Elternforum Aktuell

@58er

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Liebe 58er! Ich beschränke mich nun auch auf Bruchstücke, die großen Zusammenhänge überlasse ich in diesem Posting bequem Patrik Schwarz. ;-) * „Wenn Du mir jetzt auch noch die Illusion raubst …“ Nichts wollte ich mit meinem Posting weniger als Dir „die Illusion“ rauben. Ganz falsch gedacht, 58er. Viel lieber wäre mir, ich bekäme etwas von Dir davon. ;-) Und überhaupt: „Illusion“?!?. Die Illusion einer festen Haltung mit „selbstbewusst durchgebogenem Rückgrat“ ist so viel oder wenig eine Illusion wie Du, 58er-mit-einer-festen-Haltung-mit-selbstbewusst-durchgebogenem-Rückgrat, eine Illusion bist oder (ich würde sagen: eher ;-) nicht bist … Überhaupt scheint mir das ein wenig das Missverständnis in Deiner Lesart meines Postings zu sein: ich persönlich finde, Du hast keinerlei Anlass, an Deinen Auftritten hier irgendetwas zu ändern. Weder an Deiner Art des Standpunkthabens und -einnehmens, noch in der Art, ihn (bisweilen auch "laut" ;-) mitzuteilen. Denn wie immer Du es anstellst, worum es auch immer gerade gehen mag, wie wenig ich Deine Meinung manches Mal auch teilen mag: ich (und ich behaupte kühn, auch andere User hier) fühle mich dennoch immer (!) mit Dir verbunden. Es ist für mich immer erkennbar, worum es Dir geht. Und dass es Dir dabei am wenigsten um Dich und am allerwenigsten g e g e n Deinen Diskussionspartner geht. Für mich gelebter Humanismus (weil Du ihn schon ins Spiel bringst ;-) -- im Gespräch, sozusagen. An dem ich mich freue, der mir gefällt, meist Spaß macht, dessentwegen ich manchmal sogar extra hier hereinschaue, und den ich gar nicht anders möchte, 58er. Allein: es ist „Deins“.:-) * Unterschied: Haltung, Standpunkt. Haltung ist für mich sozusagen das Übergeordnete. Sie kann dem jeweiligen Standpunkt die prinzipielle Verortung geben. Sie kann aber auch fehlen. Einen Standpunkt, eine Perspektive dagegen habe ich immer. Wie könnte ich (logisch) nicht?! … Hm, machen diese Aussagen für Dich Sinn? ... Vielleicht anders: man könnte sagen, der Unterschied zwischen uns beiden liegt in der Art des „Angriffs“ in der Diskussion. Mein Eindruck ist: Du greifst an mit einem konkret zu Verteidigenden im Rücken, ich greife an, ohne etwas konkret zu Verteidigendes im Rücken. Nun könnte man einwerfen, dann sei mein Angriff ja der reine Selbstzweck. Ich meine nein; auch mir geht es um mehr als nur um mich, es geht mir, wenn Du so willst, um die Integrität von "Wahrheit" oder besser: um die Integrität eines Wahrheitsbegriffs, der die Ehrfurcht vor ihr und den Widerwillen gegen ihren Missbrauch miteinschließt. ... Ich gestehe, mir ist in meinem Leben bisher wenig untergekommen, was ich unter dem, was ich für letztgültig und allen Zeitläuften enthoben für „wahr“ halten kann, unterzubringen vermochte. (Mein klares Nein zur Todesstrafe, zur Folter, zum Klonen von Menschen, mein Nein zu Rassismus, mein Ja zu Toleranz (,die immer die Freiheit Andersdenkender (!) meint), zu absoluter Meinungsfreiheit und Demokratie gehören zum Beispiel dazu. In etwa da endet meine persönliche Liste aber auch schon …) * Wenn ich in diesem Zusammenhang von „Naivität“ spreche, die ich meinem Bild von Dir beimenge, meine ich Deine (im positiven Sinne) Anbindung an eine Moral „früherer Zeit“ (so "weit weg" kommt sie mir jedenfalls