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Der ganz normale Wahnsinn

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Hallo ihr Lieben, wollte euch mal berichten, wie bei uns momentan ein ganz normaler Kliniktag, an dem Johanna Chemo bekommt, aussieht. Wir sind ja jetzt im letzten Behandlungsprotokoll, das noch bis ca. Mitte April dauern wird und fahren etwa zweimal die Woche in die Klinik zur Chemo. Johanna geht es gerade nicht gut, sie hat Schmerzen in den Füßen, ist sehr berührungsempfindlich ständig müde und hat ununterbrochen Heißhunger. Draußen kann sie nur einige Minuten sein, da sie schnell ermüdet und auch nicht lang laufen kann. Alles ist ihr zu viel und sie ist sehr weinerlich und quengelig. Hier ein Auszug aus unserem Tagebuch, Achtung lang! Ein ganz normaler Tag mit Fahrt zum Krankenhaus, hier möchte ich euch mal erzählen, wie das so abläuft. Also: wir wecken die Kinder in aller Früh, ziehen sie an und geben ihnen ihre Milchflaschen. Dann noch Medikamente verabreichen, "kurz" frühstücken, was unter Cortison eigentlich immer lang frühstücken bedeutet, dann noch Mundpflege und alles schnell einpacken, was am Vorabend noch nicht gepackt werden konnte: Schmusekissen, Schnuffelhasen, Proviant, Mundpflege usw.. Heute hat Johanna so viel in der Nacht gepiescht, dass ich schnell noch Schlafsack, Schlafanzug und Bettzeug in die Maschine stecke, damit es gewaschen ist, wenn wir zurück kommen. Dann noch mal eben zwei herumwuselnde Kleinkinder in ihre Schneeanzüge stecken, Schuhe anziehen, Mützen auf, Protest: "nein, ich will die gestreifte Mütze", also andere Mütze suchen, dann "der Schal ist zu eng", "Jacke aufmachen", immer schön ruhig bleiben, wir sind fast noch in der Zeit, Johanna: "ich will Nudeln essen, mit Tomatensoße und Kapern" - "kriegst du im Krankenhaus" - "nein, Nanna will jetzt Nudeln essen" - "du kannst ein Brötchen oder ein Würstchen im Auto essen" - Geschrei, Weinen, trotzdem ab ins Auto. So, der erste Schritt wäre geschafft. Auf der Fahrt geht´s einigermaßen, Johanna läßt sich mit den mitgenommenen Laugenbrezeln bei Laune halten, nach 75 Minuten kommen wir in Kiel an. Erstmal wie üblich ewige Parkplatzsuche, dann mit Gepäck zur Klinik, die Kinder wollen lieber in den Pfützen spielen, Johanna stapft hinein, macht nix, die Schuhe sind ja wasserdicht, aber Lilli muss natürlich ihre Hände benutzen, grrrrrr, trotzdem weiter, Mundschutz aufsetzen und ab zum Fahrstuhl. Der lässt mal wieder ewig auf sich warten und fährt uns dann in den 2. Stock. Von dort aus geht es durch lange Gänge und dunkle Flure bis zum Hämatologischen Labor, klingeln, warten, es wird uns aufgemacht, wir gehen ins Fingerpiekszimmer und Johanna fürchtet sich sehr. Lilli wird ganz still und schaut zu. Beide Kinder dürfen sich ein buntes Pflaster aussuchen, Johanna kann sich mal wieder nicht entscheiden, jammert und ist voller Angst. Endlich wird ihr kleiner Finger desinfiziert und es gibt den Pieks, der so weh tut, dass sie laut weint. Aber wir haben an die Belohnung (Gummibärchen) gedacht und damit geht es schon besser. Es dauert bis genügend Blut aufgefangen werden kann, dann noch das Pflaster drauf und erleichert machen wir uns wieder auf den Weg durch die Katakomben zum Fahrstuhl. Nun fahren wir in den 3. Stock, gehen in die Anmeldung und sagen Bescheid, dass wir da sind. Dann ins Wartezimmer der Onkoambulanz. Hier gibt es schönes Spielzeug, die Buchstabenwand hat es den Kindern besonders angetan. Außerdem trifft man oft Kinder und Eltern, die man schon von der Station kennt und so vergeht die Wartezeit meist recht schnell. Der Ambulanzarzt ruft uns herein und fragt nach Johannas Befinden. Wir besprechen das aktuelle Blutbild und dann wird Johanna noch untersucht. Das Gleiche auch mit Lilli, die die perfekte Patientin ist und den Mund ganz toll aufmachen und gleichzeitig die Zunge herausstrecken kann, damit hat Johanna noch so ihre Schwierigkeiten. Lilli braucht einen Infektstatus, um mit auf die Station zu dürfen. Alles ist o.k., wir bekommen die Akte und machen uns, nachdem wir die Zwerge wieder angezogen