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@solelo: Grenzen setzen und "testen"

Thema: @solelo: Grenzen setzen und "testen"

Huhu Du hast geschrieben: "So ist das ganz genau. Jeder Erwachsene hat die Freiheit, zu tun, was er tun will. Das bedeutet auch, dass er die Freiheit hat, sich an bestimmte Regeln zu halten – oder eben nicht. Die FREIHEIT hat er immer – die Regeln können trotzdem existieren. Der Erwachsene ENTSCHEIDET, ob er es tun will, und das tun die meisten einfach, weil sie die Regeln für sinnvoll erachten" DAS würde ich sofort unterschreiben, und genau DAS ist für mich auch der springende Punkt. Mir fehlen die REGELN in der Nichterziehung. Zumindest hatte ich nicht das Gefühl als nichterziehende Mutter welche aufstellen zu dürfen. Um es krass zu formulieren: Braucht ein Mensch, egal ob jung oder alt, nicht gewisse Regeln um sich an ihnen zu "messen"? Gibt es überhaupt Erkenntnisgewinn ohne Einreißen von Grenzen, Regeln und Strukturen? Hätte Einstein die Relativitätstheorie entdeckt ohne Newton? Hätte Johanna die Nichterziehung für sich gefunden ohne vorherigen Erziehungsversuch? Beruht unsere Wissenschaft nicht auf Falsifikation von Aussagen statt auf Verifikation? Funktioniert Erkenntnis dialektisch? Kann man überhaupt etwas Lernen und Begreifen ohne Grenzen und Strukturen vorgegeben zu bekommen? Die Hirnforschung würde da ziemlich deutlich "nein" sagen, soweit ich mich damit auseinandergesetzt habe. Versteht mich nicht falsch: Ich hasse Regeln. Aber ebendarum möchte ich welche haben, damit ich mit ihnen kollidiere, mich neu definiere und meinen Standpunkt neu kläre und gegebenenfalls die Regel abschaffe. Von daher halte ich auch die Aussage "Kinder wollen keine Grenzen testen" für falsch. Sie SOLLEN Grenzen testen, das müssen sie! Und meine Grenzen MÜSSEN jeden Tag getestet werden. Johanna, funktioniert das Nichterziehen bei euch vielleicht deshalb so gut, weil es vorher diese "andere" Zeit der Erziehung gab, gesetzte Grenzen, über die alle Familienmitglieder reflektiert haben, die ihr gemeinsam eingerissen habt? Mein Gefühl für Nicht-Erziehung ist das eines honigsüßen harmonischen Miteinanders - mir fehlen die Konflikte, mir fehlt der Streit und die Eskalation, die Auseinandersetzung mit bestehenden Normen! lg - roma

