Frage: Nochmals zu Posting "alles nachmachen"

Hallo Herr Dr. Posth, ich will sie nicht nerven aber Ihre Antwort hat mich sehr nachdenklich gemacht. Heißt das im Klartext, daß wir als Eltern bei der Entwicklung des Selbstbewusstseins unserer Tochter versagt haben?! Ist es nicht so, daß die ersten 3 Lebensjahre die wichtigsten für die Entwicklung sind und wir diese 3 Jahre schon alles falsch gemacht haben?? Kann ihre Schüchternheit aber nicht auch ein wenig "Veranlagung" sein? Mit 8 Monaten stellte bei ihr sich schon ein starkes Fremdeln ein. Beim Nachbarsmädchen war dies von jeher nicht der Fall. Sie war uns mit 12-13 Monaten schon sehr offen und neugierig gegenüber, hat gewinkt, gelacht etc. wenn sie uns gesehen hat. Und diese offene Art hat sie bis heute beibehalten. Ich war als Kind ebenfalls sehr schüchtern, traute mich z.B. nie mich in der Schule im Unterricht zu melden. Heute kann ich einigermaßen mit meiner Schüchternheit umgehen. Seit meine Tochter auf der Welt ist habe ich auch immer verstärkt versucht auf andere Menschen (andere Mütter) zuzugehen, einfach Kontakte zu knüpfen und es ist mir eigentlich bisher auch ganz gut gelungen. Meine Eltern sind geschieden, als ich 11 Jahre alt war, bin ich zu meinem Vater gezogen und ich weiß noch wie er mit allen Mitteln versucht hat meine "Schüchternheit" zu bekämpfen, er hat Literatur gewälzt, mich zum Kinderpsychologen geschleppt etc. Ich weiß nur, daß ich damals durch dieses ganze Gerede über meine Schüchternheit noch introvertierter wurde. Kann also auch nicht der richtige Weg sein. Bin im Moment etwas verunsichert weil ich nicht genau weiß wie ich es anstellen soll ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Sie hat zuhause sehr oft Trotzanfälle, will den Ton angeben etc., nur ihr alles durchgehen zu lassen kann ja auch nicht Sinn der Sache sein. Oft bin ich so genervt, daß ich laut werde und mit ihr schimpfe aber anderen Müttern geht es da sicherlich nicht anders. Sorry, bin etwas konfus aber ich mache mir wirklich Gedanken......werde nachher in einer ruhigen Minute noch ihre Texte zum Emotionalen Bewusstsein lesen. Gruß Sandra

Mitglied inaktiv - 13.12.2003, 16:41



Antwort auf: Nochmals zu Posting "alles nachmachen"

Liebe Sandra, nein, so einfach ursächlich (monokausal) kann man das nicht verstehen. Selbstbewußtsein entsteht in der Interaktion zwischen Kind und Umwelt, und die ist fein gestrickt und auch vom Kind mit beeinflußt. D.h. einige Verhaltensweisen liegen im Kind begründet und verursachen ein bestimmtes Verhalten bei den Eltern oder anderen Erwachsenen, die vielleicht auch erzieherischen Einfluß besitzen., z.b. die Großeltern oder ältere Geschwister. Einige Verhaltensweisen werden allerdings auch von den Eltern offenkundig oder versteckt weitergegeben. Da aber gewöhnlich ausreichend unheimliche und ängstliche Empfindungen in der Säuglingszeit in Vertrauen und Zuversicht umgewandelt werden konnten (s. mein Text, 1.Teil) und eine gesunde Bindung entstanden ist (überwiegend 2.Teil), ist auch die Entwicklung zum Selbstbewußtsein garantiert (3.Teil). Wenn jetzt auch noch Trotz zugelassen wird, ohne daß die Eltern sich diesem unterwerfen (s.z.B. die vorige Antwort), dann kann ausreichend Stolz auf sich selbst im Kind entstehen und die Scham, die Scheu, resp. die Schüchterheit, die ja jedes Kind in einem Mindestmaß besitzt, wird überwunden. Zwar sind die ersten 3 Lebensjahre umgemein wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, aber sie sind nicht begrenzend. D.h. die Persönlichkeitsentwicklung geht, eine solide Basis vorausgesetzt, immer weiter, und ein anfangs eher schüchternes Kind kann dann im Kindergarten bei günstigen Voraussetzungen sich plötzlich gut entfalten.

von Dr. med. Rüdiger Posth am 14.12.2003