haben, auf den Weg nach draußen, dann wieder ins Krankenhaus, zum Fahrstuhl und hoch in den 5. Stock, wo sich die Onkostation befindet. Hier darf Johanna den Mundschutz wieder abnehmen und läuft schon voraus zum Empfangstresen, wo wir die Akte abgeben und auf eine Schwester warten, die uns Auskunft geben kann, ob wir ein Zimmer bekommen. Jetzt, wo wir oben sind, wird bei der Apotheke angerufen und die Chemos bestellt. Heute sind Vincristin und Doxorubicin dran, was immer erst geliefert werden muss, außerdem Alexan, was vorrätig ist. Wir bekommen kein Zimmer, können aber ins Computerzimmer gehen, welches gar nicht schlecht ist, denn es gibt dort ein Sofa, und wir schieben ein Bett für Johanna hinein, nachdem sich die Schwestern geeinigt haben, welches wir denn nehmen dürfen. Die Kinder wollen ins Spielzimmer und tauchen im Bällebad ab, aber Johanna bekommt schon wieder Hunger und ich hole ihr ein Brötchen. Eine Lernschwester kommt und misst Fieber, Blutdruck, Gewicht und Größe. Beim Blutdruckmessgerät ist der Akku leer, aber da ist ja eine Steckdose, also gleich nochmal. Die Waage steht im großen Bad und Lilli will auch drauf, das Größenmaß macht Johanna inzwischen auch keine Angst mehr und sie stellt sich fast freiwillig drunter. Johanna 92 cm, 13,4 kg und Lilli 89 cm, 13,5 kg, aha, beide sind wieder gewachsen. Es kommt niemand, um die Chemo anzuhängen, alle sind auf Visite und wir trinken erstmal einen Kaffee. Johanna hat schon wieder Hunger, diesmal Nudeln, aber wir haben ja vorgesorgt und brauchen die mitgebrachten Nudeln nur in die Mikrowelle stellen. Nach zwei Bissen möchte sie dann doch lieber Brei essen, kein Problem, wir haben auch den dabei. Nun geht es ihr erstmal besser. Sie isst und soll nun doch auf einmal ins Untersuchungszimmer zum Anstöpseln. Also Lätzchen ab und losgehen mit einer protestierenden Johanna, aber dann macht sie doch gut mit. Nach 15 Minuten kommen wir zurück ins Esszimmer mit Infusionsständer und eroberten Mullbinden, Stöpseln und Spritzen. Den Brei will sie nun nicht mehr, dafür lieber Kaokao, auch kein Problem, da piept das Infusionsgerät, ich klingele nach einer Schwester, die auch irgendwann kommt und den Fehler behebt. Jede Viertelstunde wird die Infusionsgeschwindigkeit verdoppelt und ich habe immer im Kopf, dass bei der Asparaginase plötzlich starke Nebenwirkungen auftreten können, aber zum Glück läuft die klare Flüssigkeit innerhalb einer guten Stunde durch und verursacht keine größeren Beschwerden. Dann kommt ein Nachlauf dran und wir warten, dass die Apotheke die anderen Chemos liefert. Es ist inzwischen Mittag und Johanna isst mit uns das Klinikessen, welches ihr dann aber doch nicht schmeckt, sie will nun doch nochmal Brei haben. Zum Nachtisch gibt´s dann Fruchtzwerge, die eignen sich hervorragend zur Verabreichung der Cortisontabletten, die ja so unglaublich bitter schmecken. Johanna macht das ganz toll und schluckt sie ohne zu kauen herunter. Dann noch schnelle einen Löffel hinterher und es ist mal wieder geschafft. Jetzt ist noch die Mundpflege dran, Gläser ausspülen, Stilles Wasser besorgen, Zähne putzen und mit der Aldiamed-Lösung auspinseln. Dann noch Ampho Moronal , das Pilzmittel, geben und gut den Mund abwischen, denn das Zeug färbt wie Teufel. Jetzt noch die Kinder wickeln. Alex zieht Lilli an und macht sich mit ihr auf den Weg zu Ikea, da Johanna sonst nicht schlafen könnte. Lilli schläft dann im Auto und Johanna ist ein wenig irritiert, lässt sich dann aber doch hinlegen. Im Computerzimmer gibt es ein schönes rundes Fenster, aber leider kann man es nicht abdunkeln, es ist also nicht einfach, in den Mittagsschlaf zu finden. Jetzt wird sie etwas ruhiger, ich soll noch ein Lied vorsingen, da piept es mal wieder und ich rufe eine Schwester. Der Nachlauf ist durch und sie kündigt an, dass die Chemos schon da seien, aber es gibt erstmal noch einen Zwischenlauf, weil momentan keiner Zeit hat, die Chemo anzuhängen. Johanna ist wieder hellwach und möchte ein Buch lesen bzw. ich soll es ihr vorlesen. Ich muss nun aber endlich mal auf´s Klo und hoffe, dass sie in