manchmal vor), mit klar umrissenen Kategorien wie „Gut“ – „Böse“, „Wahr“ – „Falsch“, u n d ich meine damit Deine unverrückbare Überzeugung, dass bei allem, was Dir und Deinen Mitmenschen, also uns, schurkisch vorkommt, der Schurke auch dingfest zu machen sein müsste. Ich glaube, hier unterscheiden wir uns wohl am deutlichsten. Ich kann „den Schurken“ in all der Vernetztheit der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in nahzu allen Lebensbereichen unserer (Welt-)Gesellschaft leider nicht ausmachen. Und im konkreten Klum/La Roche-Beispiel hätte ich genau dieselben Fragen wie Du („WARUM redet eine klum, eine schöneberger, ein blubb oder ein blabb das oder jenes x-beliebige? oder gar schein-x-beliebige? warum DARF eine klum, eine schöneberger überhaupt etwas reden?“), aber keine Antwort, die mich befriedigen würde. (Ist es der Programmchef von (Sat1/)ProSieben, der halt mal spontan – weil gerade keine andere zur Hand war - die fixe Idee hatte, man könnte es doch mit Heidi im Programm versuchen? Sind es „wir“ Zuschauer, die im Zuge einer Marktanalyse an irgendeiner Stelle einer dösseligen Umfrage zu Protokoll gaben, dass wir Castings und die Emotionen dahinterdavorunddabei sooo toll finden, woraufhin in den entsprechenden Sendern flugs eine Maschinerie in Gang gesetzt wurde, die „uns“ genau das gibt, wonach „wir“ verlangen? Ist es Heidis Management, das den Marktwert/die Quotenbringchancen seines Produkts „Heidi Klum“ frech taxierte, gezielt einsetzte, vielleicht eh schon ein paar schicke Kontakte im Sendehaus hatte und so geschmeidig offene Programmplatztüren einrannte? Oder ist es das synergetische Konglomerat aus Boulevard-Print und –Fernsehen, bei dem man am Ende nicht mehr recht auseinander bekommt, wer hier wen ins Quoten-/Auflagen-Hoch gehypet hat. Oder oder …?? Fest steht: Wir haben Heidi im Hirn. Und irgendwer oder irgendwas hat aus irgendwelchen Gründen dafür gesorgt, dass wir sie im Hirn haben. Und ich hab ehrlich (!) keinen Plan, wer oder „was“ es war.) Und genau das ist für mich so symptomatisch für unsere Zeit. Das macht so mürbe in der kritischen Auseinandersetzung mit ihr. Von „Masken runterreißen“ schreibst Du. Demaskieren – hmhm, find ich gut, 58er. Ich bin gerne dabei. Ich krieg nur keine von ihnen so recht zwischen die Finger. Es sind so viele … … Und was macht man, wenn man in einem Spiel mitspielt, dessen Regeln man irgendwie nicht mehr kennt? Man fängt an zu verzweifeln oder albern zu werden. Und ich glaube, unser (Comedy-)Gekicher, unser selbst-/ironisches (und dabei nurmehr um-uns-selbst-kreisendes) Plänkeln, unser „Mannmannmann-Du-wirst-das-doch-jetzt-nicht-so-bierernst-nehmen-wir-haun-hier-nur-lustige-Sprüche-raus-komm-mach-schon-mit-oder-zieh-besser-ab!“ hat etwas mit diesem seltsamen Zustand zu tun ... *“ -ismen mag ich auch nicht. aber ich glaube, das denkst du manchmal von mir, oder?