Die letzte, die aussteigt

Liebe Leute Ich war nicht wie geplant heute beim Arzt. Ich war schon am Mittwoch beim Arzt. Leider war mir in der Nacht von Montag auf Dienstag schon plötzlich sehr unwohl, übel und ich hatte krasses Bauchweh, konnte nicht mehr schlafen. Dienstag habe ich mich krank gemeldet und den Tag auf dem Sofa verbracht. Mittwoch war es etwas besser, aber das Bauchweh machte mir doch Sorgen (und meinem Mann und meiner Mutter ebenso), es fühlte sich nicht so an, als sei alles in Ordnung. Es fühlte sich eher so an wie im März die Fehlgeburt, nur dass im März erst Blutungen kamen und später erst das Bauchweh. Als dann Mittwochmorgen auch etwas Blut gekommen ist, bin ich sofort zur Ärztin gefahren. Eigentlich wusste ich da auch schon Bescheid - obwohl natürlich Blutungen und Bauchweh auch harmlose Ursachen haben können. Und so war es dann auch. Die Ärztin nahm mich sofort dran und machte einen Ultraschall. Sie sagte mir, dass sie keine Herzaktivität mehr feststellen könne. Sie zeigte mir auf meinen Wunsch hin auch den Monitor und da sah ich das kleine Kerlchen schwimmen, klar als werdendes Baby erkennbar, aber bewegungslos und ganz ruhig. Ich war 11+5, die Messung zeigte 9+6 an, also war es wohl schon seit einer kleinen Weile nicht gewachsen, Messfehler mit eingerechnet wohl schon mindestens eine Woche lang. Wir waren einer Meinung, ein bereits 2,5 cm großes werdendes Kind wollte ich nicht auf natürlichem Wege rauskommen lassen. Ich habe dann die Uni Klinik angerufen. Diese haben für mich nachgefragt und mir gesagt, ich könne umgehend zum Vorgespräch kommen, die OP würde aber frühestens am Folgetag vorgenommen werden. Ich habe meinen Mann angerufen, der nur rief: Ich bin sofort bei dir! Und sich auf den Weg machte. In der Anmeldung in der Klinik war auch schon die Frau in der Aufnahme superfreundlich, mitfühlen und respektvoll. Als sie erfuhr, warum ich da war, sah sie mich einige Sekunden und ernst und sehr mitfühlend an (aber irgendwie nicht mitleidig, wenn ihr den Unterschied versteht) und machte dann mit der Aufnahme weiter. Mein Mann kam dann auch und wir saßen da ganz kuschelig Händchen haltend auf das weitere Prozedere wartend. Die Ärztin hatte auch sehr bald Zeit und war ebenfalls wahnsinnig nett und respektvoll. Sie sagte ganz klar, dass ich keinerlei Schuld trüge und nichts hätte machen können. Sie untersuchte mich ebenfalls erneut und zeigte mir, dass es weder einen Herzschlag gäbe noch irgendeinen Blutfluss zum Kind. Sie nannte es auch "Kind", was ich ebenfalls sehr respektvoll und passend fand. Ich fühlte mich sehr ernst genommen. Sie druckte mir auch noch ein Foto aus. Den anderen Embryo (den verschwundenen Zwilling) zeigte sie mir ebenfalls und schätzte, dass dieser es ca. bis zur 6. Woche geschafft hatte - ähnlich wie mein Sternenkind aus dem März. Regulär gab es natürlich keinen OP-Termin, aber da ich bereits blutete und natürlich nicht zu lange daheim abwarten könnte, machten sie sofort einen Platz für mich frei. Mein Mann durfte so lange wie möglich bei mir sein, bis ich schließlich auch wirklich an der Reihe war. Und das ging echt schnell - ich war zwischen 11 und 12 zur Anmeldung dort und um 14 Uhr lag ich auf dem OP-Tisch. Die Krankenschwestern, alle Ärzte und alle Pfleger waren extrem nett und mitfühlend. Eine Krankenschwester hat zwischendurch mit mir Händchen gehalten und mir erzählt, dass sie gerade mit 63 Uroma geworden sei (erstes Kind mit 17) und dass sie vor 40 Jahren