meiner Abwesenheit zur Ruhe kommt und einschläft. Als ich zurück bin sitzt sie im Bett und spielt. Jetzt will sie warmen Kaokao trinken, gut, mache ich. Kaum aus dem Zimmer piept es wieder, oh, hatte den Stecker nicht eingesteckt und der Akku vom Infusionsgerät will Strom. Als ich wiederkomme trinkt Johanna in meinem Arm liegend ihren Kaokao und schmust hingebungsvoll, vielleicht schläft sie ja doch noch ein. Da geht die Tür auf und eine Ärztin kommt, um die Chemo anzuhängen. Ich bin zumindest froh, dass es weitergeht. Erst gibt es Vincristin in Form einer Injektion durch den Katheter, dann kommt das Doxorubicin als orangene Flüssigkeit, das etwa 1,5 Stunden läuft. Die Chance auf einen Mittagsschlaf ist nun endgültig vorbei und ich lese mit Johanna Bücher und singe ihr etwas vor. Als Alex und Lilli wiederkommen läuft die Chemo immer noch und die Kinder freuen sich, sich wiederzusehen. Jetzt wollen sie mit den Bobbycars über den Flur fahren, eine schöne Abwechslung, aber nicht immer ganz einfach mit dem Ständer hinterher zu kommen, noch dazu wenn ein Rad klemmt. Endlich piept es wieder, die Chemo ist nun durch und ich rufe wieder eine Schwester. Sie hängt den Nachlauf dran und von nun an müssen wir noch zwei Stunden bleiben, für den Fall, dass Nebenwirkungen auftreten. Der Nachlauf ist schon nach 15 Minuten durch und wir fragen, ob jemand Zeit hat, Johanna abzustöpseln. das geht dann auch recht zügig und endlich kann sie sich wieder eigenständig ohne "Leine" bewegen. Aber sie ist inzwischen auch sehr übermüdet, was ihren Hunger jedoch nicht geringer macht. Sie isst nun erstmal Salzstangen und wir trinken nochmal Kaffee. Endlich mal etwas Zeit, mit anderen Eltern zu reden, was auch eine schöne Abwechslung ist. Ich denke auch oft an die anderen Kinder und bin immer froh, zu hören, wie es ihnen geht. Als die zwei Stunden um sind packen wir unsere Sachen, räumen so gut es geht das entstandene Chaos wieder auf und wickeln die Mäuse. Dann anziehen, Mundschutz auf und runter mit dem Fahrstuhl. Johanna will unbedingt eines der Spielzeuge mitnehmen, o.k., wir können es ja nächstes Mal wieder zurück bringen. Durch das Cortison ist sie momenatn überhaupt nicht kompromissbereit und wir versuchen, den Stress für sie und für uns so gering wie möglich zu halten. Unten mache ich noch einen Termin für nächste Woche, was geschlagne 10 Minuten dauert. Alex ist derweil mit den Kindern zum Auto und hat sie mehr oder weniger erfolgreich von den Pfützen fern gehalten. Ich steige ein und sie bekommen wieder was zu essen in die Hand. Lilli schläft nach 10 Minuten ein und Johanna isst. Zu Hause angekommen will Johanna sofort Nudeln. Noch in Mantel und Schal setze ich Wasser auf und ziehe erstmal die Kinder aus. Alex wirft die nasse Wäsche in den Trockner, hoffentlich ist der rechtzeitig zum Schlafengehen fertig. Jetzt noch eine Sauce kochen, aber das geht relativ schnell, nur Johanna ist inzwischen außer sich vor Hunger und schreit. Alex deckt den Tisch und beschäftigt die Kinder während ich ans klingelnde Telefon gehe. Dann sind endlich die Nudeln fertig und wir können essen. Johanna will NUR Kapern, keine Nudeln, keine Gemüse. Jeder Bissen ist schwierig, denn sie kann nicht ausschließlich Kapern essen, davon wird sie ja nie satt. Jetzt noch ein Fruchtzwerg mit Cortison und Cotrim, das Antibiotikum. Nun können die Kinder Petterson und Findus und danach den Sandmann schauen, während ich die Küche einigermaßen wieder in Stand setze. Johanna bekommt noch ein Schmalzbrot und möchte nun aber doch lieber eine Suppe. Kein Problem, wir haben ja Heisse Tasse, ist im Nu fertig. Sie will aber nur "Dünnes" und schreit, als sie eine Nudel abbekommt. Wir bereiten schon mal die warme Milch vor, wickeln, waschen und ziehen den Kindern ihre Schlafanzüge an. Jetzt noch die warme Milch, aber Johanna will ihren Schlafsack nicht anziehen. Dann geht es aber doch und nun noch die Mundpflege. Jetzt geht es endlich ins Bett, wo die Kinder ohne Protest sofort einschlafen - wen wundert´s? So läuft ein ganz normaler Kliniktag ab, der ganz normale Wahnsinn also.