“ Ich hoffe, diese Frage hat sich ein wenig durch das bereits Geschriebene beantwortet. Nein, 58er, ich empfinde Dich nicht als dogmatisch und auch nicht als -istisch … wobei: vielleicht misstrauistisch? ;-)). Nun hat Dein Misstrauen zwar Instinkt aber keine eindeutige Richtung, es hat Verve, aber keinen eindeutigen Adressaten. Und deshalb (nur deshalb) wirkt es auf mich bisweilen diffus oder „naiv“ und wird nichtsdestoweniger gebraucht. … Ich jedenfalls brauche es. :-) * Abschließend auch meinerseits eine kleine Anekdote zu Ismen und ihren sektiererischen Gruppenstrukturen. Was bei Dir die friedensbewegte Studentengruppe war bei mir das UStA-Frauenreferat der Universität. Ich war 1993 etwa ein dreivierteljahr in diesem siebenköpfigen Gremium dabei. Mein Engagement war dann meinerseits ziemlich abrupt beendet, als man die Frage, ob das bisher so genannte Frauenreferat nun künftig „Frauen- und Lesbenreferat“ oder „FrauenLesben-Referat“ oder „LesbenFrauen-Referat“ oder „Frauenlesben“ oder – Du ahnst es schon: „Lesbenfrauen“-Referat heißen solle, tatsächlich für würdig befand, eine extra Uni-Frauen-Vollversammlung(!) einzuberufen. ... Nichts anderes auf der Tagesordnung als eben diese Frage ... uff! Die Diskussionen b i s zur Vollversammlung waren so erquicklich wie die bizarre Uni-Frauen-Vollversammlung selbst, zu der sich dann etwa 30 Frauen im Riesenhörsaal leicht verliefen. Wirklich 58er, ich mag ungern Interna aus dem Kuriositätenkabinett des Feminismus dem Verriss der „falschen Seite“ preisgeben, dazu hängt mein Herz zu sehr an der Idee der prinzipiellen Gleichberechtigung von Mann und Frau, aber ich kann wohl sagen, es war mit all ihren großen und kleinen Wahnwitzigkeiten (die verzeifelt-komische Überlegung inbegriffen, ob man anlässlich der Frauentags-Demo den Rock im Schrank oder andernfalls die Beine besser unrasiert lassen sollte, um peinlichen Befragungen durch Mitdemonstrantinnen aus dem Wege zu gehen) eine Erfahrung, die mir die Arbeit in einer Gruppe mit jedwedem „–ismus“ hintendran für (voraussehbar) alle Zeiten gründlich verleidete. (Ich habe ein paar weitere Jahre gebraucht, um für mich zu erkennen, dass ich das nicht zufällig, halt in d i e s e r Gruppe so erfahren habe -- Ismen funktionieren so oder kommen früher oder später da hin … meine ich. :-( … So, 58er, und jetzt viel Spaß mit Patrik Schwarz und seinem Text … einer, bei dem ich mir wie schon lange nicht mehr „erwischt“ vorkam. *schnaub* (Du dürftest da besser wegkommen, meine Liebe ;-) Die Anne Will in uns Von Patrik Schwarz | © DIE ZEIT, 20.09.2007 Nr. 39 »Wir sprechen nächste Woche weiter«: Moderatoren regieren nicht nur im Fernsehen, ihr Stil dominiert das Land. Leider. Reden wir nicht über Anne Will. Ginge es nur um ihre Talkshow, das Wesentliche wäre schnell gesagt: Keine Anfängerfehler, keine Anlaufschwierigkeiten, die Sendung fühlt sich an wie schon immer da gewesen. Das ist der Erfolg, das ist die Niederlage dieser Premiere. Die erste Ausgabe von Anne Will, die am vergangenen Sonntag rund fünf Millionen Zuschauer anlockte, hätte auch die 500. Folge sein können. Nur eine Entscheidung der Moderatorin ist von Bedeutung über die Welt des Fernsehens hinaus – sie ist Moderatorin geblieben. Nun gehorcht sie dem Gebot des Metiers: Beziehe keinen Standpunkt, und wenn du einen hast, lass dich dort nicht erwischen. Damit führt Will in zweiter Generation die Geschäfte ihrer Vorgängerin Sabine Christiansen weiter und sichert eine Dynastie, die hierzulande die Meinungsmacht ausübt: die Herrschaft der Moderatoren. Moderatoren regieren nicht bloß im Fernsehen, sie sind längst in allen Lebensbereichen zu finden. Illner, Will, Maischberger oder Beckmann (Plasbergs Premiere steht noch aus) – sie sind nur die offensichtlichen, oft auch zu Unrecht gescholtenen Exponenten