Mitglied inaktiv - 11.01.2007, 12:31



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Sorry fürs Einmischen. Aber du schreibst dir die Antwort beinah selbst - darum wollen meine Finger unbedingt schreiben. Vielleicht kann ich dir das (auch) irgendwie verdeutlichen. "So ist das ganz genau. Jeder Erwachsene hat die Freiheit, zu tun, was er tun will. Das bedeutet auch, dass er die Freiheit hat, sich an bestimmte Regeln zu halten – oder eben nicht. Die FREIHEIT hat er immer – die Regeln können trotzdem existieren. Der Erwachsene ENTSCHEIDET, ob er es tun will, und das tun die meisten einfach, weil sie die Regeln für sinnvoll erachten" DAS würde ich sofort unterschreiben, und genau DAS ist für mich auch der springende Punkt. Mir fehlen die REGELN in der Nichterziehung. Zumindest hatte ich nicht das Gefühl als nichterziehende Mutter welche aufstellen zu dürfen." Ja, und du schaffst Regeln ab, wenn du Regeln nicht für sinnvoll erachtest und schaffst neue Regeln, die ihr als sinnvoll erachtet. Und irgendwann kommt der Punkt wo Friede, Freude, Eierkuchen ist, weil alle diese Regel für gut erachten ;-) Beispiel: Du stimmst zu, dass Regeln geachtet werden, wenn sie als sinnvoll erachtet werden. Genau, das machen auch nichterzogene Kinder - die Regeln ergeben sich von alleine, wenn alle zustimmen. Findet es das Kind sinnvoll zusammen zu essen (weil man da Dinge besprechen kann, das Gemeinschaftsgefühl gestärkt wird,...), dann wird es zu Tisch kommen. Findet es das längere Zeit sinnvoll, dann wird es jedes Mal zu Tisch kommen, vielleicht mal mit einer kleinen Ausnahme. Und schon esst ihr in der Regel zusammen ;-) Auch der eigene Körper setzt Grenzen: 1. Sättigungsgefühl: Darfst du gern überschreiten, wenn du anschließend mit dem Klo sprechen willst. Dann bist du um eine Erfahrung reicher. 2. Bedürfnis Fernsehen zu schauen: Wenn man zu lange schaut, dann fühlt man sich mies. Der Körper strahlt ein Signal aus, das man nur noch erkennen und richtig reagieren muss. Dieses merkt man selbst am besten. Klar, guckt ein schon immer nichterzogenes Kind anfangs auch mal zu lange (überschreitet somit die Grenze), aber es merkt bald, dass es sich damit nichts gutes tut. Wer macht das auf Dauer, wenn freie Wahl und ausreichend Alternativen bestehen? 3. Mama muss zur Arbeit: es ist Mamas persönliche Grenze ihre Arbeit im Sinne der Familie nicht zu verlieren. Dann muss sie zur Arbeit und dann ist dies so. Natürlich wird sie ihren Standpunkt noch kindgerecht erklären. Problematisch sind willkürlich gesetzte Grenzen: 1. Hochstuhl: "Wenn du da runter springst, dann tust du dir weh." Kind versucht es immer wieder. "Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann kommst du in deinen Laufstall." Kind will beweisen, dass es sich nicht weh tut. Durch Konsequenzen will es sich nicht abhalten lassen und ignoriert sie deshalb. Es springt und tut sich nix... Wat nu? "Mama hat wohl nicht recht gehabt." Passieren solche Szenen öfter, dann ist das Vertrauen hinüber und alles was Mama verbietet wird grade ausgetestet. Besser wäre gewesen: "Ich habe Angst, dass du dir weh tust." So tut man zumindest das Beweisenwollen nicht forcieren - natürlich nur wenn das Kind nicht spürt, dass Mama es wieder besser wissen will. Gleiches bei Verbot eines Filmes: Kind will gucken, Mama sagt "nein, das ist noch nix für dich." Kind guckt heimlich und wird dann noch nichtmal zu geben, wenn es wirklich nix für es wahr. Weil es geht nur um eines: Machtkampf - der Beweis, dass Mama nicht recht hat. Oder auch: Mama hat sich wirklich geirrt. Und schon ist man wieder beim Thema Vertrauen und Beweisen. Im übrigen kann eine Regel auch "ein würdiger Umgang miteinander heißen", so wie bei Johanna. Da dadurch keine Machtkämpfe oder sonstige Grenzkämpfe nötig sind, finden diese Regel wohl alle Familienmitglieder sinnvoll. Somit ist es wohl doch im Sinne der Kinder. Und alle Nicht-Erzieher scheinen es spätestens dann als Regel zu akzeptieren, wenn sie sich vorstellen können, ihr Großziel "das Großziehen" so zu erreichen. Also, dann reibe dich mal noch ein bisschen an den Grenzen in eurer Familie, um zu erkennen, welche Regel ihr wirklich braucht ;-) LG

Mitglied inaktiv - 11.01.2007, 13:24



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Huhu! Schankedön für die Stattsoleloantwort. Ich seh schon, ich stimme anscheindend doch in weiten Bereichen mit der Nichterziehung überein, uh, wollte ich das? Ich wusste nicht, dass ich Regeln aufstellen darf, das klang für mich so nichterziehungsfremd. "Problematisch sind willkürlich gesetzte Grenzen". Hmnjamnhmmm, und wie ist das, wenn ich eine Regel aufsetze (Freitag gibts Fisch! DVD nur eine am Tag), die ich provisorisch so lange aufrecht erhalte bis das Kind sich dran stößt? Ist das dann nicht mehr Nichterziehung? Ich weiß, ich nerv, aber ich würds gerne wissen, mir erscheinen die Abgrenzungen zu anderen "Erziehungen" so dünne... lg - roma

