Ich habe unterschiedliche Meinungen von Ärzten verschiedener Fachgebiete zu dieser Frage erhalten. Ein Verzicht auf die Dauermedikation geht mit dauerhaften schweren Migräneattacken und Entzugserscheinungen einher. Die Absetzung des Medikamentes erscheint mir daher kaum als Alternative. Die Dosis ist niedrig. Muss ich zwingend mit Schädigung des Embryos/Fötus rechnen?
von
AnnaKarenina
am 15.05.2020, 18:57
Antwort auf:
Kann Topiramat Migräne 25mg dauerhaft in der Schwangerschaft eingenommen werden?
Inzwischen liegen einige Erfahrungen mit Topiramat in der menschlichen Schwangerschaft vor.
In einer Untersuchung an 5 Schwangeren konnte der ausgeprägte diaplazentare Übergang von Topiramat annähernd im Verhältnis 1:1 gezeigt werden (Ohmann et al 2002).
Eine Publikation berichtet von drei unauffälligen Neugeborenen nach Exposition mit Topiramat in der Schwangerschaft (Morrell 1996). Eine Kasuistik beschreibt ein Neugeborenes mit mehreren kleineren Auffälligkeiten (Wachstumsretardierung; Hirsutismus; kurze, antevertierte Nase; Abstumpfung von distalen Phalangen und Nägeln; Nagelhypoplasie am 5.Finger) nach Monotherapie der Mutter mit Topiramat während der gesamten Schwangerschaft (Hoyme et al 1998). Eine weitere Kasuistik berichtet von einem Kind mit diversen Auffälligkeiten (Extremitäten) nach mütterlicher Dauermedikation mit Topiramat in einer Tagesdosis von 300 mg (Vila Ceren et al 2005).
Unter mütterlicher Therapie mit Topiramat 100 mg/d und Oxcarbazepin 300 mg/day diagnostizierte man bei einem Feten multiple Anomalien: Extremitätenreduktion, Nierenaplasie bzw. -hypoplasie, Hypoplaise von Enddarm und Blasen, Lippen-/Gaumenspalte (Uludag et al 2012).
In einer Serie von 15 Schwangerschaften unter antikonvulsiver Therapie mit Topiramat zeigten sich folgende Ausgänge (Westin et al 2009):
1 Spontanabort
1 Kind mit Herzfehler
13 gesunde Neugeborene (darunter 1 Frühgeburt)
Eine amerikanische Beratungsstelle berichtet von fünf unauffälligen Neugeborenen nach intrauteriner Exposition mit Topiramat (Chambers et al 2005).
Eine italienische Beratungsstelle erfasste drei gesunde Kinder sowie einen Schwangerschaftsabbruch unter mütterlicher Therapie mit Topiramat in der Schwangerschaft (De Santis et al 2004).
Das UK Epilepsy and Pregnancy Register (Morrow 2005) erfasste zwei Kinder mit Anomalien (Lippen-Kiefer-Spalte, Hypospadie) unter 28 ausgetragenen Schwangerschaften bei mütterlicher Medikation mit Topiramat (Fehlbildungsrate 7,1%).
Eine dänische Studie registrierte 5 Kinder mit Fehlbildungen unter 108 Schwangerschaften (4,6%) von Müttern, die im ersten Trimenon Topiramat eingenommen hatten. Dies entspricht dem allgemeinen Hintergrundsrisiko (Molgaard-Nielsen & Hviid 2011).
Auf der Basis von Krankenversicherungsunterlagen fand sich kein Anstieg von kongenitalen Anomalien bzw. oralen Spaltbildungen unter 870 Kindern, deren Mütter im ersten Trimenon ein Rezept für Topiramat erhalten hatten (Green et al 2012).
Eine kombinierte Fall-Kontroll-Analyse (Margulis et al 2012) auf der Basis der Slone Birth Defects Study und der National Birth Defects Prevention Study ergab einen Zusammenhang mit einer maternalen Topiramat-Monotherapie im ersten Trimenon bei 3.068 Kindern mit Lippenspalten.
