrisiken: Irreversible Organ- und Knochenvergrößerungen (Akromegalie) entstehen nach heutigem Wissen nur bei jahrelanger, deutlich höherer Überdosierung von GH oder bei endogenem Überschuss. In den kurzen 10- bis 14-tägigen IVF-Protokollen wurde ein solches Bild bislang nicht beobachtet; ein Rest-Unsicherheitsbereich bleibt allerdings, weil Langzeit-Nachbeobachtungen über viele Jahre fehlen. Kosten-/Nutzen-Überlegung: Ein Pen kostet – je nach Präparat und Dosierung – mehrere Hundert bis über Tausend Euro; zwei Pens liegen also fast immer im vierstelligen Bereich und werden in Deutschland nur in Ausnahmen erstattet. Dem gegenüber steht ein möglicher, aber nicht gesicherter Nutzen, der sich praktisch nur bei Patientinnen mit nachgewiesen schlechtem Ansprechen (Bologna- oder POSEIDON-Kriterien) gezeigt hat. Pragmatische Entscheidungshilfen für Ihr Arztgespräch: Fragen Sie, ob Sie formal als Poor-Responderin eingestuft sind und wie hoch die Erfolgsrate Ihrer Klinik mit versus ohne GH bei diesem Profil ist. Lassen Sie sich schriftlich erklären, welche Nebenwirkungen in den bisherigen GH-Zyklen der Praxis tatsächlich aufgetreten sind und wie sie überwacht werden (z. B. Gewicht, Glukose, Blutdruck). Diskutieren Sie kostengünstigere oder leitlinienkonforme Alternativen wie Protokoll- oder Trigger-Anpassungen, mildes Androgen-Priming oder antioxidative Supplemente. Holen Sie, falls Sie unsicher sind, eine Zweitmeinung in einem Zentrum ein, das bewusst ohne GH arbeitet; das schafft oft mehr Klarheit als jede Literaturdiskussion. Unterm Strich: Ein 12-tägiger GH-Kurzzyklus gilt kurzzeitig als weitgehend sicher, aber der Nutzen ist – selbst bei Poor-Respondern – nur schwach belegt, und die Leitlinie 2025 rät derzeit davon ab. Entscheiden Sie deshalb nach gründlicher Aufklärung über Chancen, Risiken und Kosten, ob der mögliche Vorteil Ihnen den Einsatz wert ist. Viel Erfolg! Herzliche Grüße, Friedrich Gagsteiger
Sabine.K.L
Herzlichen Dank für diese ausführiche Information.
Sehr gerne.