Mitglied inaktiv - 11.01.2007, 21:39



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Ich denke mal, dass es (gemäß der Nicht-Erziehung) besser wäre das Essen gemeinsam abzusprechen. Auf jeden Fall stände es dem Kind frei, ob es den Fisch mitisst oder nicht. Was die DVD anbelangt - das ist überflüssig, da das die Freiheit (bzgl. seiner Bedürfnisse) des Kindes einschränkt. Durch die Anwendung des "Konzeptes" Nicht-Erziehung lernt das Kind seinen Körper persönlich sehr gut einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Durch Vorgaben und Beschränkungen von außen verzerrt man aktiv die Bedürfniserkennung und -befriedigung. Ausnahme: Die Freiheit eines anderen wird eingeschränkt. Dann: gemeinsam! eine Lösung finden wie das Bedürfnis mit beidiger Zufriedenheit befriedigt werden kann. Wenn man die Bedürfniserkennung und -befriedigung nicht aktiv verzerrt, kann man davon ausgehen, dass das Kind auch SELBST genau einschätzen kann, was für es SELBST gut ist. Da es auch gelernt hat, dass andere auch Bedürfnisse haben und andere seine Bedürfnisse sowie die eigene Art der Befriedigung respektieren, nimmt es auch gern mal Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer. Schließlich ist es kein Kampf mehr gegeneinander sondern ein gemeinsames Miteinander. Es ist aber kein Laissez-Faire, denn die Eltern schauen schon nach den Bedürfnissen des Kindes und versuchen entsprechend dieser das richtige Umfeld (befriedigungsgeeignetere Angebote) zu schaffen. Was sie aber nicht tun: etwas vorsetzen und quasi das Kind zu seinem Glück zwingen. Dies ist dann aber auch gar nicht mehr "nötig", da die Kinder 1. ANDEREN vertrauen ("Mama will mich nicht überreden - es stimmt was sie erzählt.") und 2. ihrer EIGENEN Intention vertrauen. Dies fördert das Selbstvertrauen des Kindes und führt zu einem ausgewogenen Ich. "Ich weiß, ich nerv, aber ich würds gerne wissen, mir erscheinen die Abgrenzungen zu anderen "Erziehungen" so dünne..." Nein, du nervst nicht. Die Abgrenzungen sind auch recht dünn: Stelle dir einen Strahl vor von Laissez-Faire bis autoritär. Nach Laissez-Faire kommt Nicht-Erziehung, danach Erziehung light, danach nicht-autoritäre Erziehung,... bis hin zur autoritären Erziehung. Wahrscheinlich liegt jeder in der Summe seiner Maßnahmen zur "Erziehung" irgendwo anders auf diesem Strahl ;-) Die Erziehungs"namen" sind also Clusterbildungen einer Masse noch ähnlicher Maßnahmen. Irgendwo muss man dann halt mal die Grenze setzen. Also, sorry nochmal, dass ich geantwortet habe. Ich bin aber sicher, dass solelo auch noch antwortet - du musst nur noch ein bisschen Geduld haben. LG

Mitglied inaktiv - 12.01.2007, 09:47



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Huhu! Vielleicht ist genau das der Punkt, der mich so zwickt: "Die Erziehungs"namen" sind also Clusterbildungen einer Masse noch ähnlicher Maßnahmen. Irgendwo muss man dann halt mal die Grenze setzen." Wenn ich ein Wort wie "Nichterziehung" höre, denke ich natürlich erstmal an ein Gegensatzpaar digitaler Art (Merkmal Erziehung vorhanden/nicht vorhanden). Nach der Diskussion ist mir aber klar, dass "Nichterziehung" -zumindest für mich - wie jede Erziehungsmethode einfach eine Summe von Maßnahmen sind, die teils regulativ und erziehend, teils weniger regulativ sind - je nach AUge des Betrachters. Also eine Frage der Quantität. Ich hatte darin erst ein "Erziehungskonzept" angenommen, das sich qualitativ von den anderen unterscheidet und das ist es m.E. eben nicht. Nur ein wenig weiter links (oder rechts?) auf dem "STrahl". So finde ich übrigens den Begriff "Nicht"erziehung blöd gewählt... lg - roma

Mitglied inaktiv - 12.01.2007, 12:58