Frage: Leben ohne TV

Sehr geehrter Herr Dr. Posth, ich bin Mutter von drei Töchtern im Alter von 1, 5 und 7. Um die Geburt der ersten Tochter haben wir -nicht aus strikter Überzeugung-sondern weil es sich ergeben hat, den TV abgeschafft. Wir vermissen ihn im Alltag nicht wirklich, weil die Mädels gerne spielen und basteln. Nun ist die große in der Schule und alle Freundinnen gucken viel TV. Nun kann meine Tochter nicht "mitreden" und wird ggf. zum Außenseiter. Was meinen Sie? Sollen wir uns einen TV anschaffen, damit die Töchter den Umgang lernen? Oder sollen wir sie in unserer Position -ein Leben ohne TV- stärken? Wenn wir uns jetzt einen TV anschaffen, dann wächst unsere jüngste Tochter damit ganz normal auf, was ich schade fände, weil ich finde, dass viel Kreativität durch den TV-Konsum verloren geht. Oder sollen wir gelegentlich einen Videofilm gucken? Vielen Dank! Mit freundlichen Grüßen Eva

von Eva1234 am 18.03.2013, 08:36



Antwort auf: Leben ohne TV

Liebe Eva, was ich Ihnen hier schreibe, sollte vielleicht besser nicht Prof. Manfred Spitzer, Psychiater und Lerntheoretiker aus Ulm, lesen. Der ist ein großer Gegner des Medienkonsums im Kindesalter. Ich glaube, dass ein Leben ohne Fernseher angsichts der Globalisierung und medialen Vernetzung an der Zeit vorbei geht. Es stimmt zwar, dass man kleine Kinder bis zum Schulalter möglichst fern vom Fernseher halten soll, und die ausgesuchten Sendungen, die gesehen werden dürfen, am besten selbst begleitet. Denn es dauert bis weit ins Schulalter hinein, bis die Kinder in ihren Köpfen klar trennen können zwischen Fiktionlität und Realität. Sprich; insbesondere die Kleinkinder halten das für Wirklichkeit, was sie im Fernsehapparat sehen. Besonders kluge Kinder gucken sogar hinter die Mattscheibe, weil sie sich nicht vorstellen können, dass diese Bilder nur aus dem Kasten kommen. Im Schulalter kann dann die notwendige Trennung von wahr und fiktional langsam begriffen werden, und die Bilder gehen nicht mehr ungefiltert ins Gehirn und werden dessen erinnerbarer Bestandteil. Einige Sendungen sind nun fester Bestandteil der Kommunikation unter Jugendlichen. Ein Kind, das da überhaupt nicht mitreden kann, ist schnell außen vor. Es fühlt sich sofort ausgeschlossen und leidet sehr unter der sozialen Stigmatisierung. Das kann man seinem Kind nicht aufbürden. Andererseits ist es den großen Fehler, seinem etwas älteren Kind gleich einen Fernsehapparat aufs Zimmer zu stellen, aus dem es sich nach Bedarf bedienen kann. Dadurch geht zwischenmenschliche, familiäre Kommunikation verloren, und das Kind läuft Gefahr, das Gerät zur Ablenkung und Selbstberuhigung in allen schwierigen Lebenslagen zu verwenden. Nicht nur dass es leicht abhängig von diesem Verwendungszweck wird, es wird auch manipulierbar durch das, was sie Fernsehanstalten dazu über die Kanäle flimmern lassen. Und da gibt es erschreckende "Formate". Also, was ein Schulkind sehen darf, sollte vorher abgesprochen sein und auch Gegenstand familiärer Diskussionen. Und das Gerät sollte da stehen, wo es die ganze Familie gucken kann, aber nicht schon nachmittags, wenn noch die Kleinkinder mit dabei sind. Dafür sollte es nur Ausnahmen geben, wenn die dann für das ältere Kind gerechtfertigt ist. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 21.03.2013