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Geschrieben von Ralph am 03.02.2006, 0:14 Uhr

Ein paar nachdenliche Gedanken an sina26, aber auch manche ander hier... (lang)

Hallo Sina,

ich muß Dir ganz vehement widersprechen! :-)

Ich weiß nicht, wo Du herkommst und was Du für eine Kindheit durchgemacht hast. Auf jeden Fall ist es absolut kein Argument für die Todesstrafe.

Ich bin kein Täterversteher, aber die Prüfung der Rechtswidrigkeit und der persönlichen Schuldfrage sind beides enorm hohe Rechtsgüter. Du wirst auch unter den harten Knochen unter den Rechtsgelehrten nicht einen einzigen finden, der das auch nur ansatzweise in Frage stellen wird.
Wenn Du das grundsätzlich in Frage stellst, brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, weil dann absolut keine Diskussionsgrundlage besteht.

Es steht weiterhin außer Frage, daß die eigene Biographie maßgeblich an der Entwicklung der persönlichen Werteentwicklung beteiligt ist. Wir werden sozialisiert durch Erziehung, Umwelt, Freunde, machen Erfahrungen. Sicherlich spielt auch die natürliche Psyche eine Rolle, ob und wie man mit Schicksalsschlägen, gleich welcher Art, mit oder ohne Hilfe zurecht kommt.

Das alles ist nur allgemein gemeint und hat mit Täterversteherei nichts zu tun, es sind Fakten, die sich nicht leugnen lassen.

Auch Du bist durch Deine Erfahrungen in der Kindheit geprägt, ob man das als traumatisiert bezeichnen kann, weiß ich nicht, das kann und will ich gar nicht beurteilen.

Ich möchte von einer erschütternden Biographie erzählen.
Als ich im Gefängnis eine 2/3-Entlassungs-Stellungnahme für die Strafvollzugskammer entwerfen sollteorfen habe, ging es um einen heute etwa 35jährigen Mann aus Afghanistan, dessen Vater als Mitglied der damals aufständischen Mudschaheddin von den Sowjets aufgeriffen und verschleppt wurde. Er hat sehr an dem Vater gehangen und bis heute von ihm nichts wieder gehört. Als 14jähriger war er auf einmal der einzige Mann im Haus und hat in dieser Funktion nachts vor dem Haus mit dem Messer in der Hand Wache geschoben, um seine Mutter und seine Schwestern zu beschützen. Das mag in unseren Kreisen lächerlich klingen, in deren Kultur ist es so, daß der "Mann im Haus" für die Sicherheit der Frauen verantwortlich ist. Er wurde wenig später Kindersoldat und wurde in der Hierarchie der Mudschaheddin, als 14jähriger, "Offizier". Genaues hat er nicht berichtet, aber er wird wohl auch getötet haben.
Später floh er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern über Frankreich nach Deutschland und ist seither in Deutschland aufgewachsen.

Ich habe einige lange Gespräche mit ihm geführt in Zuge der Erarbeitung der Stellungnahme. Er ist ein hochintelligenter Mensch, der aber in einer Weise traumatisiert wurde in seiner Heimat, wie es sich hier nur wenige werden vorstellen können. Er ist jetzt ganz ruhig, in der nächsten Sekunde kann er hoch aggressiv und gewalttätig sein. Er verletzt sich heute häufig selber und weiß selbst nicht, wie es dazu kommt. Noch heute fühlt er sich ohne Messer "nackt" (sein O-Ton), es ist nicht schwer nachzuvollziehen, woher das kommt. Dieser Mensch wurde schwer traumatisiert, ohne Zweifel.

Ich beschreibe das nicht, um seine schlimmen Verbrechen, für die er einsitzt, zu entschuldigen. Dennoch, er ist und bleibt ein Mensch mit allen Rechten. Was genau er fühlte, weiß ich nicht, und auch für die Psychologen in der JVA war er einer der komplexesten Fälle, den sie je vor sich hatten. Über seine Tat darf ich aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts schreiben, da sie bundesweit Schlagzeilen gemacht hat. Daß er gefährlich ist und bleibt, ist auch klar, und entsprechend fiel auch meine Stellungnahme aus - negativ. Abgesehen davon ist für ih nach Ende der Haftzeit auch Sicherheitsverwahrung angeordnet, d.h. er wird das Gefängnis Richtung Deutschland nie wieder verlassen.

Eines aber kann ich Dir versichern: Ich bin dankbar, daß ich diese Erfahrung machen durfte, denn sie hat mir entgültig die Augen dafür geöffnet, daß wir NIEMALS vergessen dürfen, daß es sich bei allen Tätern immer noch um Menschen handelt. Sobald eine Gesellschaft das aus dem Auge verliert, verläßt sie den Weg der Humanität und ist gleichzeitig keinen Pfifferling mehr wert.

Ein paar der wichtigsten Sätze in meinem ganzen Leben überhaupt hat mir damals ein sehr gewissenhafter und bei den Insassen als harter, aber gerechter Hund bekannter Vollzugsabteilungsleiter anläßlich meines mehrmonatigen Dienstantritts in einem Gefängnis gesagt:

"Vergessen Sie niemals bei Ihrer Arbeit hier, daß es sich bei den Insassen um Menschen handelt, ganz gleich, was sie getan haben. Sie alle verbüßen hier eine lange Freiheitsstrafe, aber nur darin besteht ihre Strafe. Sie bleiben Menschen mit all ihren Bedürfnissen."

Dieser Satz hat sich eingebrannt, in meine Gefühle, in meinem Denken, in meine Diskussionen. Er bringt die ganze Erfahrung dieses Mannes, die ganze Quintessenz dessen, worüber wir hin und wieder in diesem Forum in diesem Zusammenhang diskutieren, einzigartig, kurz und knapp, auf den Punkt.

Denke mal darüber nach, es lohnt sich! :-)

Viele Grüße
Ralph/Snoopy

 
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