Frage: theoretische Fragen

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, heute beschäftigen mich eher theoretische Fragen: 1.In welcher Umgebung wird der Strange Situation Test durchgeführt (bekannt/unbekannt) und wer ist die Person, die mit dem Kind spielt? Es gibt ja sicher Personen, die sich geschickter anstellen als andere, so müsste die Auswahl der Frau?, die reinkommt um mit dem Kind zu spielen, maßgeblichen Einfluß auf das Verhalten des Kindes haben, oder? 2. ist Qualität oder Quantität entscheidend für das Eingehen einer primären Bindung? D.h. ist automatisch die Person, die am meisten Zeit mit dem Kind verbringt, die primäre Bezugsperson? 3. kann man am Verhalten des Kindes "ablesen", wer die Hauptbezugsperson ist? Also bei Kindern unter 1 Jahr, ohne Strange Situation Test, oder ist nur dieser aussagekräftig? Vielen Dank für Ihre Mühe, Simone

Mitglied inaktiv - 06.02.2006, 07:53



Antwort auf: theoretische Fragen

Liebe Simone, der Strange-Situation-Test diente seinerzeit M.Ainsworth als Instrumentarium, die Bindungssicherheit eines etwa einjähriges Kindes einzuschätzen. Das waren Tests in Standardsituaionen in einem "Labor". Um vergleichbare Werte zu erzielen, mußte die Testbedingungen immer einigermaßen gleich sein. D.h. die fremde Person war immer eine bestimmte (so sollte es jedenfalls sein). Sie haben vollkommen Recht; von dieser Person hängt sehr viel ab, wie das "Experiment" ausgeht. Eine sehr geschickt agierende, erfahrungsreiche weibliche Person vermag ein ängstlich reagierendes Kind viel besser beruhigen und auf seine Seite ziehen zu können, als eine ganz unerfahrene und auch noch obendrein ungeschickte Person. Insofern ist der SST gewöhnlich nicht zu machen und im Normalfall nur ein Ergebnis vieler gut beobachteter Aspekte. Solche Aspekte findet man übrigens auch in der Kinderarztpraxis. Eine solche Praxis ist, wenn man seine Sache versteht, ein life-event-Labor. Für die Bindungssicherheit sind zweifellos Qualität und Quantität der Mutter-Kind-Dyade entscheidend. Eins ist durch das andere nicht vollkommen zu ersetzen. Der Säugling "erwählt" sich sozusagen die Hauptbezugsperson und zeigt ihr das durch sein Fremdeln gegenüber allen anderen, bis auf die Nebenbezugspersonen. Am Übergang zum zweiten Lebensjahr löst die starke Anhänglichkeit das vergehende Fremdeln ab. Sie brauchen als Mutter keinen SST, um zu erkennen, daß Ihr Kind an Ihnen hängt! und sich im "Ernstfall" nur von Ihnen beruhigen läßt. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 06.02.2006