Was tun bei Trotzanfällen, die üblichen Vorschläge funktionieren nicht.

Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Frage an Dipl.-Soz.päd Sylvia Ubbens Diplom Sozialpädagogin

Frage: Was tun bei Trotzanfällen, die üblichen Vorschläge funktionieren nicht.

Sehr geehrte Expertin, meine Tochter (2 Jahre und 10 Monate) hatte schon immer einen eigenen Kopf, was ich prinzipiell auch gut finde - leider nicht gerade einfach. Beim Anziehen, Zähne putzen, Haare machen musste ich sie schon immer "einfangen", aber hatte ich sie, hat es auch funktioniert. Seit mehreren Wochen jedoch (es gab keine einschneidenden Ereignisse oder Änderungen, KiGa steht noch bevor, Urlaub ist schon länger her) sind die Trotzanfälle massiv. Sie lässt sich in eine Badezimmerecke fallen, macht sich "schwer", sodass ich sie nicht aufheben kann, und schreit und weint, als würde gleich etwas schlimmes geschehen, dabei wurde und wird in unserem Hause definitiv nie Gewalt angewendet. Die üblichen Lösungen klappen nicht: sie möchte gerne den ganzen Tag im Schlafanzug bleiben, das finde ich aber unmöglich. Es würde sie auch nicht stören, wenn sie so raus müsste. Ich möchte meiner Tochter nicht sagen, dass ich dann ohne sie z.B. einkaufen fahre, denn ich würde sie nie alleine lassen und das sollte sie auch nicht befürchten müssen, wie ich finde. Zähne nicht putzen ist keine Option, da es schon Karies-Probleme gab. Mit Zahnarzt drohen halte ich daher auch für kontraproduktiv. Süßigkeiten-Entzug androhen interessiert sie in diesem Moment auch nicht, schlimme Kariesbilder aus dem Internet betrachtet sie nur interessiert aber ohne Graus. Meistens ziehe ich sie dann unter Protest und vom hysterischem Geschrei und Weinen begleitet hoch und mache einfach, respektvoll ist aber was anderes. Oft schimpfe ich auch und werde laut, auch nicht wirklich souverän. Ich sagte ihr auch schon mal, wenn sie so in der Ecke liegt, dass ich jetzt wütend bin und einfach ins andere Zimmer muss. Das tu ich dann auch und sie kommt nach einiger Zeit zu mir. Will ich aber wieder anfangen mit der Morgen- oder Abendroutine, geht das Spiel von vorne los. Wenn ich sie mal soweit habe, dass sie steht und nicht schreit, macht sie auch mit, aber das ist 2-mal täglich eine Geduldsprobe für mich und sehr nervenaufreibend. Die Laune meiner Tochter erholt sich sehr schnell wieder und sie fragt mich dann immer mit was wissenschaftlichem Interesse, ob ich denn traurig oder enttäuscht sei. Nun ja, das bin ich, aber das scheint sie nicht weiter zu stören. Wenn ich später die angedrohten Strafen durchsetze, wie keine Süßigkeiten oder keine Zeit mehr für eine Geschichte, weil eben zu lange im Bad gekämpft, dann ist sie schon traurig oder wütend und verspricht, beim nächsten Mal alles brav mitzumachen, aber egal ob ich nun hart geblieben oder ihren Versprechen geglaubt habe (habe ich auch mal ausprobiert), beim nächsten Mal war immer das gleiche Theater. Ich hätte es ganz gerne so: ich sage, Schatz, komm bitte zu mir, wir putzen jetzt die Zähne oder ähnliches und sie kommt einfach. Das habe ich ihr auch schon erklärt, wie ich es mir vorstelle, ergebnislos. Auch miteinbeziehen - welche Hose möchtest du lieber anziehen? - oder selber machen lassen - putz zuerst du und dann ich - hilft nichts, sie kommt einfach nicht. Gibt es etwas, das ich noch nicht ausprobiert habe?

von Okt.baby am 29.08.2018, 09:56



Antwort auf: Was tun bei Trotzanfällen, die üblichen Vorschläge funktionieren nicht.

Liebe Okt.baby, Ihre Tochter hat gemerkt, dass die üblichen Spielchen nicht mehr funktionieren. Sie machen ihr keinen Spaß mehr, da am Ende doch Sie als Mama gewinnen (Einfangen und dann doch Zähne putzen usw.). Jetzt probiert sie auf andere Weise, ihren Kopf durchzusetzen. Nun liegt es an Ihnen, ob Sie mitspielen oder eben nicht. Probieren Sie ein ganz anderes Vorgehen aus: Ihre Tochter steht morgens auf, Sie nehmen sie an die Hand und gehen direkt mit ihr ins Bad. Vorher wird nicht gespielt, nicht gefrühstückt ... . Wie verhält sich Ihre Tochter, wenn der Papa mit ihr Zähne putzen geht? Ist es eine Option, dass er diese Aufgabe für ein paar Tage übernimmt? Verlassen Sie gerne weiterhin die Situation und lassen Ihre Tochter für einen Moment allein. "Ich möchte mir dein Geschrei nicht weiter anhören und gehe in die Küche." Ihre Tochter hat nun jederzeit die Option, zu Ihnen zu kommen und Sie können erneut mit ihr ins Bad gehen. Wieder Geschrei, dann gehen Sie wieder. Ihre Tochter wird nicht ewig Lust auf diese Spielchen haben. Wenn das Zähne putzen und Anziehen erst einmal ein paar Tage ohne Protest funktioniert hat, wird auch Ihre Tochter merken, dass es viel angenehmer ist, gleich beim ersten Mal ohne Geschrei mitzuarbeiten. Viele Grüße Sylvia

von Sylvia Ubbens am 31.08.2018



Antwort auf: Was tun bei Trotzanfällen, die üblichen Vorschläge funktionieren nicht.

Wenn alles ausgeschöpft ist und die Nerven blank liegen, hilft manchmal ein "Reframing". Das heißt, man geht noch einmal ganz anders an die Sache heran, und zwar völlig unerwartet, paradox und von einer anderen Richtung her. Bei uns half hier sehr genial das Buch "Ein Löffelchen voll Zucker - und was bitter ist wird süß" von Susanne Bohlmann (keine Sorge, es geht nicht um Süßes, der Titel ist ein Zitat aus dem Film Mary Poppins). Das Buch hat mir selbst fast eine neue Welt eröffnet. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mal so anders mit Trotz und Co umzugehen, und es funktioniert tatsächlich. Das zweite "Rettungsbuch" war für uns das Buch "Dein kompetentes Kind" von Jesper Juul. Trotz des trockenen Titels knackig, eingängig und wirklich eine Rettung für die ganze Familie, wenn die Trotzphase gerade ihren Höhepunkt erreicht. Auch hier: ganz unerwartete Anstöße und große Entlastung für uns schon nach wenigen Tagen. Beide Bücher halfen uns heraus aus dem Teufelskreis aus Genervtheit, supertrotzigem Kind, noch mehr Genervtheit, noch mehr trotzendem Kind, in dem einem meist so gar nichts Neues mehr einfällt (auch dem Kind nicht). Plötzlich weitete sich alles wieder und originellerweise spürten das auch unsere Kinder jeweils sofort und inh. weniger Tage. LG

von Bonnie am 29.08.2018, 12:41