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Wirklich Wahnsinn! Ich kann mir nicht vorstellen, wie viel Kraft euch das kosten muss. So wünsche ich euch, dass es bald vorbei ist und Johanna dann ihre Krankheit überwunden hat und eine "normale" Kindheit verleben kann. Jutta


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Hallo Merle, da fehlen einem die Worte. Man liest viel Kraft aus deinem Bericht und die wünsche ich Dir und Deiner Familie aus ganzem Herzen.Hoffentlich hat Eure kleine Maus es bald überstanden und ihr könnt ein ganz normales Familienleben geniessen.Alles Liebe, MIJA


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Wahnsinn, als nicht betroffener erfährt man ja über solche Abläufe recht wenig. Was das für euch bedeutet kann ich mir vermutlich nur ansatzweise vorstellen. Darf ich fragen, wie das alles angefangen hat und was deine Tochter für einen Krebs hat? Ich wünsche deiner kleinen Maus, dass sie ganz schnell den Krebs besiegt und ihr das alles gut übersteht. Lass dich mal drücken! Eine nachdenkliche Silke mit ihren 3 Mädels Svenja (7/98), Julia + Laura (11/03)


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Liebe Merle, ich habe gerade ausführlich deinen Tagesbericht gelesen und bewundere Euch für Eure Kraft, Geduld und Ausdauer die ihr da aufbringen müßt. Ich verfolge ständig deine Berichte und lese auf euer HP in Johannas Tagebuch. Wie klein sind da doch unsere Sorgen und unser "Streß" den wir tagtäglich erleben. Ich wünsche Euch weiterhin ganz viel Kraft für die kommende Zeit und viele schöne und lustige Stunden mit deinen Beiden! Liebe Grüße Conny mit Nelly & Nino


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Hallo Silke, Johanna leidet seit September 2005 an ALL, Akute Lymphatische Leukämie, also Blutkrebs. Es begann mit einem unbestimmten Infekt, hohem Fieber, das sich nicht senken ließ, Nahrungsverweigerung usw., so dass wir uns in eine Klinik einweisen ließen. Antibiotika schlugen gar nicht an und wir mussten um ihr Leben bangen. Vier Tage nach den ersten Anzeichen stand die Diagnose, für uns der absolute Schock und Alptraum, aber noch stecken wir mitten drin und ich frage mich immer mal wieder, ob denn nicht endlich mal jemand kommen kann, um uns aus diesem Traum zu wecken, aber das passiert natürlich nicht. In fünf Jahren werden wir hoffentlich davon ausgehen können, dass sie den Krebs besiegt hat, hoffentlich. Alles Liebe Merle & Co.


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wir wünshen euch weiterhin alles gute und kraft,kraft, kraft. aber ihr meistert das so super, es ist wahnsinn! liebe grüße mici mit jasmin, anna und denise


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Wahnsinn !! ich drücke Eurer kleinen Maus die Daumen ,dass sie wieder gesund wird. Woher aus Schleswig Holstein kommt ihr ?? LG Kauko


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Hallo Kauko, wir sind aus der Flensburger Ecke, kommst du auch aus SL-H? LG Merle & Co.


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Ich komme direkt aus Flensburg :-) Vl hast ja Lust mal zu mailen ?! testerli@web.de LG Kauko