Frage: Vernunft entwickeln

Hallo Herr Dr. Posth, ich versuche, meine Kinder ohne Konditionierungen zu erziehen, und möchte, dass sie nach und nach aus sich heraus ihr Verhalten den jeweiligen Situationen anpassen. Statt Strafen und Belohnungen setzen wir auf eine gute Eltern-Kind Beziehung und auf den Effekt der logischen Folgen. Sie sollen sich wirklich angstfrei entwickeln dürfen, aber dabei lernen, dass man sein Verhalten in gewisser Weise kontrollieren muss, um niemanden zu verletzen, Gegenstände zu zerstören und einfach das Leben in der Gemeinschaft für alle angenehm zu gestalten. Unsere Großen sind bereits sieben und fünf und ich erlebe fast jeden Tag, dass unsere einfache Allround Familienregel: "wir fragen vorher, wenn wir Dinge zu etwas benutzen wollen, wozu sie nicht gedacht sind", gebrochen wird. Die Reaktion der kinder dann "wir habens vergessen..." Ab welchem Alter kann ich von Kindern erwarten, dass sie erst nachdenken und dann vernüftig handeln? vielen Dank

Mitglied inaktiv - 29.08.2005, 14:55



Antwort auf: Vernunft entwickeln

Stichwort: Vernunft Hallo, Sie stellen mir eine zugegeben sehr schwierige Frage. Philosophen, Psychologen, Erziehungswissenschaftler, Soziologen und und wer nicht alles hat sich das schon gefragt, wie kommt die Vernunft in das Kind. Ich selbst bin der Auffassung, daß das erwünschte rücksichtsvolle und prosoziale Verhalten auf den Grundlagen des Gewissens basiert. Erst ein solides Gewissen versetzt den Menschen in die Lage, sein Verhalten und seine Umgangsformen und Reaktionsweisen unter dem Aspekt des Vernünftigen zu steuern. Das bedeutet, daß der Verstand als das geistige Korrelat zu Wissen und Verstehen, als ein wesentlicher Teil der Intelligenz, den emotionalen Steuerungselementen stark unterworfen ist, denn das Gewissen leite ich her aus der emotionalen und psychosozialen Entwicklung. Bisher galt es immer umgekehrt, nämlich der Verstand muß die Gefühle beherrschen und kontrollieren, sonst geht alles schief. Ist aber das Gewissen stark genug und prosozial gerichtet, dann schafft es Einsichtsfähigkeit und eine Theorie der Moralität. Auf diesem Weg entwickelt sich die Vernunft. Allerdings braucht die Vernunft auch die Elemente des Verstandes, d.h. der reinen Erkenntnis, damit die Gefühle über die Kraft des Geistes ihrereseits prinzipiell beherrschbar werden. Auch das ist in gewisser Weise Ausdruck von Vernunft. Sagen wir es einfach: Vernunft ist, wenn die moralisch ausentwickelten Gefühle im Gewissen den Verstand führen und leiten und der gesunde Verstand im Gegenzug die Gefühle und Affekte im Zaum hält. Das Ziel ist ein durch Regeln und Gesetze freiwillig strukturiertes und geordnetes Gemeinschaftsleben der Menschen. Erst im Schulaltern lernen die Kindes diese Grundelemente des sozialen Miteinanderlebens und -auskommens. Also Ihre Kinder befinden sich mitten im Prozeß, aber sind noch lange nicht fertig. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 02.09.2005