ihren Sohn drei Wochen nach der Geburt an den Kindstod verloren hätte und wie traurig das gewesen sei. Die OP war doch echt ein ganz schöner Alarm - mit Narkose (Propofol) und bestimmt sechs Leuten im Raum. Der Eingriff dauerte nur 10-25 Minuten und war sehr erfolgreich. Die Ärztin, die mir danach alles erklärt hat, sagte, dass ich mit dem Kinderwunsch sofort weitermachen dürfe und außerdem aus medizinischer Sicht kein Grund bestünde zu warten. Und dass es auch keinen Grund gäbe, warum nicht die nächste Schwangerschaft unproblematisch bis zu Ende laufen sollte. Ich durfte um 18 Uhr gehen, meine Familie hat mich abgeholt. Am gleichen Abend habe ich meine Mutter angerufen, die auch superlieb war, sie hörte an meiner Stimme, was los war und sagte etwas wie "Oh, der andere Zwilling ist auch verloren?", was mich dann doch überraschte, für sie war das mit den Zwillingen wohl doch realer als für mich. Sie war sehr lieb und sagte, sie hätte sich Sorgen gemacht, dass sie MICH verliert und war froh, dass es mir gut gehe - auch wenn sie natürlich traurig war über die beendete Schwangerschaft. Insgesamt hatte ich doch deutlich weniger Beschwerden als bei der natürlichen Fehlgeburt im März und alles war auch viel schneller wieder ok und hat auch nur am gleichen Tag geblutet. Es geht mir jetzt besser als in den letzten sechs Wochen - diese Schwangerschaft war doch unangenehm und ziemlich hart. Ich habe eigentlich nur die ersten zwei Wochen genossen und seitdem nur gewartet, dass es mir endlich besser geht. Ich habe vier Kilo zugenommen, die ich nun gern wieder los werde :-). Ich muss aber sagen, dass trotz aller aufrichtiger und sinnvoller Trauer um die verlorenen Zwillinge ich mich heute sehr glücklich fühle. Ich habe am Mittwoch gesehen und gespürt, wie sehr mein Mann mich liebt und schätzt. Sein Verhalten am Mittwoch war einfach so aufrichtig liebevoll und herzlich, und traurig, und partnerschaftlich, dass ich einfach ganz klar gesehen habe, wie er für mich empfindet. Er wollte nicht so recht davon hören, dass es der letzte Versuch sei, obwohl auch er darin Vorteile sieht. Ich habe erklärt, dass ich seit Herbst 2014 irgendwie mit Familienplanung beschäftigt sei und allmählich müde würde. Und die letzten beiden Schwangerschaften waren unschön - wenn auch die Schwangerschaft mit unserer Tochter in 2015 (meine erste Schwangerschaft) fast durchgehend extrem schön war. Ich habe dann auch echt viel gegrübelt und nachts wach gelegen und gestern habe ich dann meinem Mann einen Vorschlag gemacht: Wir warten bis April (also verhüten bis dahin gewissenhaft) und machen dann die Tür noch einmal auf, allerdings mit einer Deadline bis Ende 2018. Ich brauche diese Deadline, weil es irgendwann auch mal gut sein muss. Ich denke, dass bei unserer bisherigen „Erfolgsstatistik“ (grins) acht Monate ausreichen, um der Natur eine aufrichtige Chance auf eine erneute Schwangerschaft zu geben. Bis April brauche ich (und auch mein Körper, selbst wenn das medizinisch nicht nötig ist) eine Erholungspause, ich möchte die Kilos loswerden, wieder fit werden, Sport und Wein genießen, meine Ernährung wieder auf gute Füße stellen und mich einfach von der schrecklichen Schwangerschaft erholen und wieder richtig zu mir kommen und auch in Ruhe um die Zwillinge trauern. Wir nehmen uns das Recht heraus, auch im April noch zu entscheiden, dass wir es doch dabei belassen, d. h., dass wir die Tür vielleicht doch nicht wieder aufmachen, weil wir so zufrieden sind. Wir