dieser Kaste. Der Moderator ist der Idealtyp der Multioptions-Gesellschaft. Er steht im Mittelpunkt von Macht und Aufmerksamkeit und nimmt doch keinen Schaden an den Auseinandersetzungen um ihn herum, denn er moderiert ja bloß. Dieser gesellschaftliche Typus ist anzutreffen unter Politikern so oft wie unter Publizisten, unter Managern wie unter Politaktivisten, und selbst wir als Bürger müssen uns die Frage gefallen lassen: Haben wir eigentlich politisch eine Haltung, oder moderieren wir nur noch die Gäste unserer inneren Talkshow? So gilt die Kritik nur stellvertretend dem Polittalk und seinen Showmastern. Doch dort, auf offener Bühne und unter den Scheinwerfern der Öffentlichkeit, werden die Wirkungsweisen, die Fallen und Verlockungen der Herrschaft des Moderatismus besonders augenfällig. Anne Will hat das Mantra dieser Klasse zum Ende ihrer Sendung formuliert: »Wir sprechen nächste Woche weiter.« Politik ist ihnen nicht Verfechten von Standpunkten und Richtungen, sie sehen sich als Gastgeber, und kommen darf, wer immer ins Programm passt: Minister, Mütter, Kardinäle. Moderatoren ergreifen nicht Partei, sie bereiten der Macht nur die Manege. Sie haben unbestreitbar Mut, aber ihr Mut ist der von Dompteuren, nicht der von Akrobaten: Sie lassen antanzen, auftreten, abtreten, und dafür ist ihnen Applaus gewiss. Ihre sorgsam gewahrte Nichtidentität ist die Voraussetzung ihres Ruhmes, sie sind Meinungsmacher ohne eigene Meinung. Moderation ist Demokratie – und damit auch eine Erfolgsgeschichte […] Im Spektrum zwischen ideologischer Verhärtung und pragmatischer Beliebigkeit war Moderation lange Zeit ein völlig legitimer, auch anständiger Balanceakt. Moderation als Herrschaftsform taugte überdies als Strategie zur Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe. Diese Erfahrung hat, neben der Mittelgeneration der Endvierziger, auch eine zweite Gruppe gemacht: Zwar werden Frauen bis heute selten Intendant, Fernsehdirektor oder Chefredakteur. Doch dank ihres Sessels im Studio stechen Maybrit Illner, Anne Will, Sandra Maischberger oder Marietta Slomka ihre männlichen Vorgesetzten bei Weitem aus. 40 Jahre nach 1968 und 60 Jahre nach Simone de Beauvoirs Anfängen allerdings sind die Gegner von einst nicht mehr dominant und viele Schlachten längst gewonnen. Es gibt viel weniger Grund zu Vorsicht oder Zurückhaltung. Moderation als Tugend der Machtlosen wirkt heute vielfach aus der Zeit gefallen. Trotzdem lebt sie als politischer Habitus einfach fort. Als gesellschaftliche Diskursform hat sie weiterhin ihre Stärken – sie lässt andere Meinungen gelten, sie befruchtet und befördert die Abwägung der Argumente – aber sie scheut die Festlegung, die Parteinahme, den Schlusspunkt. »Nächste Woche sprechen wir weiter.« Das wäre nicht weiter schlimm, ginge darüber nicht ein Wesenskern von Politik verloren. Politik ist eine ungezähmte Kraft, allein schon darum, weil sie ins Unvorhersehbare strebt. Wer Politik vorrangig zu domestizieren sucht, wer Politiker in Formate presst und in ritualisierte Gefechte wie vergangenen Sonntag den Wortwechsel Rüttgers versus Beck zum Thema Mindestlohn, der nimmt ihr den ungewissen Ausgang. Das Risiko des Offenen macht aber gerade den Reiz der Politik aus. Vor allem ist die Bereitschaft zum Risiko Voraussetzung für das Gelingen von Politik. No risk, no fun? – Nein: