Mitglied inaktiv
Hi, zur der Frage, ob Italiener tatsächlich großzügiger mit Geldangaben umgehen und warum: Wenn ich mir die noch lebende Kriegsgeneration bei uns ansehe, dann stelle ich immer wieder fest, daß zwar ständig betont wird, man habe durch den Krieg alles verloren (oft auch vorher schon wenig gehabt) und unterstreicht dann auch den Stolz darauf, es im Zuge des Wirtschaftswunders zu etwas gebracht zu haben. Der Witz ist nur, daß sogar diejenigen sich bei uns als völlig verarmt präsentieren, die bei objektiver Betrachtung bereits in den 50er Jahren über ein Haus, ein Auto, etc. verfügten, sich Italien-Reisen leisten konnten, usw. Gleichzeitig wollten aber diejenigen, die durch den Krieg um eine angemessene Ausbildung gebracht worden waren, mithalten können. Hätten sie also ihre Einkommensverhältnisse offengelegt, dann wären sie erneut unter die Kategorie "arm" gefallen und damit noch herablassender behandelt worden. Betrachtet man sich die Gesprächsthemen dieser Generation, dann wird heute grundsätzlich erzählt, man habe einen Verwandten / Bekannten / o.ä. getroffen und der sei schließlich soooo erfolgreich als Anwalt / Arzt / was-weiß-ich und hat ja sooo viel Geld. Man zieht sich daran hoch, d.h. man wertet sich mit dem Erfolg anderer auf, sonnt sich in deren Glanz und lenkt somit auch von sich selbst ab. Gleichzeitig neidet man ihm aber den Erfolg, nie jedoch den oft steinigen Weg dorthin... Der Witz ist, daß die Frau dafür wesentlich anfälliger sind als viele Männer. Diese Einstellung ist zwangsläufig durch die Erziehung weitergegeben worden. Italien hatte kein echtes Wirtschaftswunder im deutschen Sinne. Betrachtet man sich die historische Entwicklung sowie deren Darstellung in der neorealistischen Literatur (z.B. Pasolini), dann sind die darin enthaltenen Armutsschilderungen ziemlich krass. Fragt man bei Freunden oder Bekannten nach, woher die Familie kommt und läßt sich die Familiengeschichte erzählen, dann stellt sich oft heraus, daß der aktuelle Wohlstand nicht schon immer bestanden hat. Mitunter wird bei der Wohnungspräsentation stolz auf antike Erbstücke verwiesen - und Monate später erfährt man dann, bei welchem Antiquitätenhändler diese erworben wurden. Man strickt sich also seine Familienhistorie und "mithalten" zu können. Bester Beweis: Fragt `mal Euere Freunde nach den Familiengrabstätten - das absolute Tabuthema, da sich daran der ursprüngliche soziale Status der Familie leicht bemessen läßt. Der Hinweis auf Preise von Immobilien, Autos, Kleidungsstücken, etc. ist folglich weniger eine Form von Großzügigkeit als der Hinweis darauf, sich bestimmte Dinge leisten zu können und somit zu einer bestimmten sozialen Schicht zu gehören. Ich kenne einige wenige Italiener, die zugeben, daß sie ihre Wohnung (im richtigen Viertel natürlich) nur mit Hilfe der Familie oder (jetzt) dank eines Kredites finanzieren konnten. Über das Einkommen wird dann gesprochen, wenn man eine Rechtfertigung dafür braucht, weshalb man einen Zweitjob hat oder es sich eben leisten kann darauf zu verzichten. Ich hatte aber immer den Eindruck, daß man Ausländern gegenüber leichter solche Geständnisse macht als Landsleuten. Man trägt Statussymbole wie eine falsche Rolex / Prada-Tasche / Schmuck oder Polo Ralph Lauren-Klamotten (gerne auch second hand), usw.. Der äußere Schein ist derartig wichtig, daß insbesondere Kredithaie inzwischen für das Anschnellen der Selbstmordraten verantwortlich sind. Konsum und Statussysmbole helfen also bei der gesellschaftlichen Einordnung und beweisen vordergründig, daß man`s geschafft hat. Die Neidtoleranz, die ich erlebt habe, basierte eher darauf, daß man wußte, daß das Geld entweder hart durch Selbständigkeit erarbeitet war und man nicht die Garantie für ewigen Wohlstand hatte, daß es das Geld der Familie der Angeheirateten war (eher Mitleidsbonus) oder daß man sich politisch gut hochgedienert hatte (vordergründiger Respekt, dann aber Abscheuäußerungen). Wie oft habe ich es im Übrigen erlebt, daß die Freundin oder Gattin stärker nach dem Geldbeutel und der Familie als nach der echten Zuneigung ausgewählt wurde. Wie oft habe ich erlebt, daß Ausländerinnen eben doch nicht als echte Partnerinnen in Frage kamen, weil man zu wenig Konkretes über die Familie, etc. in Erfahrung bringen konnte. Die vordergründige Großzügigkeit hinsichtlich des Geldes stellt also in Wirklichkeit eher die umgekehrte Form des bei uns praktizierten Zudeckens dar. Mich hat jedoch immer fasziniert, daß zumindest die Geschäftsleute, mit denen ich zu tun habe, im Falle wirtschaftlicher Veränderungen wesentlich schneller und flexibler reagieren. Der Konkurs eines Selbständigen wurde - zumindest in meiner Gegenwart - nie mit derselben Häme und Spott überzogen wie das bei uns oft durch Angestellte geschieht, die ja grundsätzlich gut abgesichert sind und ihr Geschäftstalent noch nicht bewiesen haben. Insofern hat das schlechtere Sozialsystem in Italien wieder sein Gutes: Man verurteilt Erfolglosigkeit nicht, weil man weiß, daß es einen selbst treffen kann. Relative vordergründige Neidlosigkeit kann auch ein Ansporn zu Leistung sein - bei uns wirkt Neid eher als Bremse, da man seinen negativen Gefühlen zu viel Luft läßt. LG Fiammetta
Hi, mir ist noch etwas eingefallen. Bei uns werden Preise, etc. genannt, um andere neidisch zu machen und sich dann an den Reaktionen zu erfreuen oder man überspielt Kosten bzw. rechtfertigt sich, um eben keinen negativen Neid zu provozieren. In Italien hatte ich nie das Gefühl, man wollte mir zeigen, wie toll der andere dank seines Reichtums und wie lausig ich sei. Folglich hatte ich selten den Eindruck, man bräuchte ihm seine Statussymbole nicht zu gönnen. Wobei es natürlich vom Streben jedes Einzelnen nach Prestigeobjekten abhängt, wie stark man sich beeindrucken läßt.
Gefühl, dass man einfach nur sich selbst darstellt, als laufendes Kunstwerk sozusagen, in einem Wettstreit der Schönheiten :-) Alles in allem sehr angenehm anzuschauen. LG JAcky
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