nehmen uns ebenfalls das Recht, diese Entscheidung vielleicht auch irgendwann im Laufe des Jahres zu treffen, weil wir uns vielleicht zu alt fühlen oder so. Wir sind beide der gleichen Meinung: So richtig abschließen und zu machen wollen wir jetzt nicht. Wenn es aber bis Ende 2018 nicht klappt oder ggf. wieder eine Schwangerschaft vorzeitig endet, wären unsere Tochter und ein Geschwisterkind mehr als vier Jahre auseinander und wir wären auch locker 41 bzw. 56, wenn ein zweites Kind käme. Wir finden, dass drei Versuche ausreichend sind, um uns gegenüber zu sagen, dass wir es ernsthaft und aufrichtig versucht haben und ggf. auch eines Tages unserer Tochter sagen zu können: Wir hätten dir gern ein Geschwisterkind geschenkt, aber es war leider einfach nicht drin. Ich fühle mich mit dieser Entscheidung sehr wohl und mein Mann auch. Heute Nacht konnte ich endlich wieder schlafen. Heute fühle ich mich tatsächlich glücklich. Ich leihe einer Freundin (schwanger 17. Woche) nun meine Schwangerschaftsklamotten mit der Option, dass sie mir diese im Juli zurückschickt. Meine absoluten Lieblingsteile schicke ich ihr allerdings nicht. Ich bin glücklich über meine Familie und mein Leben. Ich war in den ersten zwei Wochen meiner Schwangerschaft glücklicher - aber danach war ich es nicht mehr. Ich habe Angst gehabt, das merke ich erst jetzt so richtig. Ich habe auf das Ende der 12. Woche gewartet, was heute gewesen wäre. Ab heute wollte ich mich entspannen. Nun, ich bin nun entspannt. Es gibt keinen kleinen Wurm mehr in mir drin, auf den ich aufpassen muss. Ich hoffe und glaube, dass der kleine Wurm eine gute Zeit in mir hatte, in der kurzen Zeit, die er in mir geschwommen ist. Ich muss auch sagen, dass von Anfang an weniger Lebendigkeit da zu sein schien als bei unserer Tochter - die gleich beim ersten Ultraschall wie wild gezappelt hat, ganz so als hätte sie damals schon die Persönlichkeit gehabt, die sie heute hat. Der kleine Wurm war schon beim Dezember-Termin sehr zurückhaltend, hat es nur dabei belassen, sein Herz schlagen zu lassen. Ich bin durchaus auch auf eine komische Art froh, mich nie fragen zu müssen, ob ich einem Kind oder einem jungen Erwachsenen je davon erzählen muss, dass da mal ein Zwilling gewesen ist. Ich hoffe, dass - sofern ich erneut schwanger bin - es gleich ein Einling ist oder Zwillinge, die es beide schaffen. Ich habe nun bereits drei Kinder verloren und eines zur Welt gebracht und fände es auch ok zu sagen, dass es das nun war. Aber heute bin ich noch nicht bereit, diese Entscheidung zu fällen und die Tür zu schließen. Ich glaube, dass mein Mann und ich nach einer Erholungspause noch einmal die Kraft haben, es ein letztes Mal zu versuchen. Mein Kinderwunsch war sehr groß im Sommer, zurzeit ist es eher ein verhaltender "nice-to-have"-Wunsch, andere Dinge haben sich mehr in den Vordergrund geschoben. Ich habe, was ich habe und das was ich habe macht mich sehr glücklich. Es war sehr schön mit euch und ich bin sehr gern ein Stück Weg mit euch gegangen. Ich hoffe, ihr werdet alle im Sommer 2018 eure Kinder in die Arme und die Herzen schließen und nun das erste Trimester endlich hinter euch lassen und übelkeitsfrei und möglichst sorgenfrei die Schwangerschaften genießen, so wie es sein sollte. Ich weiß, dieser Beitrag ist lang, es ist mir ein Bedürfnis, mich angemessen zu verabschieden und ich bin ja sowieso eher wortreich, wie einige von euch schon angemessen bemerkt haben. Liebe Grüße, Yvonne (NerdyLady)