No risk, no politics. Was den Moderator ausmacht, ist die beharrliche Unwilligkeit, eine Position für länger einzunehmen als die Dauer einer Frage. Eine Minute dreißig, mehr nicht. So gesehen herrscht in Deutschland kein Mangel an Standpunkten, nur fest dürfen sie nicht sein. Auch da war das Fernsehen Vorreiter und gebar uns in Sabine Christiansen die Königin des flexiblen Standpunkts. Und in der Tat, warum sollte die Dame in Beige verlässlicher sein als der Rest von uns: Warum eigentlich glaubten wir vor Kurzem noch an den Untergang Deutschlands, falls Hartz IV ausbleibe, und halten das Ganze jetzt doch irgendwie für »ein Desaster« (wie Jürgen Rüttgers)? Und sind wir nächstes oder übernächstes Jahr wirklich noch so überzeugt von der Notwendigkeit des Afghanistaneinsatzes wie diese Woche im Kopfschütteln über den grünen Parteitagsbeschluss? Moderatoren sind von Naturell und Aufgabe her berufsmäßige Risikovermeider. Im Fernsehen wird das nur besonders deutlich. Hier wird die Konfektionierung der Politik sichtbar, die anderswo unauffällig vonstattengeht: Meinung kommt von der Stange, hübsch aufgebügelt und ordentlich zusammengelegt – soll ich sie Ihnen einpacken, oder nehmen Sie sie so mit nach Hause? Dass Moderation und Haltung sich nicht grundsätzlich ausschließen, ist darüber offenbar in Vergessenheit geraten. Das Problem vieler Sendungen macht sich schon daran fest, dass man als ihren Ahnherrn niemals einen Günter Gaus vermuten würden, sondern eher Hans-Joachim Kulenkampff. Und während Gaus’ Sendung die gedankliche Konzentration auch stilistisch anzusehen war, setzen die aktuellen Talks durch immer neue Einspielungen, Schnitte und Sofawechsel auf eine hartnäckige Zerstreuung der Aufmerksamkeit. Prompt verfallen die geladenen Politiker in Extremzustände: Entweder sie huldigen einem wilden Thesenrittertum und präsentieren sich dabei als Karikaturen ihrer selbst, oder sie werden selbst zu Moderatoren. Im Fernsehstudio geben sie dann den Mann (oder die Frau) des Ausgleichs, herzen Hartz-IV-Empfänger und Agenda 2010 zugleich. Und sie beschränken sich dabei nicht auf Kameraauftritte. Schließlich ist die Rolle des Moderators auch in vielen Politikern angelegt und eine stete Versuchung, den Widrigkeiten der politischen Auseinandersetzung zu entgehen. Und nach dem Minister oder Abgeordneten, ja auch dem Kanzler im Gewande des Volksverstehers besteht durchaus Bedarf beim Publikum. Seit wir an Kaiser und Könige nicht mehr glauben, kommt der Moderator der Sehnsucht nach einem überparteilichen Schirmherrn über unsere Belange schon recht nah. Die Vorstellung von Günther Jauch als Bundespräsident ist für viele Deutsche kein Scherz. Moderation als Lebensform passt in die Zeit: Wer weiß schon, was wahr ist und was falsch im Zeitalter der Unübersichtlichkeit? Und, vor allem, ist es nicht mühselig und immer auch ein wenig peinlich, anderen die eigenen Einsichten als definitiv zuzumuten? So moderieren sich gerade vermeintliche Gralshüter der Gewissheit dieser Tage meist erst selbst ab, wenn sie das Wort ergreifen: Kirchen- wie Parteiführer, eigentlich zur Mission berufen, erkaufen sich öffentliches Gehör mit der Beteuerung, nicht missionieren zu wollen. Gleichzeitig verwässern sie damit genau jenen Wahrheitsanspruch, der sie vom Jahrmarkt der Meinungen abheben könnte. Wer soll euch glauben, wenn