Das North American Antiepileptic Drug Pregnancy Registry (Hernandez-Diaz et al 2012) ermittelte einen Anteil von 4,2% für größere Fehlbildungen unter 359 Kindern bei mütterlicher Monotherapie mit Topiramat im ersten Trimenon. Ein Risikoanstieg zeigte sich für orale Spaltbildungen (beobachtet: 1,4%; erwartet: 0,1%), jedoch nicht für Hypospadien, Neuralrohrdefekte oder Herzfehler. Ein erhöhter Anteil von oralen Spaltbildungen wurde bereits in einer früheren Studie festgestellt (Holmes & Hernandez-Diaz 2012). Dort zeigte sich auch eine Häufung von Kindern mit niedrigem Geburtsgewicht.
Das UK Epilepsy and Pregnancy Register dokumentierte 16 Kinder (9,0%) mit größeren Fehlbildungen unter 178 Neugeborenen nach intrauteriner Topiramat-Exposition im ersten Trimenon (Hunt et al 2008). Bei vier Kindern (2,2%) diagnostizierte man orale Spaltbildungen, bei fünf von insgesamt 78 Jungen (5,1%) Hypospadien (Reimers & Brodtkorb 2012). Die Fehlbildungsrate stieg vor allem bei Kombinationstherapie mit anderen Antikonvulsiva an (13/108=12,0%), insbesondere bei Valproinsäure, im Vergleich zu einer Topiramat-Monotherapie (3/70=4,3%).
Hinsichtlich des Fehlbildungsrisikos scheinen auch genetische Faktoren eine Rolle zu spielen. Wenn eine kongenitale Anomalie bereits in einer früheren Schwangerschaft unter Therapie mit Topiramat aufgetreten war, steigt das Wiederholungsrisiko bei folgenden Schwangerschaften unter Topiramat (Campbell et al 2013).
Nach mütterlicher Monotherapie mit Topiramat erfasste das European and International Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy fünf Fälle (6,8%) von angeborenen Anomalien unter insgesamt 73 exponierten Kindern (Reimers & Brodtkorb 2012).
Bei prospektiver Erfassung einer Topiramat-Monotherapie fand sich nur ein Fehlbildungsfall (Hypospadie) unter 44 intrauterin exponierten Kindern (2,3%) im Australian Pregnancy Register (Vajda et al 2013). Bei Kombinationstherapien mit Topiramat registrierte man 10 Fehlbildungsfälle (14%) unter 73 exponierten Kindern. Dabei handelte es sich vor allem um Hypospadien und Gehirnanomalien.
Eine größere Fallsammlung mit 53 Expositionen in der Frühschwangerschaft stammt vom Israeli Teratogen Information Service (Ornoy et al 2008):
5 Schwangerschaftsbbrüche aus Angst vor Fehlbildungen.
7 Spontanaborte
37 unauffällige Neugeborene (4 x Dauermedikation)
4 kongenitale Anomalien
Im Vergleich mit einer Kontrollgruppe zeigte sich kein signifikanter Anstieg der Fehlbildungsrate.
Wir verfügen bislang über 81 Rückmeldungen nach Anwendung von Topiramat in der Schwangerschaft:
9 Schwangerschaftsbbrüche aus Angst vor Fehlbildungen.
4 Spontanaborte
60 unauffällige Neugeborene
8 Kinder mit Fehlbildungen
Zwar zeigt sich in unserem Kollektiv kein homogenes Fehlbildungsmuster, doch findet sich ein erheblicher Anteil kongenitaler Anomalien (11,8%). Um den Einsatz von Topiramat in der Schwangerschaft besser beurteilen zu können, müssen weitere Daten gesammelt werden.
Die neurologische Entwicklung nach mütterlicher Topiramat-Monotherapie in der Schwangerschaft verlief bei neun Kindern im Alter zwischen 3 und 7 Jahren signifikant schlechter als in einer Kontrollgruppe (Rihtman et al 2012).
Wurden bei Ihnen schon eine Prophylaxe mit anderen Mitteln (z. B. Metoprolol) versucht?
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 17.05.2020