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Geschrieben von sasu am 21.06.2003, 18:24 Uhr

Soldatin Jessica - Wie das Pentagon eine Heldentat inszenierte

Bericht: John Kampfner, Sonia Mikich

Sonia Mikich: "Und jetzt die Geschichte der amerikanischen Soldatin Jessica Lynch. Eine Geschichte mit Schurken und Helden. Jessica Lynch tat im Irakkrieg ihre patriotische Pflicht, geriet in Gefangenschaft und wurde unter Lebensgefahr von ihren tollkühnen Kameraden gerettet.

Eine spektakuläre Aktion. Sie erhöhte Fernseh-Quoten und beflügelte Fantasien. Nur: die Story stimmt so nicht. Denn es sah in jenen Kriegstagen im April schlecht aus für die US-Streitkräfte, es gab die ersten eigenen Toten, vieles ging schief, und da brauchte das Pentagon unbedingt eine schöne Erfolgsgeschichte und bastelte sie zusammen, immer schön an der Oberfläche entlang.

Unser britischer BBC-Kollege John Kampfner fuhr noch einmal zum Ort der Mythenbildung und stellte fest: die dramatischen Bilder waren einfach eine perfekte Reality-Show."

Die Legende beginnt in der Nacht zum 2. April.
Jim Wilkinson, US-Militärsprecher: "Ich blieb die ganze Nacht wach, denn ich wusste, dass etwas losging, die Nachrichten überschlugen sich..."

Brigadegeneral Vincent Brooks, US-Zentralkommando:
Die Presseleute wurden zusammen getrommelt. Sie hörten eine Spitzennachricht.
Brigadegeneral Vincent Brooks, US-Zentralkommando: "Koalitionsstreitkräfte haben eine amerikanische Militärangehörige befreit, die im Irak gefangen gehalten wurde."
Das Mädchen, worum sich ganz Amerika sorgte. Die 19-jährige Jessica Lynch wurde gefangen genommen, als ihre Versorgungskompanie falsch abbog und in einen Hinterhalt geriet. Neun Kameraden wurden dabei getötet.

Und so sah die Rettung von Jessica Lynch aus. Die Videokamera der Militärs nahm jede Phase des todesmutigen Einsatzes auf. Dann der schnelle Zusammenschnitt. Dann wenige Stunden später Ausstrahlung im amerikanischen Frühstücksfernsehen. Genau zur rechten Zeit. Denn der Kriegsverlauf sah in jenen Tagen schlecht aus, die Nation befürchtete einen langen Krieg, mit vielen Toten.

Doch jetzt Sondersendungen mit einer guten Botschaft.

Brigadegeneral Vincent Brooks, US-Zentralkommando: "Es war eine klassische Blitzoperation. Durchgeführt von unseren besten Kriegern. Ihr Motto ist es, niemals einen Kameraden im Feindesland zurückzulassen. Nun ist sie in Sicherheit. Ich habe sie gefragt, wer sie gefangen genommen hatte. Es war das Regime."

Ein Knüller für die dankbaren Medien. Kaum jemand sprach von den neun gefallenen Kameraden Jessicas. Aus einem Alptraum wurde ein Action-Film.

Bill Whitaker, amerik. Journalist: "Die Washington Post meldet, dass die Soldatin Lynch mutig gekämpft hat, bis ihr die Munition ausging, dass sie mehrere Feinde erschoss, obwohl sie selber verwundet war."
Beim Briefing hieß es: Jessica habe Stich- und Schussverletzungen. Angeblich sahen irakische Zeugen, wie Jessica im Krankenhaus geschlagen wurde.
Donald Rumsfeld, US-Verteidigungsminister: "Wir sind dankbar für die glanzvolle und mutige Rettung von Soldatin Jessica Lynch. Sie wurde von irakischen Streitkräften gefangen gehalten - in einem Gebäude, das man dort ein Krankenhaus nennt."
Soweit die Geschichte aus amerikanischer Sicht.

Der Ort der dramatischen Rettungsaktion, ein paar Wochen später. Ein ganz gewöhnliches irakisches Krankenhaus. Einer von Jessicas Ärzten. Er gab ihr, gleich nach der Einlieferung, das einzige Spezialbett des Krankenhauses.

Dr. Harith Al-Hussuna: "Ich untersuchte sie und sah, dass Arm und Bein gebrochen waren und ein Knöchel verstaucht war. Auch bei einer zweiten Untersuchung fanden wir nichts, keine Kugel, keinerlei Schuss- oder Stichverletzungen."
Die Ärzte sagten, sie mussten operieren, um die Knochen neu zu richten. Sie kümmerten sich, so gut es ging in diesen Kriegszeiten.

Dr. Harith Al-Hussuna: "Wir gaben ihr drei Blutkonserven. Weil Blut so knapp war, hat das Krankenhauspersonal zwei gespendet."

Dr. Anmar Udai: "Wir behandelten Jessica nicht wie eine Gefangene, sondern wie eine von uns, wie eine verletzte Irakerin."
Im Ort Nassirijah wussten alle inzwischen, dass Jessica Lynch im Krankenhaus lag. Und: dass das irakische Militär das Krankenhausgelände längst verlassen hatte. Ein Zeuge berichtete, dass die Vorhut des Spezialkommandos wusste, wie ungefährlich die Rettung sein würde:
Hassan Hamud: "Die Amerikaner wollten wissen, wo das Saddam-Krankenhaus ist. Ich sagte: Da lang. Und es sind keine Kämpfer dort. Nichts dergleichen."
Dennoch stürmten Amerikas "beste Krieger" das Krankenhaus.
Dr. Harith Al-Hussuna: "Sie brüllten: 'go go go' und viel Schießerei, aber mit Platzpatronen, nicht mit echter Munition. Sie zertrümmerten die Tür. Wir hatten große Angst."
Dr. Anmar Udai: "Wir waren überrascht. Wozu das Ganze? Es gab keinen einzigen irakischen Soldaten im Krankenhaus."
Aber die Spezialtruppen gingen kein Risiko ein. Sie trieben die Ärzte zusammen und fesselten einen Patienten sogar mit Handschellen an sein Bett.
Dr. Harith Al-Hussuna: "Warum nur? Er konnte sich doch gar nicht bewegen."

Das ist noch nicht alles. Zwei Tage vor der Rettungsaktion, sagte Dr. Al-Hussuna, hätte er versucht, Jessica in einem Krankenwagen fortzuschaffen und den Amerikanern zu übergeben.

Dr. Harith Al-Hussuna: "Sie sagte mir jedes Mal: 'Ich will nach Hause, ich will nach Hause'. Ich sagte ihr, ich will ja versuchen, dich rauszubringen, aber sehr vorsichtig, weil ich sonst in Lebensgefahr bin. Wir legten sie in einen Krankenwagen und sagten dem Fahrer, er solle sie zum amerikanischen Checkpoint bringen. Als er sich aber näherte, wurde er von den Amerikanern beschossen."
Das war der einzig wirklich gefährliche Moment für Jessica - weil sie fast von den eigenen Leuten erschossen wurde. Doch längst war sie eine Ikone des Patriotismus. Die Heldengeschichte stand.

Bis heute lehnt das Pentagon ab, das gesamte Video der Aktion freizugeben.


Sonia Mikich: "Jessica Lynch, so ihre Ärzte, kann sich an nichts erinnern. Sie wird wahrscheinlich nie etwas zur Wahrheitsfindung beitragen können."

http://www.wdr.de/tv/monitor/beitrag.phtml?bid=487&sid=98

 
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