ihr euch nicht selbst glaubt? Damit sei nichts gesagt gegen die Notwendigkeit zum steten gedanklichen Austausch mit anderen, auch Umdenken ist keine Schande. Doch kann umdenken eben nur, wer zuvor schon mal mit dem Denken angefangen hat. Oft hingegen verrät zu viel zur Schau gestellte Diskursfähigkeit lediglich eine geistige Unwilligkeit, zu Potte zu kommen mit jener unvermeidlichen Wirrnis in sich selbst und der Welt. Onlinedurchsuchung und Familiengeld, Pendlerpauschale und Föderalismusreform, schon mit der Darstellung der widerstreitenden Lösungsvorschläge sind selbst gut Informierte überfordert. Manchmal lieben wir den Irrgarten unserer täglichen politischen Verwirrung auch nur so sehr, weil er uns das Eingeständnis erspart, dass wir mal wieder die Orientierung verloren haben. Viele Medien tragen der Verwirrung Rechnung, indem sie das Verhältnis von oben und unten, Herrscher und Beherrschtem umdrehen. Mit wenig prunkt das Ersatzparlament Talkshow lieber gegenüber den originären politischen Institutionen als mit dem Anspruch der Bürgernähe. Nicht länger fordern allein die Eliten vom Volk, das Volk fordert längst zurück. So hat auch Anne Will neben den Halbkreis harter Schalensitze für die politischen Diskutanten eine helle Couchgarnitur ins Studio stellen lassen, wo der Bürger (bevorzugt in seiner weiblichen Ausprägung) und der unfehlbare Experte (»Wie ist es wirklich, Herr X?«) platziert werden. Spätestens wenn das Volk auf der Couch liegt, bricht auf den Hartschalensitzen Betroffenheit aus. In der Demokratie gehört die Unterwerfung des Regenten unter den Bürger zum guten Ton, selbst wenn der Bürger unrecht hat. Der Anbetung des Wählers durch den Politiker entspricht die Verehrung des Moderators für seinen Gesprächspartner »aus dem wirklichen Leben«. Gute Moderatoren wirken dabei durch die Wirklichkeit. An ihren Pausen kann man sie erkennen: Sie geben dem Ungeplanten Raum und den Gästen Zeit. Tatsächlich regiert allzu oft das Prinzip Stimulation durch Simulation. Dass gerade die Laienauftritte sorgsam – und sichtbar – einstudiert sind, ist nicht einfach den Zwängen des Mediums geschuldet. Der Zwang zur Choreografie ist selbstauferlegt, das Bemühen um zellophanverpackte Gefühle – gut sichtbar, aber nicht schmutzend, bitte – erinnert an die Nachmittagsshows der neunziger Jahre. Geboten wird Moderation in Potenz: Im Angesicht der bestellten Betroffenen waltet der Gastgeber als Moderator seiner eigenen Betroffenheit. Was die Herrschaft der Moderatoren sicher begünstigt, ist die Tendenz zu zerfallenden Öffentlichkeiten. So ist es kein Wunder, dass ihre natürliche Domäne das Fernsehen ist, das in seiner Zersplitterung auf unzählige Kanäle nur vom Internet überboten wird. Selbst Anne Will, deren Sendestart nach allen üblichen Maßstäben als erfolgreich galt, erreicht lediglich 18 Prozent der Fernsehzuschauer. Die technische Zersplitterung aufseiten der Sender zieht leicht die gedankliche Zerfaserung aufseiten der Empfänger nach sich. Wo eigene politische Überzeugungen fehlen, wächst die Nachfrage nach den wöchentlich wechselnden Meinungslieferungen. Doch Achtung, Talkshows stärken den Affekt und schwächen die Urteilskraft. So lautet der begründete Selbstzweifel in einer medial überversorgten, aber informativ unterversorgten Gesellschaft: Sind wir argumentativ überzeugt oder nur affektiv? Den Moderatoren wiederum müssen sich fragen: Können oder wollen sie nicht anders? Der Sachzwang ist dabei des Moderators liebste Zuflucht. Während er andere gern an einem ins Weltfremde übersteigerten Ideal misst, schätzt er seine eigene Entscheidungsfreiheit so gering ein, dass garantiert kein Entkommen ist. Es kann nicht jeder ein Überzeugungstäter sein, heißt es dann gern. Und in der Tat, einen Rückfall in Fundamentalismus, in autoritären Diskurs und starre Fronten würden weder die Zuschauer im Fernsehen goutieren noch die Wähler in der Politik. Und Politiker als TV-Moderatoren von Lothar Späth bis Michel Friedman taten sich mit ihrem Rollenwechsel nicht leicht. Doch als Kronzeuge für einen immerwährenden Moderatismus taugt der Bürger ebenso wenig. Ob Klimaschutz oder globale Gerechtigkeit, es gibt durchaus Anzeichen für die Rückkehr eines vorsichtigen Idealismus, ein zögerliches Herantasten vieler Leute an die Idee, es könnte doch eine Unterscheidung geben zwischen richtiger und falscher Politik. Moderatoren muss es geben. Im Management halten sie Entscheidungen offen, bis die Umstände reif sind. In Politik, Kultur und Medien öffnen sie Räume zum Nachdenken. Ihre Stärke ist es, voreilige Festlegungen zu vermeiden, den Kreis der Mitspieler zu erweitern und Möglichkeiten in der Schwebe zu halten. Sie sind Hüter der Offenheit, aber eben auch Herrscher der Leere. Sie brauchen stets andere, die die Formen füllen. Damit sind sie Profiteure des Thesenmutes ihrer Zeitgenossen. Was geschähe, wenn Politiker den Charme der Klarheit entdeckten? Können Moderatoren sich wandeln? Was würde wohl passieren, wenn eine Anne Will oder Maybrit Illner plötzlich das Fragen aufgäbe und das Reden anfinge? Wenn nicht mehr Rüttgers mit Beck und Henkel mit Gysi fechten müsste, sondern die Moderatoren die Konfrontation suchten mit Gästen, die sie wirklich interessieren oder aufregen? Und was wäre, wenn Unternehmer oder Politiker oder Publizisten den Charme der Klarheit, die Kraft der Inhalte für sich entdeckten? Sie würden, das ist gewiss, zunächst Verwirrung stiften. Sie würden plötzlich all die Pfeile auf sich ziehen, die bislang gefahrlos an ihnen vorbeizischen wie Tennisbälle am Linienrichter. Sie müssten eine Grundlinie finden, Position beziehen und die Regeln des Spiels präzisieren. Aber wer weiß, vielleicht wären ja eher mehr Zuhörer interessiert als weniger. Vielleicht würden Moderatoren, die bisher mit ihrer Persönlichkeit hinterm Berg hielten und eindeutige Standpunkte grundsätzlich mieden, sich entwickeln, würden im Laufe der Zeit Seiten entfalten, die bislang nur in Zufallsmomenten des Kontrollverlusts aufblitzen, würden sich erproben und verändern und am Ende Profil erkennen lassen – jenes Profil, das man bisher allenfalls erahnen kann. No risk, no fun.“ Liebe Grüße, Feelix (erst ab Montag wieder „am Platz“ :-)


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Antwort auf diesen Beitrag

*popcorneinwerf* Ich bleibe mal schön in der neutralen Ecke und verfolge diesen Schlagabtausch sehr interessiert und bin begeistert: Mädels, mit euch beiden macht das Aktuell endlich wieder Spaß! Hoffentlich nehmt ihr es mir nicht krum, dass ich eure Beiträge zur Zeit nur so aufsauge... Eines Kommentars inhaltlicher Art möchte ich allerdings zunächst enthalten... Alles Liebe euch beiden, W